Einspruch gegen einen Teilerlass – und die verbösernde Einspruchsentscheidung

Das Finanzamt ist nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO verfahrensrechtlich zum Erlass einer verbösernden Einspruchsentscheidung berechtigt, wenn ein Teilerlass mit dem Einspruch angefochten wird. Aufgrund der im Einspruchsverfahren geltenden umfassenden Überprüfungsmöglichkeit nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO ist das Finanzamt nicht an die Voraussetzungen der Korrekturvorschriften §§ 130 f., 172 ff. AO gebunden.

Einspruch gegen einen Teilerlass – und die verbösernde Einspruchsentscheidung

Gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde im Einspruchsverfahren den Verwaltungsakt „in vollem Umfang erneut zu prüfen“. Sie kann nach Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift den Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Einspruchsführers ändern, wenn dieser zuvor auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu äußern. Die Finanzbehörde kann dann im Einspruchsverfahren ebenso entscheiden, als ob sie die Sache erstmals in einem Verwaltungsakt regelt.

Dies gilt auch für die nach § 227 AO zu treffende Ermessensentscheidung, die ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 367 Abs. 2 AO erfasst wird1. Die Rechtsbehelfsstelle hat eine eigenständige Entscheidung aufgrund der sich im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage zu treffen. Sie kann daher auch geänderte Erwägungen anstellen und eine Entscheidung zum Nachteil des Einspruchsführers korrigieren, wenn sie die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des Verböserungshinweises einhält. Die Finanzbehörde verbraucht mithin durch die Gewährung eines Teilerlasses, sofern dieser mit dem Einspruch angefochten wird, das ihr in § 367 Abs. 2 Satz 2 AO eingeräumte Recht der Selbstkontrolle nicht. Ein Teilabhilfebescheid hindert daher die Verböserung nicht2.

Weiterlesen:
Rücknahme des Einspruchs - und ihr Widerruf

Der umfassenden Überprüfungsmöglichkeit nach § 367 Abs. 2 AO steht die Rücknahmevorschrift des § 130 AO nicht entgegen. Zwar gilt § 130 AO gemäß § 132 Satz 1 AO auch während des Einspruchsverfahrens. Der zulässig eingelegte Einspruch gegen einen Verwaltungsakt hindert jedoch den Eintritt der formellen bzw. materiellen Bestandskraft. Damit wird die Behörde verpflichtet, über den durch den angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Lebenssachverhalt vollumfänglich erneut zu entscheiden (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Mangels Bestandskraft des Verwaltungsakts ist die Behörde damit nicht an die Voraussetzungen der allgemeinen Korrekturvorschriften, wie z.B. §§ 130 f., 172 ff. AO, gebunden3.

Das hiergegen angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 05.02.19754 betrifft hingegen den Widerruf eines bestandskräftig gewährten Erlasses.

Da im vorliegenden Fall das Finanzamt die Kläger in Übereinstimmung mit § 367 Abs. 2 Satz 2 AO auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihnen Gelegenheit gegeben hat, sich zu äußern, war die Möglichkeit einer (auch negativen) Änderung nach § 367 Abs. 2 AO eröffnet.

  1. vgl. BFH, Urteil vom 18.08.2015 – V R 2/15, Deutsches Steuerrecht 2015, 2382, Rz 15; BFH, Beschluss vom 19.11.2007 – VIII B 30/07, BFH/NV 2008, 335[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 06.09.2006 – XI R 51/05, BFHE 214, 83, BStBl II 2007, 83; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 367 AO Rz 22[]
  3. vgl. BFH, Urteil vom 17.02.2010 – II R 38/08, BFH/NV 2010, 1236, Rz 21; Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 132 AO Rz 16; Cöster in Koenig, 3. Aufl., § 367 AO Rz 22; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 132 AO Rz 1[]
  4. BFH, Urteil vom 05.02.1975 – I R 85/72, BFHE 115, 173, BStBl II 1975, 677[]
Weiterlesen:
Die Auskunft an schweizer Finanzbehörden - und die vorbeugende Unterlassungsklage