Nach dem BFH, Urteil vom 29.07.19981 unterliegen auch Einspruchsentscheidungen den für Verwaltungsakte allgemein geltenden Auslegungsregeln.

Diese Rechtsprechung wird durch die Literatur nicht in Frage gestellt. Soweit es in einigen Kommentaren heißt, das Rubrum müsse die Beteiligten des Einspruchsverfahrens aufführen2, soll damit ersichtlich nicht die Auslegungsfähigkeit des Rubrums ausgeschlossen werden. Vielmehr weisen dieselben Autoren -unter Anführung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung- im jeweiligen Zusammenhang auch darauf hin, dass der Inhalt des Rubrums unter Würdigung des gesamten Inhalts der Einspruchsentscheidung und der Gesamtumstände auszulegen ist3.
Nach § 119 Abs. 1 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. § 119 Abs. 3 AO enthält besondere Formvorschriften für schriftlich oder elektronisch erlassene Verwaltungsakte. Demgegenüber bestimmt § 366 AO, dass die Einspruchsentscheidung schriftlich zu erteilen, zu begründen, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und den Beteiligten bekannt zu geben ist.
Soweit eine Literaturfundstelle4 für das Verhältniss zwischen § 119 AO und § 366 AO davon ausgeht, § 119 AO sei auf Einspruchsentscheidungen nicht sinngemäß anwendbar, weil § 366 AO hierfür besondere Regeln bereithalte, folgt der Bundesfinanzhof dem nicht:
§ 366 AO enthält nur Formvorschriften (Schriftform, Begründungszwang, Rechtsbehelfsbelehrung, Bekanntgabe). Insoweit ist diese Vorschrift jedenfalls als Spezialregelung zu § 119 Abs. 2 AO (Grundsatz der Formfreiheit von steuerlichen Verwaltungsakten) anzusehen.
Dass § 366 AO für Einspruchsentscheidungen eine Ausnahme von dem durch § 119 Abs. 1 AO allgemein angeordneten Erfordernis inhaltlich hinreichender Bestimmtheit enthalten könnte, wird -soweit ersichtlich- von niemandem ausdrücklich vertreten. Vielmehr müssen auch Einspruchsentscheidungen -wie alle anderen Verwaltungsakte- einen bestimmten und der Befolgung fähigen Inhalt aufweisen, was schon aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt. Davon unberührt bleibt, dass der Inhalt einer Einspruchsentscheidung nach einhelliger Auffassung auslegungsfähig ist.
In dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18.02.19975 heißt es, bei der Auslegung behördlicher Erklärungen sei im Zweifel das den Betroffenen weniger belastende Ergebnis vorzuziehen, da der Erklärungsempfänger durch etwaige Unklarheiten aus der Sphäre der Verwaltung nicht benachteiligt werden dürfe6. Dies kann aber nur dann gelten, wenn überhaupt mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen („im Zweifel“).
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15. Januar 2015 – X B 104/14
- BFH, Urteil vom 29.07.1998 – X R 3/96, BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742, unter II. 2.b[↩]
- vgl. Bartone in Beermann/Gosch, AO § 366 Rz 15; Pahlke in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 366 Rz 9[↩]
- vgl. Bartone in Beermann/Gosch, AO § 366 Rz 14; Pahlke in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 366 Rz 3[↩]
- Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 365 AO Rz 118[↩]
- BFH, Urteil vom 18.02.1997 – VII R 96/95, BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339, unter 2.a[↩]