Ein im Zusammenhang mit einem Vermächtnis erklärter Pflichtteilsverzicht kann wegen § 138 BGB unwirksam sein. Ob ein besonders grobes Missverhältnis i.S. des § 138 BGB zwischen dem Wert des Vermächtnisses und dem Wert des Pflichtteils vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall ist der Kläger der Enkel der Erblasserin. Im Januar 2002 schloss diese mit ihrer Tochter (der Mutter des klagenden Enkels) einen Erbvertrag, in dem sie Vermächtnisse (Anteile an einer KG) für ihre Enkel (den hier klagenden Enkel und seine beiden Brüder) und einen Nießbrauch hieran für ihre Tochter bis zum 25. Lebensjahr des jüngsten Enkelkindes anordnete. Zudem vereinbarten die Vertragschließenden einen Pflichtteilsverzicht und Ausgleichsleistungen. Die Erblasserin verstarb im Dezember 2002.
Ausgehend von einem durch Vermächtnis erworbenen Anteil am Betriebsvermögen der KG setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer beim Enkel zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Insbesondere wegen geänderter Bewertung des Betriebsvermögens wurde der Bescheid mehrfach geändert. Die vom Enkel nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom Finanzgericht Köln als unbegründet abgewiesen, da der Enkel u.a. die Anteile an der KG durch ein wirksames Vermächtnis erworben habe1. Der Bundesfinanzhof wies nun auch die Nichtzulassungsbeschwerde des Enkels zurück:
Das Finanzgericht ist davon ausgegangen, dass die Unwirksamkeit des Abfindungsgeschäfts wegen § 138 BGB auch zur Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichts führen kann. Dabei hat es ausdrücklich Bezug genommen auf das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 08.11.20162. In diesem Fall entschied das Gericht, dass der streitgegenständliche Erbverzicht, in dem ein Ungleichgewicht zu Lasten des Verzichtenden bestand, sittenwidrig war. Dabei hat das Finanzgericht im Rahmen seiner tatsächlichen Würdigung den Wert des Nachlasses und die Abfindungsleistungen gegenüber gestellt und kein sittenwidriges Missverhältnis im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses feststellen können. Auch wenn das Finanzgericht von einer wertmäßigen Differenz zwischen der Abfindung und dem Wert des Nachlasses ausgeht, fehlt es seiner Auffassung nach an einem besonders groben Missverhältnis, das Voraussetzung für die Unwirksamkeit ist. Somit ist es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefolgt, wonach die Voraussetzungen des § 138 BGB anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festgestellt werden3.
Tatsachenwürdigungen kann der BFH nur daraufhin überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind und mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang stehen, unabhängig davon, ob sie nicht zwingend, sondern nur möglich sind4.
Ausgehend davon ist für den Bundesfinanzhof die Tatsachenwürdigung durch das Finanzgericht nicht zu beanstanden. Das Finanzgericht hat zutreffend den aleatorischen Charakter eines Pflichtteilsverzichts, in dem jeder Beteiligte bewusst Unsicherheiten hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Person des Erblassers und des Verzichtenden auf sich nimmt5, berücksichtigt und zu Recht darauf hingewiesen, dass der Tod der Erblasserin im Dezember 2002 keine Auswirkung auf die Beurteilung des Verhältnisses der gegenseitigen Leistungen bei Vertragsschluss im Januar 2002 habe. Diese tatsächliche Würdigung steht mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang. Der Bundesfinanzhof wäre daran auch in einem Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
Soweit der Enkel vorträgt, das Finanzgericht stütze sein Urteil auch darauf, dass neben den objektiven Tatbestand des groben Missverhältnisses der Leistungen ein subjektives Tatbestandsmerkmal des § 138 BGB hinzutreten müsse, um die mögliche Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts festzustellen, lässt sich auch hieraus nicht das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ableiten.
Ein solcher Rechtssatz liegt dem angefochtenen Urteil nicht zugrunde. Das Finanzgericht hat bereits die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands (grobes Missverhältnis) verneint. Soweit es im Weiteren noch Ausführungen zum Vorliegen des subjektiven Tatbestands des § 138 BGB gemacht hat, geschah dies lediglich zur Prüfung, ob sich eine Unwirksamkeit des Verzichts nach § 138 Abs. 1 BGB aus dem Gesamtcharakter der dem Verzicht zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vereinbarung ergab6.
Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen wäre selbst bei einer Abweichung von der BGH-Rechtsprechung die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht klärbar.
Selbst wenn man aufgrund einer Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichts zur Unwirksamkeit der den Enkel lediglich begünstigenden Vermächtnisanordnung käme, unterläge das Vermächtnis gleichwohl der Erbschaftsteuer. Wird eine Verfügung von Todes wegen ausgeführt obwohl sie unwirksam ist, und beruht die Ausführung der Verfügung auf der Beachtung des erblasserischen Willens, den Begünstigter und Belasteter anerkennen, ist gemäß § 41 Abs. 1 AO das wirtschaftliche Ergebnis dieses Vollzugs erbschaftsteuerrechtlich zu beachten7. Ein formunwirksames Vermächtnis ist danach erbschaftsteuerrechtlich zu erfassen, wenn feststeht, dass der Beschwerte die Rechtshandlungen, die sich als Erfüllung dieses Vermächtnisses darstellen, mit dem Willen vorgenommen hat, dem (formunwirksam) geäußerten letzten Willen des Erblassers zu entsprechen8.
Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist hier aufgrund der vom Finanzgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen auszugehen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 1. September 2020 – II B 16/20
- FG Köln, Urteil vom 04.12.2019 – 7 K 1855/16[↩]
- OLG Hamm, Urteil vom 08.11.2016 – I-10 U 36/15, FamRZ 2017, 1167[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 14.06.2017 – III ZR 487/16, NJW-RR 2017, 1261, Rz 7[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile vom 29.06.2016 – II R 41/14, BFHE 254, 64, BStBl II 2016, 865, Rz 28; und vom 12.02.2020 – XI R 24/18, DStR 2020, 1190, Rz 47, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 13.11.1996 – IV ZR 62/96, BGHZ 134, 60, Rz 15; BayObLG, Beschluss vom 27.01.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964, Rz 19; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 23.03.2018 – 6 O 6494/17, FamRZ 2018, 1867, Rz 31, 50; Muscheler in Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 5. Aufl.2019, Erbverzicht, Rz 18.199[↩]
- vgl. OLG Hamm Urteil in FamRZ 2017, 1167, Rz 30, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 22.09.2010 – II R 46/09, BFH/NV 2011, 261, Rz 8, m.w.N[↩]
- BFH, Urteil vom 28.03.2007 – II R 25/05, BFHE 215, 557, BStBl II 2007, 461, Rz 9, m.w.N.[↩]