Der Verkauf des ererbten Familienheims – und die Erbschaftsteuer

Die Erbschaftsteuerbefreiung für den Erwerb eines Familienheims durch den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner entfällt rückwirkend, wenn der Erwerber das Eigentum an dem Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb auf einen Dritten überträgt. Das gilt auch dann, wenn er die Selbstnutzung zu Wohnzwecken aufgrund eines lebenslangen Nießbrauchs fortsetzt.

Der Verkauf des ererbten Familienheims – und die Erbschaftsteuer

Steuerfrei ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen der Erwerb des Eigentums oder Miteigentums an einem sog. Familienheim von Todes wegen durch den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner. Familienheim ist ein bebautes Grundstück, auf dem der Erblasser bis zum Erbfall eine Wohnung oder ein Haus zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat. Beim Erwerber muss die Immobilie unverzüglich „zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken“ bestimmt sein. Aufgrund eines sog. Nachversteuerungstatbestands entfällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer „Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken“ gehindert.

In dem jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall hatte die Ehefrau nach dem Tod ihres Ehemannes das gemeinsam bewohnte Einfamilienhaus geerbt und war darin wohnen geblieben. Anderthalb Jahre nach dem Erbfall schenkte sie das Haus ihrer Tochter. Sie behielt sich einen lebenslangen Nießbrauch vor und zog nicht aus. Das Finanzamt gewährte die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG rückwirkend nicht mehr, weil sie das Familienheim verschenkt hatte.

Sowohl das erstinstanzlich hiermit befasste Finanzgericht Münster1 wie nun auch der Bundesfinanzhof bestätigten das rückwirkende Entfallen der Steuerbegünstigung:

Mit der Steuerbefreiung habe der Gesetzgeber den familiären Lebensraum schützen und die Bildung von Wohneigentum durch die Familie fördern wollen. Deshalb könne die Befreiung nur derjenige überlebende Ehegatte oder Lebenspartner in Anspruch nehmen, der Eigentümer der Immobilie wird und sie selbst zum Wohnen nutzt. Wird die Nutzung innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb aufgegeben, entfällt die Befreiung rückwirkend. Gleiches gilt bei der Aufgabe des Eigentums. Andernfalls könnte eine Immobilie steuerfrei geerbt und kurze Zeit später weiterveräußert werden. Dies würde dem Förderungsziel zuwiderlaufen. Hätten in dem Nachversteuerungstatbestand Aussagen lediglich zur weiteren Nutzung des Familienheims innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb getroffen werden sollen, hätte die kürzere Formulierung „Selbstnutzung zu Wohnzwecken“ oder „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ ausgereicht. Der in der Vorschrift verwendete Begriff „Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken“ spreche dafür, dass sowohl die Nutzung als auch die Eigentümerstellung des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners während des Zehnjahreszeitraums bestehen bleiben müssten.

Steuerfrei bleibt nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG u.a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (in der ab 2009 geltenden Fassung) durch den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war und die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim). Die Steuerbefreiung fällt mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG, sog. Nachversteuerungstatbestand).

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Der Nachversteuerungstatbestand greift auch in Fällen, in denen der Erwerber das Familienheim zwar weiterhin bewohnt, das Eigentum daran aber innerhalb der genannten Frist auf einen Dritten übertragen hat.

Eine solche Auslegung ist im Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG angelegt.

Zwar lässt sich dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG bei isolierter Betrachtung nicht ausdrücklich entnehmen, ob durch die Aufgabe des Eigentums oder Miteigentums an dem Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb durch den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Steuerbefreiung rückwirkend entfällt, wenn jener das Familienheim weiter zu Wohnzwecken selbst nutzt. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29.11.2017 – II R 14/162, in dem der BFH über die Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG entschieden hat. Nach dem klaren Wortlaut des Satzes 1 setzt die Gewährung der Steuerbefreiung den „Erwerb […] des Eigentums oder Miteigentums“ an einem Familienheim voraus. Der Erwerb eines anderen Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die Immobilie -z.B. eines durch eine Auflassungsvormerkung gesicherten Eigentumsverschaffungsanspruchs oder eines dinglichen Wohnrechts- genügt danach nicht den Anforderungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG3. Demgegenüber ist der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG insofern nicht eindeutig, als er nicht ausdrücklich die Hergabe des Eigentums voraussetzt.

Der Wortlaut des Nachversteuerungstatbestands greift mit der Formulierung „nach dem Erwerb“ aber die o.g. Anforderung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG an die Gewährung der Steuerbefreiung -den „Erwerb […] des Eigentums oder Miteigentums“ nach zivilrechtlichen Grundsätzen4- auf. „Nach dem Erwerb“ hat nicht nur zeitliche Bedeutung. Die Bezugnahme auf den „Erwerb“ i.S. des Satzes 1 des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG bringt vielmehr auch zum Ausdruck, dass Satz 5 des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG ein (Fort-)Bestehen des durch den Erwerb geschaffenen Rechtszustandes und damit von Eigentum oder Miteigentum des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners am Familienheim für den Erhalt der Steuerbefreiung voraussetzt.

Darüber hinaus lässt die Formulierung „Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken“ in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 Halbsatz 2 ErbStG den Schluss zu, dass die Steuerbefreiung für das erworbene Familienheim wegfallen soll, wenn der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb das Eigentum an dem Familienheim verliert. Hätten in dem Nachversteuerungstatbestand Aussagen lediglich zur weiteren Nutzung des Familienheims innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb getroffen werden sollen, hätte die -kürzere- Formulierung „Selbstnutzung zu Wohnzwecken“ oder „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ ausgereicht. Wenn die in der Wendung „Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken“ enthaltene Dopplung eine Bedeutung haben soll, bezieht sie sich auf die Nutzung und die Eigentümerstellung.

Es entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 i.V.m. Satz 1 ErbStG, die Steuerbefreiung rückwirkend entfallen zu lassen, wenn der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner das Eigentum oder Miteigentum an dem Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb aufgibt.

Die Wortlautauslegung ist nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden5. Eine bestimmte Auslegungsmethode oder gar eine reine Wortinterpretation schreibt Art.20 Abs. 3 des Grundgesetzes, der die Rechtsprechung verpflichtet, nach Gesetz und Recht zu entscheiden, nicht vor6. Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Der Feststellung dieses objektivierten Willens dienen neben der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung) die Auslegung aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus dem die Vorschrift prägenden Regelungszweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung). Zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen7.

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Teleologische, historische und systematische Auslegung sprechen dafür, dass die Steuerbefreiung für das Familienheim wegfällt, wenn der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb zwar die Selbstnutzung zu Wohnzwecken fortsetzt, das Eigentum oder Miteigentum am Familienheim jedoch aufgibt. Da durch eine solche Auslegung -entgegen der Ansicht der Alleinerbin- die Wortlautgrenze des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG nicht überschritten wird, ist ihr der Vorzug zu geben8.

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG die Substanz des begünstigten Immobilienvermögens innerhalb der ehelichen oder partnerschaftlichen Lebensgemeinschaft erhalten9. Gemäß den Gesetzesmaterialien10 dient „die Regelung zur Steuerfreistellung von Wohneigentum für Ehegatten und Lebenspartner […] neben dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums dem Ziel der Lenkung in Grundvermögen schon zu Lebzeiten des Erblassers. Insbesondere vor dem Hintergrund der Finanzmarktentwicklung des Jahres 2008“ soll das „besonders geschützte Familiengebrauchsvermögen“ in Gestalt des Familienheims von Ehegatten und Lebenspartnern „krisenfest […] erhalten“ werden. Schutzgut der Befreiungsnorm ist danach nicht nur der gemeinsame familiäre Lebensraum. Die Steuerbefreiung soll vielmehr auch dazu beitragen, dass Grundvermögen als Teil der ehelichen oder partnerschaftlichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft erhalten werden kann. Die Bildung von Wohneigentum durch die Familie soll gefördert werden, indem der Eigentumsübergang innerhalb der Familie nicht der Erbschaftsteuer unterworfen wird. Der Gesetzgeber wertete dementsprechend den Verkauf des Familienheims durch den Erwerber als „schädlich“10. Begünstigt ist danach das familiäre Wohnen nicht als Mieter oder Nießbraucher, sondern als Eigentümer oder Miteigentümer des Familienheims.

Dieses gesetzgeberische Anliegen kommt in den Regelungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Sätze 1 bis 4 ErbStG zum Ausdruck. Satz 1 stellt ausdrücklich den „Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums“ an einem Familienheim von der Erbschaftsteuer frei. Die Begriffe „Eigentum“ und „Miteigentum“ sind dabei im zivilrechtlichen Sinne zu verstehen. Weder der Erwerb eines durch eine Auflassungsvormerkung gesicherten Anspruchs auf Verschaffung des Eigentums4 noch der Erwerb eines dinglichen Wohnungsrechts11 erfüllen die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG für die Gewährung der Steuerbefreiung. Satz 2 des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG untersagt die Steuerbefreiung für den Fall, dass der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner das Familienheim aufgrund einer letztwilligen oder rechtsgeschäftlichen Verfügung des Erblassers auf einen Dritten übertragen muss. Gleiches gilt nach Satz 3 der Norm, wenn ein Erbe im Rahmen der Teilung des Nachlasses das Familienheim auf einen Miterben überträgt. Diese Bestimmungen sollen ebenso wie Satz 4 sicherstellen, dass nur demjenigen eine Steuerbefreiung gewährt wird, der endgültig das Eigentum oder Miteigentum an dem Familienheim erhält und dieses selbst zu eigenen Wohnzwecken nutzt12.

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Der Gesetzgeber hat den Sätzen 1 bis 4 des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG, die die Gewährung der Steuerbefreiung streng an den Erwerb des Eigentums oder Miteigentums knüpfen, einen Satz 5 angefügt, der den Wegfall der Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit regelt. Die logische Vereinbarkeit dieser sachlich zusammenhängenden Rechtssätze erfordert eine Auslegung des Satzes 5 dahingehend, dass die Steuerbefreiung im Falle der Aufgabe des Eigentums oder Miteigentums innerhalb des Zehnjahreszeitraums entfällt. Eine konsequente Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG wäre nicht gegeben, wenn für die Bewilligung der Steuerbefreiung ein Eigentums- oder Miteigentumserwerb gefordert, bei Aufgabe des Eigentums oder Miteigentums aber auf eine rückwirkende Versagung der Befreiung verzichtet würde. Andernfalls bestünde die Möglichkeit, das Eigentum oder Miteigentum an einem Familienheim zu erwerben, um es nur eine logische Sekunde später -ohne Verlust der Steuerbefreiung- auf einen Dritten zu übertragen. Die Voraussetzung des „Erwerb[s] […] des Eigentums oder Miteigentums“ in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG würde entwertet.

Die Übertragung des Eigentums oder Miteigentums nach dem Erwerb des Familienheims hat der Gesetzgeber nicht abschließend durch § 13 Abs. 1 Nr. 4b Sätze 2 bis 4 ErbStG geregelt. Denn die Bedeutung dieser Bestimmungen unterscheidet sich von der des Nachversteuerungstatbestands im Satz 5 des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG.

Die Sätze 2 bis 4 betreffen Fälle einer Mehrheit von Erwerbern13 und beantworten die Frage, wer von mehreren Erwerbern die Steuerbefreiung für das Familienheim in welchem Umfang in Anspruch nehmen kann. Hat etwa ein Erbe aufgrund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers das begünstigte Vermögen auf einen Vermächtnisnehmer zu übertragen, erhält nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG nicht er, sondern -unter den Voraussetzungen des Satzes 1- der Vermächtnisnehmer die Steuerbefreiung. Für die Besteuerung der Mitglieder einer Erbengemeinschaft ist es grundsätzlich unerheblich, welchem Erben welche Nachlassgegenstände im Rahmen der Erbauseinandersetzung zugeordnet werden. Demgemäß könnten die Erben die Steuerbefreiung für das Familienheim -unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG- anteilig in Anspruch nehmen. Abweichend hiervon bestimmen die Sätze 3 und 4, dass die Steuerbefreiung demjenigen Erben zugutekommen soll, der das Familienheim im Rahmen der Teilung des Nachlasses endgültig erwirbt (sog. Begünstigungstransfer, vgl. BFH, Urteil vom 23.06.2015 – II R 39/13, BFHE 250, 207, BStBl II 2016, 225, Rz 16 und 17, zu § 13 Abs. 1 Nr. 4c Sätze 3 und 4 ErbStG, m.w.N.).

Hingegen zielt der Nachversteuerungstatbestand in Satz 5 darauf ab, eine dem Begünstigungszweck zuwiderlaufende Inanspruchnahme der Steuerbefreiung durch eine zehnjährige Bindung des Erwerbers zu vermeiden.

Eine andere Auslegung des Nachversteuerungstatbestands in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG ist auch nicht im Hinblick auf die Regelung über die steuerbefreite Schenkung unter Ehegatten oder Lebenspartnern nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG geboten.

§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG, der keinen dem § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG entsprechenden Nachversteuerungstatbestand enthält, hat eine andere Zielsetzung als § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG. Die Vorschrift wurde durch Art. 24 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11.10.199514 als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH eingefügt. Der BFH hatte mit Urteil vom 02.03.1994 – II R 59/9215 die Steuerfreiheit von ehebedingten unbenannten Zuwendungen aufgegeben. Der Gesetzgeber wollte die lebzeitige Zuwendung des Familienheims aus der Besteuerung wieder ausnehmen16. § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG stellt Zuwendungen unter Lebenden im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Familienheims oder der Regelung der Eigentumsverhältnisse an einem Familienheim durch Ehegatten oder Lebenspartner von der Schenkungsteuer frei. Zuwendungen, die den engeren Kern der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft berühren, sollten schenkungsteuerrechtlich privilegiert werden17. Die unterschiedlichen Bestimmungen bezüglich der Steuerbefreiung von Zuwendungen zum einen unter lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und zum anderen aufgrund Erwerbs von Todes wegen durch den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner betreffen verschiedene Lebenssachverhalte und knüpfen die Steuerbefreiung entsprechend jeweils an unterschiedliche Voraussetzungen an. Hinzu kommt, dass es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG für die dort gewährte Steuerbefreiung unschädlich ist, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner das Eigentum oder Miteigentum an dem Familienheim nach dem Erwerb aufgibt. § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG kann daher nicht zur Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG und Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Steuerbefreiung rückwirkend entfällt, herangezogen werden.

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Für den Wegfall der Steuerbefreiung aufgrund Aufgabe des Eigentums oder Miteigentums an dem Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb kommt es nicht darauf an, ob der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner die Immobilie entgeltlich oder unentgeltlich überträgt oder wer nach dem überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner neuer Eigentümer des Familienheims wird.

Die Steuerbefreiung ist auch dann nicht weiter zu gewähren, wenn der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner das Eigentum oder Miteigentum am Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb unentgeltlich auf einen Dritten überträgt, die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken aber -aufgrund eines dinglichen oder obligatorischen Nutzungsrechts- fortsetzt18.

Eine Unterscheidung zwischen entgeltlicher und unentgeltlicher Übertragung ist in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG nicht angelegt. Auch führt der Umstand, dass bei einer unentgeltlichen Übertragung kein Entgelt fließt, aus dem die „Nachsteuer“ entrichtet werden kann, zu keiner anderen Beurteilung. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers sind auch andere Fälle, in denen keine Mittel für die Steuerzahlung anfallen, von der Begünstigung ausgenommen. So soll die Steuerbefreiung rückwirkend entfallen, wenn das Familienheim längere Zeit leer steht10. Auch bleibt dem Erwerber die Befreiung stets versagt, wenn ein Dritter, ggf. auch ein Familienangehöriger, das Familienheim aufgrund eines Nutzungsrechts zu eigenen Wohnzwecken nutzt.

Die Steuerbefreiung entfällt auch dann, wenn die Übertragung auf Kinder erfolgt, die selbst von Todes wegen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG begünstigt hätten erwerben können19. Der Erwerb durch Ehegatten oder Lebenspartner auf der einen und Kinder auf der anderen Seite ist unter unterschiedlichen Voraussetzungen begünstigt. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG wird Kindern i.S. der Vorschrift die Steuerbefreiung für den Erwerb eines Familienheims nur gewährt, soweit die Wohnfläche 200 Quadratmeter nicht übersteigt. Demgegenüber enthält § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG für den Erwerb durch Ehegatten oder Lebenspartner keine Begrenzung der Fläche nach. Eine Gesamtbetrachtung der Tatbestände des § 13 Abs. 1 Nr. 4b und Nr. 4c ErbStG scheidet aus. Hinzu kommt, dass auch ein Kind nur dann begünstigt erwerben kann, wenn es das Familienheim tatsächlich selbst zu eigenen Wohnzwecken nutzt. Schließlich ist gerade eine Zuwendung an Kinder unter Lebenden -wie im Streitfall- nicht begünstigt. § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG, der die Schenkung des Familienheims unter Ehegatten oder Lebenspartnern privilegiert, hat für Kinder keine Entsprechung.

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Die angeführte Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG vermeidet, dass vergleichbare Sachverhalte ohne sachlichen Grund unterschiedlich besteuert werden.

Wäre § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG nicht einschlägig, wenn der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner das von Todes wegen erworbene Eigentum oder Miteigentum am Familienheim kurze Zeit nach dem Erwerb auf einen Dritten überträgt, die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken aber -z.B. aufgrund eines vorbehaltenen Nießbrauchs- fortsetzt, bliebe der Erwerb des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners steuerfrei, obwohl sich der Sachverhalt nach der Übertragung nicht von anderen Fällen unterscheidet, in denen die Steuerbefreiung nicht bewilligt wird.

Bestimmt etwa der Erblasser sein Kind zum Erben und wendet er seinem Ehegatten oder Lebenspartner einen lebenslangen Nießbrauch am Familienheim als Vermächtnis zu, erhält gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG keiner von beiden Erwerbern eine Steuerbefreiung, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner das Familienheim nach dem Erbfall tatsächlich selbst zu Wohnzwecken nutzt. Denn der Ehegatte oder Lebenspartner hat -anders als das Kind- kein Eigentum am begünstigten Vermögen erworben, und das Kind, bei dem der Erwerb unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG steuerfrei sein könnte, hat das Familienheim nicht zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt. Setzt der Erblasser umgekehrt seinen Ehegatten oder Lebenspartner als Erben mit der Auflage ein, das Eigentum am Familienheim unter Nutzungsvorbehalt auf das Kind zu übertragen, entsteht die gleiche steuerrechtliche Situation wie im Streitfall, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner von seinem Nutzungsrecht tatsächlich Gebrauch macht. Ihm bleibt die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG verwehrt, weil er das Familienheim aufgrund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers auf das Kind übertragen muss. Jenes kann die Steuerbefreiung ebenso wenig in Anspruch nehmen, weil das Familienheim bei ihm nicht unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist, was Voraussetzung für die Steuerbefreiung bei dem Erwerb des Kindes nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG ist. Gleiches gilt, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner und das Kind den Erblasser beerben und im Rahmen der Teilung des Nachlasses das Eigentum am Familienheim auf das Kind und ein Nutzungsrecht auf den Ehegatten oder Lebenspartner übertragen. Bewohnt der Ehegatte oder Lebenspartner das Familienheim dann tatsächlich, erhält gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Sätze 1 und 3, Nr. 4c Satz 1 ErbStG keiner von beiden Erwerbern die Steuerbefreiung, weil Eigentum und tatsächliche Nutzung auseinanderfallen.

Die vorgenannte Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG führt zu einer restriktiven Anwendung der Steuerbefreiung für das Familienheim. Bei einer solchen Anwendung unterliegt sie keinen verfassungsrechtlichen Bedenken20.

Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall die gewährte Steuerbefreiung für den Erwerb des Miteigentumsanteils am Einfamilienhaus gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG rückwirkend entfallen. Die Alleinerbin hat das Haus innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb von E schenkweise auf T übertragen. Die Aufgabe des Eigentums erfüllt den Nachversteuerungstatbestand. Dass die Alleinerbin die Nutzung des Einfamilienhauses zu eigenen Wohnzwecken aufgrund des Nießbrauchs aufrechterhalten hat, ändert hieran nichts.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. Juli 2019 – II R 38/16

  1. FG Münster, Urteil vom 28.09.2016 – 3 K 3757/15 Erb[]
  2. BFHE 260, 372, BStBl II 2018, 362[]
  3. vgl. BFH, Urteil in BFHE 260, 372, BStBl II 2018, 362, Rz 15[]
  4. vgl. BFH, Urteil in BFHE 260, 372, BStBl II 2018, 362, Rz 14[][]
  5. z.B. BFH, Urteil vom 25.09.2013 – XI R 41/12, BFHE 243, 69, BStBl II 2014, 135, Rz 23, m.w.N.[]
  6. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30.03.1993 – 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, unter C.II.1; und vom 31.10.2016 – 1 BvR 1833/13, BFH/NV 2017, 255 (red. Ls.), HFR 2017, 172, Rz 22[]
  7. vgl. z.B. BFH, Urteile in BFHE 243, 69, BStBl II 2014, 135, Rz 23; und vom 04.12.2014 – IV R 53/11, BFHE 248, 57, BStBl II 2015, 483, Rz 20, jeweils m.w.N.[]
  8. gleicher Ansicht Hess.FG, Urteile vom 15.02.2016 – 1 K 2275/15, EFG 2016, 734; und vom 12.10.2017 – 1 K 1706/15, EFG 2018, 463, Rz 25; H.-U. Viskorf in Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 5. Aufl., § 13 ErbStG Rz 57; Jochum in Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz 87; Schmitt/Tiedtke, NJW 2009, 2632; Schmitt in Tiedtke, ErbStG, § 13 Rz 172; Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 13 ErbStG Rz 38; BeckOK ErbStG/Gibhardt, 3. Ed., ErbStG § 13 Rz 233; Halaczinsky, jurisPR-SteuerR 22/2016 Anm. 4; Halaczinsky in Halaczinsky/Wochner, Schenken, Erben, Steuern, 11. Aufl., Rz 446; R E 13.4 Abs. 6 Satz 2 der ErbSt-Richtlinien 2011, BStBl I 2011, Sondernr. 1, 2 ; anderer Ansicht Geck, ZEV 2008, 557, 559; Mayer, ZEV 2009, 439, 443; Richter/S. Viskorf/Philipp, DB 2009, Beil. 2, S. 1, 10; Steiner, ErbStB 2009, 123, 127; derselbe, ErbStB 2010, 179, 181; Schuhmann, Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis 2009, 72, 75; Hartmann in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 13 ErbStG Rz 27.2; Griesel in Daragan/Halaczinsky/Riedel, ErbStG, BewG, § 13 ErbStG Rz 58; differenzierend Geck in Kapp/Ebeling, § 13 ErbStG, Rz 39.7; Schienke-Ohletz in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13 Rz 39; S. Viskorf/Haag, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2012, 219, 223; Jülicher, ZErb 2009, 222, 224; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13 Rz 73[]
  9. vgl. BFH, Urteil vom 03.06.2014 – II R 45/12, BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806, Rz 17[]
  10. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 16/11107, S. 8[][][]
  11. vgl. BFH, Urteil in BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806, Rz 14[]
  12. vgl. BFH, Urteil in BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806, Rz 17[]
  13. z.B. Erbe und Vermächtnisnehmer oder Erbengemeinschaft[]
  14. BGBl I 1995, 1250[]
  15. BFHE 173, 432, BStBl II 1994, 366[]
  16. BFH, Urteil in BFHE 260, 372, BStBl II 2018, 362, Rz 26[]
  17. vgl. BT-Drs. 13/901, S. 157[]
  18. anderer Ansicht Schienke-Ohletz in von Oertzen/Loose, a.a.O., § 13 Rz 39; S. Viskorf/Haag, DStR 2012, 219, 223; Jülicher, ZErb 2009, 222, 224; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, a.a.O., § 13 Rz 73[]
  19. anderer Ansicht Geck in Kapp/Ebeling, § 13 ErbStG Rz 39.7[]
  20. vgl. BFH, Urteil in BFHE 260, 372, BStBl II 2018, 362, Rz 27[]

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