Erbschaftsteuer – und die Hof-Bewertung

Der bewertungsrechtliche Begriff „Betrieb der Land- und Forstwirtschaft“ ist tätigkeitsbezogen. Zivilrechtliches Eigentum an Grund und Boden oder am Besatz ist unerheblich. Ist für die Bewertung des Wirtschaftsteils eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs der Liquidationswert maßgebend, kann ausnahmsweise der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts geführt werden, wenn der festgestellte Wert das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verletzt. Dies setzt aber regelmäßig voraus, dass der vom Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt.

Erbschaftsteuer – und die Hof-Bewertung

Die Wertfeststellung nach § 22 Abs. 1 BewG und die Artfeststellung nach § 22 Abs. 2 BewG sind jeweils, auch wenn sie in einem Bescheid verbunden sind, selbständige Feststellungen, die gesondert in Bestandskraft erwachsen können. Ist die Artfeststellung bestandskräftig geworden, ist sie bei der Wertfeststellung nicht mehr zu prüfen, sondern der Wertermittlung zugrunde zu legen1. Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall ist die Artfeststellung „Betrieb der Land- und Forstwirtschaft“ für die Wertfeststellung jedoch nicht bindend, denn sie ist ebenso wie die Wertfeststellung Gegenstand des Verfahrens. 

Nach § 12 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes ist Grundbesitz i.S. des § 19 BewG, zu dem nach § 19 Abs. 1 BewG auch Betriebe der Land- und Forstwirtschaft gehören, mit dem nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG auf den Bewertungsstichtag festgestellten Wert anzusetzen. Gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 2 BewG sind für die wirtschaftlichen Einheiten des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens die Grundbesitzwerte unter Anwendung der §§ 158 bis 175 BewG zu ermitteln. Wirtschaftliche Einheit des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens ist gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 BewG der Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen gehören nach § 158 Abs. 1 Satz 2 BewG alle Wirtschaftsgüter, die einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft zu diesem Zweck auf Dauer zu dienen bestimmt sind. Das bedeutet, dass eine Bewertung nach den für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen geltenden Grundsätzen nur erfolgen kann, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter zu einem entsprechenden Betrieb gehören.

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Nach § 158 Abs. 1 Satz 1 BewG ist Land- und Forstwirtschaft die planmäßige Nutzung der natürlichen Kräfte des Bodens zur Erzeugung von Pflanzen und Tieren sowie die Verwertung der dadurch selbst gewonnenen Erzeugnisse. Diese Vorschrift knüpft an eine bestimmte Nutzung des Bodens, aber nicht an das Eigentum am Boden an. Einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft hat demnach derjenige inne, der Land- und Forstwirtschaft betreibt. Der Betriebsbegriff ist tätigkeitsbezogen. Zivilrechtlichen Eigentums an Grund und Boden oder am Besatz bedarf es nicht2.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 158 Abs. 1 Satz 2 BewG. Die land- und forstwirtschaftliche Zweckbestimmung für den Betrieb eines Dritten reicht nicht aus, land- und forstwirtschaftliches Vermögen beim Eigentümer zu begründen. Dies widerspräche dem tätigkeitsbezogenen Betriebsbegriff.

Ein Umkehrschluss aus § 160 Abs. 7 BewG bestätigt dieses Ergebnis. Nach § 160 Abs. 7 Satz 1 BewG bilden einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft auch Stückländereien, die als gesonderte wirtschaftliche Einheit zu bewerten sind. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Stückländereien einzelne land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen, bei denen die Wirtschaftsgebäude oder die Betriebsmittel oder beide Arten von Wirtschaftsgütern nicht dem Eigentümer des Grund und Bodens gehören, sondern am Bewertungsstichtag für mindestens 15 Jahre einem anderen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft zu dienen bestimmt sind. Daraus folgt, dass einzelne land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen, die die in § 160 Abs. 7 BewG normierten Voraussetzungen nicht erfüllen, namentlich die 15-Jahre-Frist unterschreiten, grundsätzlich bei dem Eigentümer keinen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft bilden.

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Nach den Grundsätzen der Betriebsverpachtung im Ganzen kann darüber hinaus auch beim Verpächter ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb als ruhender Betrieb fortbestehen3.

Wird ein Betrieb der Land- und Forstwirtschaft innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren nach dem Bewertungsstichtag veräußert, erfolgt die Bewertung der wirtschaftlichen Einheit grundsätzlich mit dem Liquidationswert nach § 166 BewG (§ 162 Abs. 3 Satz 1 BewG). Gleiches gilt für die Bewertung einzelner wesentlicher Wirtschaftsgüter, sofern diese dem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren nicht mehr auf Dauer zu dienen bestimmt sind (§ 162 Abs. 4 Satz 1 BewG); zu den wesentlichen Wirtschaftsgütern in diesem Sinn gehört ausweislich § 162 Abs. 4 Satz 1 BewG u.a. der Grund und Boden nach § 158 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG. Ausnahmen hiervon gelten bei einer Reinvestition des jeweiligen Veräußerungserlöses in einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb binnen sechs Monaten (§ 162 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2 BewG). Bei der Ermittlung des Liquidationswerts nach § 166 Abs. 1 BewG ist der Grund und Boden i.S. des § 158 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG mit den zuletzt vor dem Bewertungsstichtag ermittelten Bodenrichtwerten zu bewerten (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BewG). Zur Berücksichtigung der Liquidationskosten ist der ermittelte Bodenwert um 10 % zu mindern (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 BewG).

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Für den nach §§ 162 bis 164 BewG für einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft anzusetzenden Wert des Wirtschaftsteils sieht das Gesetz im Fortführungsfalle den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts vor. Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert des -unveräußerten- Wirtschaftsteils niedriger ist als der nach § 165 Abs. 1 und 2 BewG ermittelte Wert, ist dieser Wert anzusetzen; § 166 BewG ist zu beachten (§ 165 Abs. 3 BewG). Im Rahmen des § 166 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BewG ist die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts für den Grund und Boden aber nicht eröffnet.

Zwar hat der Bundesfinanzhof bereits entschieden, dass zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot der Steuerpflichtige auch bei der Veräußerung von Flächen, die einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zuzurechnen waren, entsprechend § 165 Abs. 3 Halbsatz 1 und § 198 BewG den Nachweis eines vom Liquidationswert wesentlich abweichenden niedrigeren gemeinen Werts erbringen kann, etwa durch ein Sachverständigengutachten oder durch einen zeitnahen Verkauf4. Das Übermaßverbot ist allerdings nur dann verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale Maß hinausgehen. Dies erfordert den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts, der den festgestellten Grundstückswert so erheblich unterschreitet, dass sich der festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist. Extrem über das normale Maß hinaus geht beispielsweise das Dreifache des gemeinen Werts bzw. das rund 1, 4-fache eines sich aus dem Bodenrichtwert errechneten Verkehrswerts. Eine Bewertungsdifferenz von 10 % ist hingegen als Folge der typisierenden Bewertungsmethode aufgrund der mit der Wertschätzung verbundenen Ungenauigkeit hinzunehmen5.

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An dieser Rechtsprechung ist entgegen der Ansicht festzuhalten.

Soweit sich die Gegenansicht darauf beruft, das Gesetz schließe auch im Falle einer Bewertung nach § 166 BewG den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ohne Rücksicht auf bestimmte Wertschwellen nicht aus, ist dies unzutreffend. Zum einen fehlt eine ausdrückliche, dem § 198 BewG vergleichbare Regelung. Zum anderen ordnet § 165 Abs. 3 Halbsatz 2 BewG im Rahmen der Bewertung mit dem Fortführungswert auch dann den Liquidationswert nach § 166 BewG als absolute Untergrenze an, wenn der Steuerpflichtige einen niedrigeren gemeinen Wert nachweist. Dies entspricht auch dem eindeutigen Normverständnis des Gesetzgebers6.

Soweit im Übrigen der bisherigen Bundesfinanzhofsrechtsprechung entgegengehalten wird, (verfassungskonforme) Gesetzesauslegung mit Billigkeitsmaßnahmen zu verwechseln, ist darauf hinzuweisen, dass beide Möglichkeiten gleichrangig zur Beseitigung eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot zur Verfügung stehen7. Die verfassungskonforme Auslegung beruht letztlich darauf, dass nach § 138 Abs. 3 Satz 3 BewG bzw. § 157 Abs. 3 Satz 3 BewG i.V.m. § 20 Satz 2 Halbsatz 1 BewG abweichende Wertfeststellungen aus Billigkeitsgründen (§ 163 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung) für eine Reihe von im BewG geregelte Bewertungsverfahren gesetzlich ausgeschlossen sind8. Auch wenn dies für die Bewertung für die wirtschaftlichen Einheiten des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens nicht gilt (in § 157 Abs. 2 BewG fehlt ein Verweis auf § 20 Satz 2 BewG), ist aus Gründen einer einheitlichen Konzeption, mit welcher das Übermaßverbot im Bereich des BewG zur Geltung gebracht werden soll, an der verfassungskonformen Auslegung festzuhalten.

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Der Bundesfinanzhof hat für den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts in Fällen des § 166 BewG bislang keine konkrete Grenze für die Verletzung des Übermaßverbots festgelegt. Den für unwesentlich erachteten 10 %9 steht eine für wesentlich erachtete Schwelle von rund 40 % gegenüber10. Nach Ansicht des BVerfG ist das Übermaßverbot nur dann verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale Maß hinausgehen11. Die Erheblichkeitsschwelle innerhalb der Spanne, die durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vorgegeben ist, muss folglich am oberen Rand angesiedelt werden. So wäre z.B. eine Grenze von 20 %12 mit der Bedeutung des Wortes „extrem“ (d.h. „bis an die äußerste Grenze gehend; radikal; krass“)13 kaum in Einklang zu bringen. Bewertungsdifferenzen in solcher Höhe sind als Folge der typisierenden Bewertungsmethoden und unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um Schätzungen des Werts handelt, die stets mit Ungenauigkeiten verbunden sind, hinzunehmen14. Dem Bundesfinanzhof erscheint es deshalb angemessen, eine Verletzung des Übermaßverbots regelmäßig erst dann zu bejahen, wenn der vom Finanzamt festgestellte Grundstückswert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. November 2022 – II R 39/20

  1. vgl. BFH, Urteil vom 10.07.1991 – II R 64/90 unter 1.[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 25.11.2020 – II R 9/19, BFHE 272, 100, BStBl II 2021, 491, Rz 16 bis 21[]
  3. dazu etwa BFH, Urteile vom 29.03.2017 – VI R 82/14, BFH/NV 2017, 1313, Rz 16 f.; und vom 08.05.2019 – VI R 26/17, BFHE 265, 82, BStBl II 2019, 660, Rz 21[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 30.01.2019 – II R 9/16, BFHE 263, 267, BStBl II 2019, 599, Rz 24[]
  5. vgl. BFH, Urteil in BFHE 263, 267, BStBl II 2019, 599, Rz 26, m.w.N.[]
  6. vgl. BT-Drs. 16/11107, S. 16: „Die Regelung ermöglicht dem Steuerpflichtigen einen Verkehrswertnachweis nur für den gesamten Wirtschaftsteil, der zur Gleichbehandlung mit dem Betriebsvermögen im Liquidationswert seine unterste Grenze findet.“[]
  7. vgl. BFH, Urteil vom 05.05.2004 – II R 45/01, BFHE 204, 570, BStBl II 2004, 1036, unter II. 4., mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG[]
  8. vgl. BFH, Urteil in BFHE 204, 570, BStBl II 2004, 1036, unter II. 4.[]
  9. vgl. BFH, Urteil vom 11.12.2013 – II R 22/11, BFH/NV 2014, 1086, Rz 16; konkret 12, 5 %[]
  10. vgl. BFH, Beschluss vom 23.10.2002 – II B 153/01, BFHE 200, 393, BStBl II 2003, 118, unter II. 2.; konkret 41, 4 %[]
  11. vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.04.1978 – 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441, unter C.II. 3.[]
  12. so vorgeschlagen von Piltz, Agrarbetrieb 2019, 278, 279[]
  13. vgl. Duden, Die deutsche Rechtsschreibung, 28. Aufl.2020, S. 434[]
  14. vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2014, 1086, Rz 16[]
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