Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und nach dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu. Der Nacherbe muss in seinem Antrag angeben, welches Verhältnis zu welchem ursprünglichen Erblasser der Versteuerung zugrunde gelegt werden soll. Danach richten sich der Freibetrag und die Steuerklasse für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen.

Der Anfall der Nacherbschaft gilt grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben.
Während zivilrechtlich nach §§ 2100, 2139 BGB der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser erben, gilt erbschaftsteuerrechtlich nach § 6 Abs. 1 ErbStG der Vorerbe als Erbe. Sein Erwerb unterliegt in vollem Umfang und ohne Berücksichtigung der Beschränkungen durch das Nacherbenrecht der Erbschaftsteuer. Bei Eintritt der Nacherbfolge haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird1. Alle Besteuerungsmerkmale sind im Verhältnis zur Person des Vorerben -und nicht des Erblassers- anzuwenden, u.a. mit der Folge, dass für die Besteuerung des Nacherbfalls die Steuerklasse nach dem Verhältnis des Nacherben zum Vorerben und nicht zum Erblasser gilt2.
Geht beim Tod des Vorerben neben dem zur Nacherbschaft gehörenden Vermögen zugleich eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, weil der Nacherbe gleichzeitig Allein- oder Miterbe nach dem Vorerben ist, liegen zivilrechtlich zwei Erbfälle vor: Einer nach dem Erblasser und ein weiterer nach dem Vorerben. Erbschaftsteuerrechtlich handelt es sich gleichwohl um einen einheitlichen Erwerb vom Vorerben3. Ein etwaiger negativer Erwerb aus der Vorerbschaft kann daher mit einem positiven Erwerb aus der Erbeinsetzung verrechnet werden und umgekehrt.
Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob der Nacherbe eine oder mehrere Nacherbschaften erhält, solange er diese von demselben Vorerben auf dessen Tod erlangt.
Die Fiktion des § 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ErbStG wird durch die Möglichkeit nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, die Erbschaft als vom Erblasser stammend zu behandeln, zwar modifiziert, nicht aber aufgehoben.
Auf Antrag ist der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Geht in diesem Fall auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, sind beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln (§ 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Für das eigene Vermögen des Vorerben kann ein Freibetrag jedoch nur gewährt werden, soweit der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht verbraucht ist (§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG). Die Steuer ist für jeden Erwerb jeweils nach dem Steuersatz zu erheben, der für den gesamten Erwerb gelten würde (§ 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG). Trotz der speziellen Regeln zur Berechnung der Steuer liegt ein einheitlicher Erwerb vor4.
Nach § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG stehen dem Nacherben bei entsprechender Antragstellung zwar zwei Freibeträge i.S. von § 16 ErbStG zu, zum einen für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen, zum anderen für das eigene Vermögen des Vorerben. Diese befinden sich jedoch in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander5. Die Deckelung des für das Vermögen des Vorerben geltenden Freibetrags auf den noch nicht für die Nacherbschaft verbrauchten Freibetrag bewirkt, dass der Nacherbe für den gesamten Erwerb einen Freibetrag maximal in der Höhe beanspruchen kann, der dem jeweils höheren Freibetrag entspricht.
Aus den Gesetzesmaterialien wird deutlich, dass durch diese Regelung ungerechtfertigte Vorteile für den Nacherben hinsichtlich der Freibeträge vermieden werden sollten. Dem Nacherben sollte nicht für jede Vermögensmasse gesondert ein Freibetrag zustehen, sondern insgesamt nur der Freibetrag, der für sein günstigeres Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser maßgebend ist6. Dasselbe Ziel kommt auch in dem Progressionsvorbehalt des § 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG zum Ausdruck.
Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und auf dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu, der sich nach dem Verhältnis zu demjenigen Erblasser richtet, für den es der Nacherbe beantragt. Soweit dieser nicht verbraucht ist, verbleibt ein Freibetrag für das Vermögen des Vorerben7. Zwar enthält § 6 ErbStG keine ausdrückliche Regelung zur Gewährung von Freibeträgen bei Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften, doch ergibt sich dieses Ergebnis aus dem Regelungskonzept der Vorschrift.
Maßgebender Ausgangspunkt für die erbschaftsteuerrechtliche Behandlung der Nacherbschaften, die auf den Tod des Vorerben anfallen, ist zunächst die erbschaftsteuerrechtliche Verschmelzung des Vermögens des Vorerben mit dem der Nacherbfolge unterliegenden Vermögen. Beim Tod des Vorerben findet ein einziger Erwerbsvorgang statt, der nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nach den für „den Erwerb“ von dem Vorerben geltenden Maßstäben zu besteuern wäre. Für diesen Erwerbsvorgang kann auch nur ein Freibetrag gewährt werden, denn nach der die Freibeträge im Allgemeinen regelnden Vorschrift des § 16 Abs. 1 ErbStG bleibt „der Erwerb“ steuerfrei. Die in § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG enthaltenen Sonderregeln, die als Ausnahmeregelungen restriktiv zu verstehen und auszulegen sind, erlauben es zwar, für bestimmte Parameter der Besteuerung das Verhältnis des Nacherben zu dem ursprünglichen Erblasser zugrunde zu legen. Es handelt sich jedoch lediglich um Berechnungsmodalitäten, die an der rechtlichen Einheitlichkeit des Erwerbs nichts ändern.
§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG bringt mit der Formulierung „der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen“ zum Ausdruck, dass es unabhängig von der Anzahl der Erblasser für das gesamte der Nacherbfolge unterliegende Vermögen immer nur einen einzigen Freibetrag geben kann. Der Kern dieser Freibetragsregelung besteht damit darin, dem Nacherben lediglich den Freibetrag zu gewähren, der dem für ihn günstigsten in Betracht kommenden Freibetrag entspricht.
Ausgangspunkt dieser Vorschrift ist, dass die Erbschaft, mag es sich auch erbschaftsteuerrechtlich allein um einen Erwerb vom Vorerben handeln, von verschiedenen Personen stammt und dies erbschaftsteuerrechtlich beachtet werden muss. Somit kann -über das Verhältnis zum Vorerben hinaus- auf Antrag auch das verwandtschaftliche Näheverhältnis des Nacherben zu dem ursprünglichen Erblasser berücksichtigt werden. Es ist aber ausdrücklich sichergestellt, dass dem Erben und Nacherben keine Freibeträge in einer Höhe gewährt werden, die über den günstigsten Freibetrag hinausgehen.
Rechtstechnisch geht zwar § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG davon aus, dass dem Nacherben auf entsprechenden Antrag ein Freibetrag nach dem ursprünglichen Erblasser sowie ein weiterer Freibetrag nach dem Vorerben zusteht. Durch die Anrechnung eines für die Nacherbschaft bereits verbrauchten Freibetrags kann es jedoch nie zu einem Freibetrag kommen, der höher ist als der in Betracht kommende für den Nacherben günstigste Freibetrag. Im Ergebnis kommt diese Regelung einem Wahlrecht des Nacherben gleich, ob er den Freibetrag im Verhältnis zum Vorerben oder im Verhältnis zum ursprünglichen Erblasser zugrunde legen möchte8. Hinsichtlich der Steuersätze verhält es sich nicht anders. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber bestimmt, dass die jeweiligen Vermögensteile zwar nach unterschiedlichen Steuerklassen besteuert werden, aber für den Steuersatz stets diejenige Progression berücksichtigt wird, die dem Gesamterwerb entspricht (§ 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG).
Die etwaigen Näheverhältnisse zwischen dem Erben und mehreren (ursprünglichen) Erblassern, auf die die Nacherbschaften zurückgehen, erfordern keine kumulative Berücksichtigung mehrerer Freibeträge.
Bereits die in § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG vorgenommene Deckelung des für den Erwerb vom Vorerben geltenden Freibetrags zeigt, dass das Näheverhältnis des Erben, der gleichzeitig Nacherbe ist, zu jedem Erblasser zwar grundsätzlich berücksichtigt werden kann, diese Berücksichtigung aber nur bis zu dem für den Nacherben günstigsten Freibetrag reichen soll. Wenn beim Zusammentreffen einer Nacherbschaft mit einem Erwerb direkt vom Vorerben die Freibeträge in dieser Weise begrenzt werden, spricht dies dafür, auch beim Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften den anzuwendenden Freibetrag für den Erwerb insgesamt auf den für den Nacherben günstigsten zu begrenzen und einen solchen Erwerb damit im Vergleich zum Erwerb eigenen Vermögens des Vorerben nicht zu privilegieren.
Beim einheitlichen Erwerb von mehr als zwei Vermögensmassen (Vermögen des Vorerben sowie mehr als eine Nacherbschaft) ebenso wie beim einheitlichen Erwerb zweier Vermögensmassen (Vermögen des Vorerben sowie eine Nacherbschaft) gilt daher der Grundsatz, dass nicht mehr als der der Höhe nach günstigste Freibetrag zu gewähren ist. Eine darüber hinaus gehende Begünstigung des Erben und Nacherben, bei der es sich in der Sache um eine weitere Abweichung von dem in § 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ErbStG normierten Grundsatz des einheitlichen Erwerbs vom Vorerben handelt, findet keinen Anklang in § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG und müsste vielmehr ausdrücklich gesetzlich geregelt werden.
Der Antrag nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG kann von jedem Nacherben individuell gestellt werden9. Er ist spätestens bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung gegenüber dem Finanzamt abzugeben10.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 1. Dezember 2021 – II R 1/20
- vgl. BFH, Urteil vom 31.08.2021 – II R 2/20, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 13, m.w.N.[↩]
- vgl. Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 6 Rz 86[↩]
- vgl. RFH, Urteil vom d16.07.1942 – III 13/42, RStBl 1942, 935 zu dem § 6 Abs. 2 ErbStG entsprechenden § 7 Abs. 2 ErbStG i.d.F. vom 07.08.1922, RGBl – I 1922, 695; BFH, Urteile vom 02.12.1998 – II R 43/97, BFHE 187, 120, BStBl II 1999, 235, unter II. 1.; und vom 03.11.2010 – II R 65/09, BFHE 231, 233, BStBl II 2011, 123, Rz 14; BFH, Beschluss vom 28.02.2007 – II B 82/06, BFH/NV 2007, 919, unter II. 1.[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 187, 120, BStBl II 1999, 235, unter II. 1., und in BFHE 231, 233, BStBl II 2011, 123, Rz 13, 14; BFH, Beschluss in BFH/NV 2007, 919, unter II. 1.[↩]
- vgl. Mirbach/Egelhof in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 6 ErbStG Rz 45, Stand 01.05.2021; Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 18. Aufl., § 6 Rz 20[↩]
- BT-Drs. VI/3418, S. 63[↩]
- ebenso Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 6 Rz 105; Esskandari in Stenger/Loose, Bewertungsrecht, § 6 ErbStG Rz 62, beide im Anschluss an die Vorinstanz[↩]
- so ausdrücklich Eisele in Kapp/Ebeling, § 16 ErbStG, Rz 18.1; ähnlich Geck in Kapp/Ebeling, § 6 ErbStG, Rz 31: „ein Freibetrag“[↩]
- RFH, Urteil vom 10.10.1936 – III e A 15/35, RStBl 1935, 1485, zu § 7 Abs. 2 ErbStG 1922[↩]
- Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 7. Aufl., § 6 Rz 29; Mirbach/Egelhof in Wilms/Jochum, a.a.O., § 6 ErbStG Rz 41[↩]