Die Untätigkeit des Gutachterausschusses bei der Ermittlung örtlicher Liegenschaftszinssätze führt nicht zu einem strukturellen Vollzugsdefizit, da in diesem Fall die Bewertung und Besteuerung nach dem vom Gesetzgeber in § 188 Abs. 2 Satz 2 BewG festgelegten Zinssatz erfolgt. Der Steuerpflichtige hat zudem gemäß § 198 BewG die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.

Der Gleichheitssatz verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Dazu gehören die Gleichheit der normativen Steuerpflicht sowie die Gleichheit bei deren Durchsetzung in der Steuererhebung. Das materielle Steuergesetz muss in ein normatives Umfeld eingebettet sein, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet. Wirkt sich eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig aus, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und liegen die Voraussetzungen dafür vor, dass dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, so führt die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Steuernorm. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts1.
An einem Vollzugsdefizit in diesem Sinne fehlt es. Soweit vertreten wird, dass eine verfassungswidrig ungerechtfertigte Mehrbelastung bei einer Schenkung vorliege, wenn der Gutachterausschuss nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG einen Liegenschaftszinssatz festgestellt hat, gegenüber dem Tatbestand nach § 188 Abs. 2 Satz 2 BewG, bei dem pauschaliert ein höherer Liegenschaftszinssatz anzuwenden ist, liegt kein Vollzugsdefizit des Steuergesetzes selbst vor. Denn die Besteuerung der Schenkung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, die in § 12 Abs. 1 ErbStG auf das Bewertungsgesetz Bezug nimmt, ist nicht aufgrund eines normativen Defizits ineffektiv, sondern sichert aufgrund der Auffangregelung der Bewertungsregelung des § 188 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BewG einen vollständigen Vollzug des Schenkungssteuertatbestandes und damit des Besteuerungsanspruchs des Fiskus. Zwar hängt das Bewertungsergebnis davon ab, ob der jeweilige Gutachterausschuss tätig geworden ist. Dies hat sich im vorliegenden Fall zulasten des Beschenkten ausgewirkt. Jedoch führt dies nicht zu einer widersprüchlichen, auf Ineffektivität angelegten Rechtslage.
Im Grundsatz ist die Typisierung im Steuerrecht unentbehrlich, der Gesetzgeber entsprechend zur Typisierung und Pauschalisierung berechtigt. Er hat bei der Ausgestaltung der Bewertungsregeln einer Steuer einen großen Spielraum. Um Art. 3 Abs. 1 GG zu genügen und die gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen zu gewährleisten, muss jedoch die Bemessungsgrundlage so gewählt und ihre Erfassung so ausgestaltet sein, dass sie den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abbildet. Dies vorausgesetzt, hat der Gesetzgeber aber für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage einen großen Spielraum, solange sie prinzipiell den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen gewährleistet. Dabei darf er sich auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können2.
Art. 3 Abs. 1 GG verleiht Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle steuerrechtlicher Regelungen, die Dritte gleichheitswidrig begünstigen, das eigene Steuerrechtsverhältnis aber nicht betreffen. Der allgemeine Gleichheitssatz ermöglicht grundsätzlich keine Kontrolle von Begünstigungen Dritter. Anderes gilt jedoch, wenn Steuervergünstigungen wegen ihres Umfangs oder ihrer strukturellen Bedeutung die gleichheitsgerechte Belastung durch die betreffende Steuer insgesamt infrage stellen3. Dafür reichen kleinere Unwuchten nicht aus. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die durch das Auseinanderdriften mitgeteilter und typisierter Liegenschaftszinssätze bewirkte Steuerdifferenz ein solches Ausmaß annehme, dass von einer grundsätzlich nicht mehr gleichheitsgerechten Belastung durch die von der Bedarfsbewertung abhängigen Steuern gesprochen werden kann.
Schließlich wäre auch eine Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Folgerungen aus dem Umstand erforderlich, dass § 198 BewG den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts im Einzelfall ermöglicht und so der Steuerpflichtige eine überhöhte Bewertung vermeiden kann. Er hat insbesondere nicht dargelegt, ob im Streitfall ein solcher Nachweis einen niedrigeren Wert hätte ergeben und so die gerügte Ungleichbehandlung auf ein jedenfalls noch zu rechtfertigendes Maß hätte reduziert werden können.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30. August 2023 – II B 35/22
- BVerfG, Urteile vom 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654; und vom 09.03.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56[↩]
- BVerfG, Urteil vom 10.04.2018 – 1 BvL 11/14, BVerfGE 148, 147, Leitsatz 1, Rz 96 ff.[↩]
- BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50, Leitsatz 1, Rz 97 ff.[↩]
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