Die nach § 35b Satz 1 EStG begünstigten Einkünfte müssen aus der Veräußerung eines Vermögensgegenstandes herrühren, der sowohl von Todes wegen erworben worden ist als auch tatsächlich der Erbschaftsteuer unterlegen hat; der in Anspruch genommene persönliche Freibetrag (§ 16 ErbStG) ist anteilig abzuziehen.
Die auf die begünstigten Einkünfte anteilig entfallende Einkommensteuer ist nach dem Verhältnis der begünstigten Einkünfte zur Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) zu ermitteln.
Beim Zusammentreffen von Erwerben von Todes wegen und Vorerwerben ermittelt sich der Ermäßigungsprozentsatz des § 35b Satz 2 EStG durch Gegenüberstellung der anteiligen, auf die von Todes wegen erworbenen Vermögensteile entfallenden Erbschaftsteuer und des Betrags, der sich ergibt, wenn dem anteiligen steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 ErbStG) der anteilige Freibetrag nach § 16 ErbStG hinzugerechnet wird.
Sind bei der Ermittlung des Einkommens Einkünfte berücksichtigt worden, die im Veranlagungszeitraum oder in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben, so wird gemäß § 35b Satz 1 EStG auf Antrag die um sonstige Steuerermäßigungen gekürzte tarifliche Einkommensteuer, die auf diese Einkünfte entfällt, um den in Satz 2 bestimmten Prozentsatz ermäßigt. Der Prozentsatz bestimmt sich nach dem Verhältnis, in dem die festgesetzte Erbschaftsteuer zu dem Betrag steht, der sich ergibt, wenn dem steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 ErbStG) die Freibeträge nach den §§ 16 und 17 und der steuerfreie Betrag nach § 5 ErbStG hinzugerechnet werden (§ 35b Satz 2 EStG).
Die durch das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.12 20081 eingeführte Vorschrift entspricht nahezu wörtlich der zwischen 1975 und 1998 geltenden und durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.03.19992 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 aufgehobenen Bestimmung des § 35 EStG i.d.F. des Einkommensteuerreformgesetzes vom 05.08.19743 -EStG a.F. Da nach der Gesetzesbegründung § 35b EStG inhaltlich dem § 35 EStG a.F. entspricht4, ist die zu § 35 EStG a.F. ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Grundsatz auch bei der Auslegung des § 35b EStG zu berücksichtigen.
Zur Berechnung der Steuerermäßigung müssen zunächst zwei Maßgrößen ermittelt werden, zum einen die anteilig auf die nach § 35b Satz 1 begünstigten Einkünfte entfallende Einkommensteuer und zum anderen der Ermäßigungsprozentsatz gemäß § 35b Satz 2 EStG. Der Betrag nach § 35b Satz 1 EStG multipliziert mit dem Ermäßigungsprozentsatz ergibt den Betrag der Steuerermäßigung.
Begünstigt sind nach § 35b Satz 1 EStG „Einkünfte, die als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben“. Der Wortlaut des Relativsatzes ist ungenau, da der Erbschaftsteuer nicht Einkünfte, sondern Bereicherungen unterliegen (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG)5. Bei sinngemäßem Verständnis erfasst § 35b EStG danach Fälle, in denen der von Todes wegen hinzu erworbene Vermögensgegenstand -z.B. nach einer steuerpflichtigen Veräußerung- mit seinem Wert zusätzlich der Einkommensteuer unterworfen ist.
Nicht nach § 35b Satz 1 EStG begünstigt sind dagegen solche Einkünfte, die sich aus (der Veräußerung von) Vermögensgegenständen ergeben, die einer Vorbelastung mit Schenkungsteuer unterlegen haben. Zwar kann es auch insoweit zu einer Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer kommen. Der Wortlaut der Vorschrift ist insofern aber eindeutig. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen dagegen nicht.
Werden sowohl Anteile veräußert, die im Wege der Erbfolge erworben worden sind, als auch Anteile, die nicht im Wege der Erbfolge oder nicht in dem in § 35b EStG vorgesehenen zeitlichen Zusammenhang mit der Erbfolge erworben worden sind, muss der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn aufgeteilt werden. Begünstigt ist der Veräußerungsgewinn nur insoweit, als er sich aus der Veräußerung der mit Erbschaftsteuer belasteten Anteile ergibt6.
Die nach § 35b Satz 1 EStG begünstigten Einkünfte müssen bei ihrem Hinzuerwerb tatsächlich mit Erbschaftsteuer belastet worden sein7. Sie müssen eine Belastung mit Erbschaftsteuer ausgelöst haben. Nach ihrem Sinn und Zweck soll die Vorschrift der „Doppelbelastung“ bestimmter Vermögenswerte mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer Rechnung tragen8. An einer Doppelbelastung fehlt es aber, soweit der hinzuerworbene Vermögensgegenstand z.B. im Anwendungsbereich des persönlichen Freibetrags nach § 16 ErbStG eine Belastung mit Erbschaftsteuer nicht ausgelöst hat. Insoweit besteht kein Grund für eine tarifliche Entlastung.
Daraus ergibt sich, dass im Anwendungsbereich von § 35b Satz 1 EStG der persönliche Freibetrag nach § 16 ErbStG in Abzug zu bringen ist. Soweit die nach dem ErbStG steuerbare Bereicherung aufgrund des persönlichen Freibetrags nicht zu einer Belastung mit Erbschaftsteuer geführt hat, kommt die Anwendung von § 35b Satz 1 EStG nicht in Betracht.
Der davon abweichenden Auffassung des Finanzgericht folgt der Bundesfinanzhof nicht. Die systematische Erwägung des Finanzgericht, wonach der persönliche Freibetrag gemäß § 16 ErbStG bereits bei der Ermittlung des Ermäßigungsprozentsatzes nach § 35b Satz 2 EStG zu Ungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden muss, trifft zwar im Ausgangspunkt zu, erlaubt aber angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift und ihres erkennbaren Sinns und Zwecks nicht den Schluss, auch solche Einkünfte als begünstigt anzusehen, die aufgrund des persönlichen Freibetrags tatsächlich eine Belastung mit Erbschaftsteuer nicht ausgelöst haben.
Sind in die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer sowohl nach § 35b Satz 1 EStG begünstigte, als auch nach § 35b Satz 1 EStG nicht begünstigte „Einkünfte“ eingegangen, ist der persönliche Freibetrag gemäß § 16 ErbStG im Verhältnis der Einkünfte zueinander aufzuteilen und anteilig bei den jeweiligen Einkünften abzuziehen.
Der Bundesfinanzhof folgt damit der vom Finanzamt mit der Revision vertretenen Auffassung. Die gegenteilige Ansicht, wonach der persönliche Freibetrag nach § 16 ErbStG vorrangig bis zur Höhe des Vorerwerbs von diesem abzuziehen ist, findet in § 35b Satz 1 EStG keine hinreichende Grundlage. Es kann dahinstehen, ob der Ansicht der Kläger zu folgen ist, dass der persönliche Freibetrag bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer vorrangig vom notwendig früheren Vorerwerb abzuziehen ist. Diese für die Erbschaftsteuer geltende Systematik entfaltet jedenfalls keine Bindungswirkung für die Einkommensteuer und prägt auch nicht die Anwendung von § 35b Satz 1 EStG. In Anbetracht des Sinns und Zwecks der Vorschrift, eine effektive Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer zu mindern, besteht im vorliegenden Zusammenhang auch kein Grund für eine Meistbegünstigung des Steuerpflichtigen. Dem Auftrag des Gesetzes entspricht es vielmehr, in solchen Mischfällen danach zu fragen, welcher Teil der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage auf den Erwerb von Todes wegen entfällt. Dies gebietet eine anteilige Berücksichtigung des persönlichen Freibetrags nach § 16 ErbStG.
Die auf die begünstigten Einkünfte anteilig entfallende Einkommensteuer ist nach dem Verhältnis der begünstigten Einkünfte zur Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) zu ermitteln9. Der Aufteilungsmaßstab lässt sich zwar der Bestimmung nicht ausdrücklich entnehmen, allerdings entspricht die Formulierung insoweit dem Wortlaut des § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG. Der in § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG vorgesehene Aufteilungsmaßstab, wonach der maßgebliche Teil der Einkommensteuer in der Weise zu ermitteln ist, dass die Einkommensteuer im Verhältnis der betreffenden Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufgeteilt wird, lässt sich insoweit auf § 35b EStG übertragen. Um die Einkommensteuer auf die begünstigten Einkünfte zu berechnen, ist daher der Betrag der um sonstige Steuerermäßigungen gekürzten tariflichen Einkommensteuer mit dem Quotienten aus dem Betrag der begünstigen Einkünfte und dem Betrag der Summe der Einkünfte zu multiplizieren.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35b Satz 2 EStG ist bei der Anwendung von § 35b Satz 2 EStG der persönliche Freibetrag nach § 16 ErbStG (u.a.) dem steuerpflichtigen Erwerb im Grundsatz in voller Höhe hinzuzurechnen. Der Gegenansicht der Kläger kann sich der Bundesfinanzhof nicht anschließen. Ein Grund für eine bloße Anrechnung des noch nicht durch Vorerwerbe verbrauchten persönlichen Freibetrags besteht nicht und ist auch nicht dargetan.
Sind in die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer sowohl nach § 35b Satz 1 EStG begünstigte, als auch nach § 35b Satz 1 EStG nicht begünstigte „Einkünfte“ eingegangen und ist der persönliche Freibetrag nach § 16 ErbStG deshalb bei der Ermittlung der nach § 35b Satz 1 EStG begünstigten Einkünfte verhältnismäßig aufgeteilt worden, ist nur der anteilige Freibetrag nach § 16 ErbStG hinzuzurechnen.
Der Ermäßigungsprozentsatz ermittelt sich dann durch Gegenüberstellung der anteilig auf die von Todes wegen erworbenen Vermögensteile entfallende Erbschaftsteuer und dem Betrag, der sich ergibt, wenn dem anteiligen steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 ErbStG) der anteilige Freibetrag nach § 16 ErbStG hinzugerechnet wird.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 13. März 2018 – IX R 23/17
- BGBl I 2008, 3018[↩]
- BGBl I 1999, 402[↩]
- BGBl I 1974, 1769[↩]
- Bericht des Finanzausschusses vom 26.11.2008, BT-Drs. 16/11107 S. 25[↩]
- so bereits BFH, Urteile vom 07.12 1990 – X R 72/89, BFHE 163, 137, BStBl II 1991, 350; vom 21.12 1994 – I R 79/94, BFHE 176, 417, BStBl II 1995, 321, jeweils zu § 35 EStG a.F.[↩]
- so schon BFH, Urteil vom 10.03.1988 – IV R 226/85, BFHE 153, 318, BStBl II 1988, 832, unter II., zu § 35 EStG a.F.[↩]
- so schon BFH, Urteil in BFHE 163, 137, BStBl II 1991, 350, zu § 35 EStG a.F.[↩]
- vgl. Bericht des Finanzausschusses vom 26.11.2008, BT-Drs. 16/11107, S. 25[↩]
- Blümich/Schallmoser, § 35b EStG Rz 37; Keß, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 35b Rz C 8; Schmidt/Kulosa, 36. Aufl., § 35b Rz 22; a.A. Merten, Finanz-Rundschau 1975, 595, 597, zu § 35 EStG a.F.: Gesamtbetrag der Einkünfte[↩]