Die fehlerhafte Abrundung bei der Berechnung der Laufzeit eines Nießbrauchs ist kein qualifizierter Rechtsfehler, der die Zulassung der Revision rechtfertigen würde.

Die Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des qualifizierten Rechtsfehlers zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des Finanzgerichts von erheblichem Gewicht und geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Die Entscheidung muss objektiv willkürlich oder greifbar gesetzwidrig sein. Unterhalb dieser Schwelle liegende -auch erhebliche- Rechtsfehler reichen nicht aus1.
Die im hier entschiedenen Fall vom Finanzgericht vorgenommene Abrundung stellt keinen groben Rechtsfehler dar, der geeignet wäre, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Die Berechnung der Laufzeit über eine Abrundung auf volle Monate mag unzutreffend sein. Sie ist jedoch dem Steuergesetzgeber nicht grundsätzlich fremd. So sind nach § 238 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung Zinsen nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz. Sich versehentlich an eine solche Vorschrift anzulehnen ist kein grober Rechtsfehler im beschriebenen Sinn. Das gilt unabhängig von der betragsmäßigen Auswirkung.
Eine Divergenz zu dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12.07.19792 liegt ebenfalls nicht vor. Der Bundesfinanzhof hatte sinngemäß ausgeführt, dass bei einer zunächst unbestimmten Dauer (dort eines Darlehens) ein Ereignis, das zur Bestimmtheit einer Laufzeit führt, eine Berechnung aufgrund der tatsächlichen Dauer durchzuführen ist. Von diesem Grundsatz ist das Finanzgericht aber nicht abgewichen. Insbesondere hat es nicht eine grobe Schätzung vorgenommen. Ihm sind nur bei der Bestimmung der tatsächlichen Laufzeit Fehler unterlaufen. Entsprechendes gilt für die Rüge, es liege insofern eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs3 vor, als der Bundesfinanzhof dort ebenfalls über Verweisungen auf Verwaltungsvorschriften eine Bewertung nach der tatsächlichen Laufzeit verlange.
Schließlich war im vorliegenden Fall die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage nach der Verfassungskonformität des bewertungsrechtlichen Zinssatzes von 5, 5 % ist nicht entscheidungserheblich.
Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO verlangt nach einer für die Entscheidung des Streitfalls erheblichen abstrakten Rechtsfrage. Neben der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage in dem künftigen Revisionsverfahren fordert der Bundesfinanzhof außerdem, dass eine Aussage zu dieser Rechtsfrage erforderlich war, um die vom Finanzgericht getroffene Entscheidung zu begründen4. Die Rechtsfrage darf nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Urteilsausspruch entfiele. Es genügt nicht, wenn das Finanzgericht zu einer Rechtsfrage nicht Stellung genommen hat, weil es eine Vorfrage so entschieden hat, dass sich die Rechtsfrage nicht mehr stellte. In einem solchen Fall muss auch hinsichtlich der Vorfrage ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen5.
Nach diesem Maßstab ist die Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich. Die Frage, ob die Nießbrauchlast unter Einbeziehung eines Zinses zu bewerten ist oder nicht, ist eine Vorfrage im genannten Sinne. Das Finanzgericht hat die vorrangig zu beantwortende Frage, wie die Wertermittlung vorzunehmen ist, dahin beantwortet, dass kein Zinsfaktor zu berücksichtigen sei. Auf dieser Grundlage kommt es auf die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von 5, 5 % nicht an; es fehlt an der Entscheidungserheblichkeit. In Bezug auf die Vorfrage, nach welcher Methode der Wert zu berechnen ist, liegen keine Zulassungsgründe vor.
Ungeachtet dessen hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung auch nicht nach den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend dargelegt. Um darzulegen, warum die Verfassungskonformität des Zinssatzes in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig wäre, hätte sie nicht nur darstellen müssen, zu welchem Ergebnis die seitens der Finanzverwaltung vorgesehene Berechnung einschließlich des Zinssatzes von 5, 5 % auf der einen Seite und des von ihr favorisierten Zinssatzes von 1, 8 % auf der anderen Seite geführt hätte. Sie hätte insbesondere darlegen müssen, warum diese Berechnung zutreffend, die Methode des Finanzgericht hingegen verkehrt ist. Daran fehlt es.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22. März 2023 – II B 26/22
- ständige Rechtsprechung, vgl. etwa die Nachweise bei Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 115 FGO Rz 201-203; in Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 220-224[↩]
- BFH, Urteil vom 12.07.1979 – II R 26/78, BFHE 128, 266, BStBl II 1979, 631[↩]
- BFH, Urteile vom 26.01.1999 – VIII R 32/96, BFH/NV 1999, 922; und vom 23.10.2002 – II R 81/00, BFHE 200, 416, BStBl II 2003, 199[↩]
- BFH, Beschluss vom 07.06.2011 – X B 212/10, BFH/NV 2011, 1709, Rz 5; zur „doppelten Entscheidungserheblichkeit“ Lange in HHSp, § 115 FGO Rz 123[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 25.05.2012 – III B 233/11, BFH/NV 2012, 1453, Rz 12, der darüber hinaus für die Vorfrage sogar ebenfalls grundsätzliche Bedeutung verlangt[↩]