Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, wenn hinsichtlich der sich durch die Änderungsbescheide ergebenden Nachforderungen die Voraussetzungen für eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen. Danach begeht eine Steuerhinterziehung, wer den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt.

Für die Beurteilung, ob die verlängerte Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO eingreift, hat das Finanzgericht die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung, d. h. eines der Tatbestände des § 370 Abs. 1 AO, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen1.
Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts – hier des § 370 AO – bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 169 Abs. 2 Satz 2 AO oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung2. Indessen ist auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ zu beachten2. Dies lässt sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde (der Steuergläubiger) im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt. Es ist bezüglich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung indes kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt3.
Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 V 194/15