Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, ermöglicht es der Grundsatz von Treu und Glauben nicht, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen ein erloschener Steueranspruch wieder auflebt; dies gilt unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung „vorwerfbar“ ist oder nicht.

Entgegen der Rechtsauffassung des Finanzgerichts München1 ist es einem Steuerpflichtigen regelmäßig nicht verwehrt, sich auf den Ablauf der Festsetzungsfrist zu berufen.
Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teiles angemessen Rücksicht nimmt und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Gleichwohl dürfen sich daraus keine Steuerrechtsfolgen ergeben, ohne dass der Sachverhalt vorliegt, an den das Gesetz diese Rechtsfolgen knüpft. Denn der Grundsatz von Treu und Glauben bringt keine Steueransprüche zum Entstehen oder zum Erlöschen, er kann allenfalls verhindern, dass -wie mit Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17.06.19922 entschieden- eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann.
Ist aber -wie im hier entschiedenen Streitfall- Festsetzungsverjährung eingetreten, darf die Geltung von Treu und Glauben nicht dazu führen, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen ein erloschener Anspruch des Finanzamtes aus dem Steuerschuldverhältnis wieder auflebt, unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung vorwerfbar ist oder nicht3.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. November 2020 – XI R 11/18
- FG München, Urteil vom 27.02.2018 – 2 K 33/16[↩]
- BFH, Urteil vom 17.06.1992 – X R 47/88, BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174, unter 1.b, Rz 34 ff.[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 08.02.1996 – V R 54/94, BFH/NV 1996, 733, unter II. 2.b, Rz 17; vom 19.08.1999 – III R 57/98, BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330, Rz 12; vom 22.01.2013 – IX R 1/12, BFHE 239, 385, BStBl II 2013, 663, Rz 21[↩]