Für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen hat das Finanzgericht in Bezug auf die Steuerhinterziehung aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des § 370 AO ausfüllen. Eine Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Steuerpflichtigen ist nicht zulässig.

Nach § 235 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Voraussetzung des Zinsanspruchs ist eine vollendete Steuerhinterziehung. Der objektive und der subjektive Tatbestand des § 370 AO müssen erfüllt sein. Der Steuerschuldner muss eine der in § 370 Abs. 1 AO beschriebenen Tathandlungen mit Vorsatz begangen und dadurch Steuern verkürzt haben.
Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts -hier des § 370 AO- bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 235 Abs. 1, § 169 Abs. 2 Satz 2 oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung. Auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren ist zwar der strafverfahrensrechtliche Grundsatz in dubio pro reo zu beachten. Dies bedeutet aber keine Übernahme von Grundsätzen des Strafverfahrensrechts, sondern lässt sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt1.
Danach hat das Finanzgericht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des § 370 AO ausfüllen. Dies gilt auch bei der Verletzung der sog. erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO2. Es ist kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die die Finanzbehörde die Feststellungslast trägt3. Eine Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Steuerpflichtigen ist hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerhinterziehung jedoch nicht zulässig. Vielmehr muss das Finanzgericht von dem Vorliegen der Tatsachen, die den objektiven und den subjektiven Tatbestand des § 370 AO bilden, vollständig überzeugt sein.
Welche Anforderungen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO im Einzelfall an die richterliche Überzeugungsbildung im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Das Finanzgericht hat das Gesamtergebnis des Verfahrens quantitativ vollständig zu berücksichtigen. Das Vorbringen der Beteiligten muss es vollständig zur Kenntnis nehmen und bei der Entscheidung in Erwägung ziehen. Grundsätzlich muss sich das Finanzgericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen bilden. Zu den entscheidungserheblichen Tatsachen können auch in das Verfahren eingeführte tatsächliche Behauptungen gehören4. Der Tatrichter muss von den entscheidungserheblichen Tatsachen ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangen, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss5.
Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Die Feststellung oder Nichtfeststellung von Tatsachen durch das Finanzgericht ist danach der revisionsrechtlichen Nachprüfung weitgehend entzogen. Sie ist grundsätzlich nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgekommen sind6. Ein revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß gegen die rechtlichen Anforderungen an die Überzeugungsbildung oder das erforderliche Maß von Überzeugung kann deshalb nur angenommen werden, wenn das Finanzgericht die in § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO angeordneten gesetzlichen Maßstäbe für die Überzeugungsbildung in grundlegender Weise verkannt hat7.
Nach diesen Maßstäben war vorliegend das angefochtene Urteil aufzuheben. Das Finanzgericht hat zu Unrecht entschieden, dass die Nichterweislichkeit des von der Klägerin behaupteten Treuhandverhältnisses zu ihren Lasten gehe, da sie für das Vorliegen eines die Steuerhinterziehung ausschließenden Treuhandverhältnisses die Feststellungslast trage:
Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Eine freigebige Zuwendung setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und die Zuwendung objektiv unentgeltlich ist, und in subjektiver Hinsicht den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit. Erforderlich ist eine Vermögensverschiebung, d.h. eine Vermögensminderung auf der Seite des Zuwendenden und eine Vermögensmehrung auf der Seite des Bedachten.
Für die Tatsachen, die zur Annahme einer freigebigen Zuwendung erforderlich sind, trägt das Finanzamt die Feststellungslast8. Führt der Steuerpflichtige aus, der Annahme einer freigebigen Zuwendung stehe entgegen, dass er als Zuwendungsempfänger durch die Zuwendung nicht bereichert sei, da ihm der Zuwendungsgegenstand schon zuvor gehört und der Zuwender den Zuwendungsgegenstand für ihn lediglich als Treuhänder gehalten habe, gehört bei einer Steuerhinterziehung das Nichtvorliegen eines Treuhandverhältnisses zu den Tatsachen, für welche das Finanzamt im Rahmen der Annahme einer freigebigen Zuwendung die Feststellungslast trägt. Das Finanzgericht muss ein solches Vorbringen des Steuerpflichtigen zur Kenntnis nehmen und nach den gesetzlichen Maßstäben für die Überzeugungsbildung in seine Entscheidung miteinbeziehen. Eine Ausnahme hiervon ist gegeben, wenn es sich um eine bloße Behauptung des Steuerpflichtigen handelt, für deren Richtigkeit keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. Wird die Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung mithin u.a. darauf gestützt, eine freigebige Zuwendung sei gegeben, weil der Zuwendender den Zuwendungsgegenstand nicht lediglich als Treuhänder für den Zuwendungsempfänger gehalten habe, muss das Finanzgericht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens neben den anderen Tatbestandsvoraussetzungen einer freigebigen Zuwendung auch von dem Nichtvorliegen eines Treuhandverhältnisses überzeugt sein. § 159 Abs. 1 AO ermächtigt das Finanzgericht weder zu einer eigenen Ermessensentscheidung noch zu einer Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Klägers und Steuerpflichtigen, sondern das Finanzgericht hat auch in Bezug auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Treuhandverhältnisses gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden9.
Hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses verbleibt es bei den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen, dass bei der Prüfung, ob ein Treuhandverhältnis tatsächlich vorliegt, ein strenger Maßstab anzulegen ist10. Hieran ändert -entgegen der Auffassung der Klägerin- das BFH, Urteil in BFHE 237, 179, BStBl II 2012, 473 nichts. Es trifft lediglich eine Entscheidung zu der Frage, wie die Beweislast hinsichtlich der Berechtigung von Ehegatten an einem Gemeinschaftskonto vor dem Hintergrund einer freigebigen Zuwendung -ohne Annahme einer Steuerhinterziehung- verteilt ist.
Das Finanzgericht ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen.
Wie sich aus der Begründung des Urteils ergibt, war das Finanzgericht hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung zwar überzeugt, dass die Klägerin durch die (Rück-)Übertragung des Vermögens von T auf sie bereichert worden sei, da sie über das Vermögen rechtlich und tatsächlich frei habe verfügen können. Zuvor sei T durch die Übertragung des Vermögens von der Klägerin Ende der 1990er Jahre bereichert und die Klägerin entreichert gewesen, da das Konto allein auf den Namen der T gelautet habe und T über das Vermögen somit rechtlich und tatsächlich frei habe verfügen können. Auch die Einräumung einer Vollmacht habe die Entreicherung der Klägerin nicht verhindert, da die Vermögenssubstanz der Klägerin gemindert gewesen und T als Gläubigerin des Guthabens ausgewiesen worden sei.
Hingegen ist der Begründung des Urteils nicht zu entnehmen, dass das Finanzgericht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt war, dass nach der Übertragung des Guthabens auf T Ende der 1990er Jahre kein Treuhandverhältnis zwischen der Klägerin als Treugeberin und T als Treuhänderin vorgelegen hat und demzufolge die Klägerin das Guthaben weiterhin beanspruchen konnte. Das Finanzgericht stützte seine Auffassung vielmehr darauf, dass die Klägerin das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses zwischen ihr und T nicht nachgewiesen habe und die Nichterweislichkeit zu ihren Lasten gehe, da sie bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen -insbesondere unter Anwendung der Beweislastregel des § 159 Abs. 1 AO- die Feststellungslast für das Vorliegen eines die Steuerhinterziehung ausschließenden Treuhandverhältnisses trage.
Das Finanzgericht durfte seine Entscheidung nicht zu Lasten der Klägerin auf der Grundlage der Regelungen zur Feststellungslast treffen. Da das Finanzgericht selbst ausführt, praktisch habe T selbst (wohl) Ende der 1990er Jahre nicht über das Konto T verfügt, entsprach das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich des Treuhandverhältnisses nicht einer bloßen Behauptung ohne irgendwelche Anhaltspunkte. Das Finanzgericht hätte dies zum Anlass nehmen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. Juli 2016 – II R 42/14
- vgl. BFH, Beschluss vom 05.03.1979 – GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570, 573, unter C.II. 1.; BFH, Beschluss vom 21.04.2016 – II B 4/16, BFH/NV 2016, 1130; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 71 AO Rz 8; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 71 AO Rz 8[↩]
- BFH, Urteil vom 01.10.2014 – II R 6/13, BFHE 247, 115, BStBl II 2015, 164, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 14.08.1991 – X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128, m.w.N.; und vom 07.11.2006 – VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364; BFH, Beschluss vom 18.06.2013 – VIII B 92/11, BFH/NV 2013, 1448[↩]
- Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 96 Rz 38[↩]
- BFH, Urteil vom 15.01.2013 – VIII R 22/10, BFHE 240, 195, BStBl II 2013, 526[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 240, 195, BStBl II 2013, 526; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.11.2015 1 StR 235/15, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2016, 78[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 240, 195, BStBl II 2013, 526[↩]
- BFH, Urteil vom 23.06.2015 – II R 52/13, BFHE 250, 215, BStBl II 2015, 960[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 06.10.2009 – IX R 14/08, BFHE 228, 10, BStBl II 2010, 460[↩]
- BFH, Urteile vom 04.12 2007 – VIII R 14/05, BFH/NV 2008, 745; und vom 21.05.2014 – I R 42/12, BFHE 246, 119, BStBl II 2015, 4[↩]