Hunderte Klagen – und die Frage der Prozessfähigkeit

Die Annahme von Prozessunfähigkeit setzt grundsätzlich voraus, dass sämtliche Beweismittel ausgeschöpft werden, insbesondere ein Sachverständigengutachten eingeholt und zuvor eine persönliche Anhörung durchgeführt wird. Die fehlende Mitwirkung an der Aufklärung geht zulasten des Antragstellers.

Hunderte Klagen – und die Frage der Prozessfähigkeit

Ist für einen Antragsteller in der Vergangenheit eine sachverständige Begutachtung durchgeführt worden, die zur Feststellung von Prozessunfähigkeit geführt hat, und setzt der Antragsteller sein Prozessverhalten (hier: Anhängigmachung von hunderten aussichtslosen Verfahren bei den Obergerichten) unverändert fort, kann auch ohne erneute Begutachtung der Schluss auf das Fortbestehen der Prozessunfähigkeit gerechtfertigt sein.

Fähig zur Vornahme von Prozesshandlungen ist grundsätzlich, wer nach dem bürgerlichen Recht geschäftsfähig ist (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Geschäftsunfähig ist unter anderem, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB). Dabei ist auch eine partielle Geschäftsunfähigkeit -beschränkt auf einen bestimmten Teilbereich des Lebens- möglich1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Annahme von Prozessunfähigkeit grundsätzlich voraus, dass sämtliche Beweismittel ausgeschöpft werden, insbesondere ein Sachverständigengutachten eingeholt und zuvor eine persönliche Anhörung durchgeführt wird. Ferner ist auf die Bestellung einer Betreuungsperson hinzuwirken2. Wenn jedoch auch nach Erschöpfung der Möglichkeiten des Gerichts Zweifel an der Prozessfähigkeit verbleiben, gehen diese zulasten der Antragstellerin, sodass von ihrer Prozessunfähigkeit auszugehen ist3.

Nach diesen Grundsätzen ging der Bundesfinanzhof hier von der Prozessunfähigkeit der Antragstellerin aus:

Aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.20174 und den darin in Bezug genommenen Unterlagen (Sachverständigengutachten, Beschlüsse des Betreuungs- und Beschwerdegerichts) ergibt sich, dass die Antragstellerin seinerzeit prozessunfähig war. Daran hat sich zur Überzeugung des Bundesfinanzhofs bis heute nichts geändert. Am BFH hat die Antragstellerin auch nach 2017 eine Vielzahl aussichtsloser Verfahren anhängig gemacht. Ferner ergibt sich aus weiteren gerichtlichen Entscheidungen jüngeren Datums, dass die Antragstellerin auch weiterhin hunderte aussichtslose Verfahren bei verschiedenen deutschen Gerichten anhängig macht5.

Dies zeigt -ebenso wie die in den Ausgangsverfahren erhobenen Klagen, für die eine Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit nicht einmal entfernt in Betracht kommt-, dass die Antragstellerin auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Bezug auf ihre Prozessangelegenheiten logischen und sinnvollen Argumentationen gegenüber unzugänglich ist und den Realitätsbezug verloren hat.

Der Bundesfinanzhof ist unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht verpflichtet, die Antragstellerin nochmals sachverständig begutachten zu lassen. Die Antragstellerin ist im Verfahren vor dem Betreuungsgericht von einem Sachverständigen begutachtet worden, der aus der Begutachtung die Prozessunfähigkeit der Antragstellerin gefolgert hat. Anlass für eine erneute Untersuchung besteht erst dann, wenn Anzeichen für eine Änderung des Zustandes vorliegen6. Daran fehlt es. Auch wenn seitdem bereits gut neun Jahre verstrichen sind, hat sich das Prozessverhalten der Antragstellerin, das für den Gutachter und das Betreuungsgericht für den Schluss auf das Bestehen von Prozessunfähigkeit maßgeblich war, nicht geändert. Sowohl nach den Ausführungen des BVerwG als auch nach denen des OVG NRW als auch nach den eigenen Erkenntnissen des Bundesfinanzhofs macht die Antragstellerin weiterhin hunderte aussichtslose Verfahren vor den (Ober-)Gerichten anhängig. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin in dem seit der Begutachtung verstrichenen Zeitraum ihre Prozessfähigkeit wiedererlangt haben könnte, sind nicht ersichtlich.

Lediglich ergänzend weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass ein Verfahrenspfleger nach § 58 Abs. 2 Satz 2 FGO i.V.m. § 57 Abs. 1 ZPO, wie von der Antragstellerin -in den Ausgangsverfahren- beantragt, nicht zu bestellen ist. Sie soll nicht als nicht prozessfähige Partei verklagt werden, wie es § 57 Abs. 1 ZPO seinem Wortlaut nach verlangt. Die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise dem Kläger ein Pfleger zu bestellen ist7, liegen nicht vor.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 31. Januar 2024 – X S 32 -40/23 (PKH)

  1. BVerwG, Urteil vom 05.06.1968 – V C 147.67, BVerwGE 30, 24[]
  2. zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 16.06.2016 – 1 BvR 2509/15, NZA-RR 2016, 495[]
  3. BVerfG, Beschluss vom 19.04.2021 – 1 BvR 2552/18 u.a., NZA 2021, 891, Rz 11 f.[]
  4. BVerwG, Beschluss vom 11.12.2017 – 5 A 4.17[]
  5. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 25.02.2022 – 4 A 394/22, dessen Art der Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 11.12.2017 – 5 A 4.17 deutlich erkennen lässt, dass es sich um ein Verfahren der Antragstellerin handelte[]
  6. vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.1966 – V C 223.65, BVerwGE 25, 36[]
  7. vgl. nur BFH, Beschluss vom 10.03.2016 – X S 47/15, BFH/NV 2016, 1044, Rz 14, m.w.N.[]