Insolvenzreife – und die Haftung für Säumniszuschläge

Eine Herabsetzung der Haftungsschuld für Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners kommt nur in Betracht, wenn der Haftungsschuldner spätestens im Einspruchsverfahren substantiiert dargelegt und nachgewiesen hat, dass der Steuerschuldner überschuldet und zahlungsunfähig gewesen ist.

Insolvenzreife – und die Haftung für Säumniszuschläge

Gemäß § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, zu denen die Geschäftsführer und Liquidatoren einer GmbH gehören (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung -GmbHG- i.V.m. §§ 69, 70 GmbHG), soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Gemäß § 69 Satz 2 AO umfasst die Haftung auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge (§ 240 AO).

Es gehört zu den Pflichten eines Liquidators, nach Auflösung der GmbH dafür zu sorgen, dass Mittel zur Bezahlung der Steuerschulden zurückbehalten und die Steuerschulden bezahlt werden1. Die Nichtzahlung festgesetzter, fälliger Steuern und Abgaben führt zu einem Steuerschaden in dieser Höhe und indiziert das Verschulden des Verantwortlichen i.S. von § 69 Satz 1 AO2.

Zwar ist die Investitionszulage keine Steuer i.S. von § 3 Abs. 1 AO, doch sind die für Steuervergütungen geltenden Regelungen der AO, mit Ausnahme des § 163 AO, gemäß § 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Investitionszulagengesetzes 2005 (InvZulG 2005) sowie gemäß § 13 Satz 1 des Investitionszulagengesetzes 2007 (InvZulG 2007) entsprechend anzuwenden3. Das schließt eine entsprechende Anwendung von § 69 AO4 und ebenso von § 240 AO5 mit ein.

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Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Danach liegt es im Ermessen der Finanzbehörde, ob sie von der ihr durch § 191 AO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht.

Welches die maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung ist, die dem Haftungsschuldner zur Last gelegt wird, ist dem Haftungsbescheid zu entnehmen, um dessen Wirksamkeit die Beteiligten streiten6.

Wird ein Haftungsschuldner für Säumniszuschläge in Anspruch genommen, so sind bei der Inanspruchnahme gemäß § 191 Abs. 1 AO die Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen, die bei der Erhebung der Säumniszuschläge gegenüber dem Steuerschuldner nach § 227 AO, also in einem besonderen Verfahren, zu einem Billigkeitserlass hätten führen können und unter Umständen auch hätten führen müssen7. Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen vor allem dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert8.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung gemäß § 102 FGO ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung9.

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen hat in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall der Liquidator die ihm als Liquidator obliegenden Pflichten dadurch schuldhaft verletzt, dass er die zurückgeforderten Investitionszulagen nicht zurückgezahlt hat.

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Im Streitfall ist die Nichtzahlung die nach dem Haftungsbescheid und ebenso nach der Einspruchsentscheidung maßgebliche Pflichtverletzung; sie führt zu einem Steuerschaden des Finanzamtes in entsprechender Höhe und indiziert das Verschulden des Liquidators.

Der Vortrag des Liquidators im Klageverfahren, die GmbH habe kein Vermögen mehr gehabt, entschuldigt ihn nicht. Der Liquidator hat selbst darauf hingewiesen, dass der letzte nennenswerte Vermögensgegenstand der GmbH das im Juli 2011 veräußerte Firmengrundstück nebst Gebäuden und Zubehör gewesen sei und dass die Liquidatoren, damals noch als Geschäftsführer der GmbH, den Kauferlös zur Tilgung von Verbindlichkeiten und zur anteiligen Rückzahlung des Stammkapitals verwendet hätten. Es wäre jedoch Aufgabe des Liquidators als damaliger Geschäftsführer gewesen, zu klären, ob noch Steuerschulden gegenüber dem Finanzamt bestanden haben bzw. ob Rückforderungen zu erwarten waren, und entsprechende Mittel vorzuhalten. Dass er dies nicht getan hat, hat der Liquidator selbst eingeräumt. Auf das Fehlen von Zahlungsmitteln zum Zeitpunkt der Rückforderung der Investitionszulagen kann sich der Liquidator daher nicht berufen.

Die Inanspruchnahme des Liquidators als Haftungsschuldner stand demzufolge nach § 191 Abs. 1 AO im Ermessen des Finanzamtes. Dieses hat von seinem Ermessen in der Weise Gebrauch gemacht, dass es den Liquidator auch hinsichtlich der Säumniszuschläge in Anspruch genommen hat, die, nachdem der Rückzahlungsanspruch wegen der geänderten Investitionszulage für 2006 und 2009 fällig geworden war, bis zum Ergehen des Haftungsbescheids verwirkt worden sind. Diese Entscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Liquidator hat im Haftungs- und Einspruchsverfahren trotz Aufforderung des Finanzamtes keine Angaben zum Vorhandensein von Zahlungsmitteln der GmbH und deren Verwendung gemacht. Dass der GmbH die rechtzeitige Rückzahlung der Investitionszulagen wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich gewesen wäre, ist folglich bis zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung, weder vorgetragen noch belegt worden.

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Ungeachtet dessen war aus den dem Finanzamt vorliegenden Jahresabschlüssen auch nicht ersichtlich, dass die GmbH zu irgendeinem Zeitpunkt überschuldet gewesen wäre.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. Dezember 2021 – VII R 14/19

  1. vgl. BFH, Urteil vom 16.12.2003 – VII R 77/00, BFHE 204, 391, BStBl II 2005, 249, unter II.B.03.a; BFH, Beschluss vom 25.04.2013 – VII B 245/12, BFH/NV 2013, 1063, Rz 17, m.w.N.[]
  2. ständige Rechtsprechung, s. BFH, Urteil vom 17.09.2019 – VII R 5/18, BFHE 266, 104, BFH/NV 2020, 287, Rz 14; BFH, Beschluss vom 18.09.2018 – XI R 54/17, BFH/NV 2019, 100, Rz 31; jeweils m.w.N.[]
  3. s.a. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 37 AO Rz 14[]
  4. BFH, Urteil vom 19.12.2013 – III R 25/10, BFHE 244, 217, BStBl II 2015, 119, Rz 14 und 18[]
  5. s.a. Loose in Tipke/Kruse, § 240 AO Rz 13[]
  6. BFH, Urteil vom 19.01.2021 – VII R 38/19, BFH/NV 2021, 1057, Rz 28[]
  7. s. BFH, Urteile vom 16.11.2004 – VII R 8/04, BFH/NV 2005, 495; und vom 19.12.2000 – VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217[]
  8. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile vom 30.03.2006 – V R 2/04, BFHE 212, 23, BStBl II 2006, 612, unter II. 2.b; und vom 09.07.2003 – V R 57/02, BFHE 203, 8, BStBl II 2003, 901, unter II. 1.a; BFH, Urteil in BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217; jeweils m.w.N.[]
  9. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 23.11.2000 – III R 52/98, BFH/NV 2001, 882, unter 1.; und vom 12.08.2009 – XI R 4/08, BFH/NV 2010, 393, unter II. 2.b; s.a. Drüen in Tipke/Kruse, § 5 AO Rz 77 und § 102 FGO Rz 7[]
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