Keine Terminsverlegung trotz Corona?

Auch im Fall einer durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten andauernden Erkrankung an COVID-19 ist ein berufsmäßiger Vertreter verpflichtet, Vorsorge für die Terminswahrnehmung zu treffen, ggf. durch Bestellung von (Unter-)Bevollmächtigten bzw. im Fall einer Steuerberatungsgesellschaft durch Wahrnehmung des Termins durch andere vertretungsberechtigte Angehörige dieser Gesellschaft.

Keine Terminsverlegung trotz Corona?

Ein Attest, welches lediglich ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung an COVID-19 ausweist, stellt (noch) keinen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung dar; es bedarf konkreter und überprüfbarer Anhaltspunkte für eine solche Gefährdung des Beteiligten.

Das Finanzgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) nicht verletzt, indem es die mündliche Verhandlung durchgeführt und verfahrensabschließende Entscheidungen getroffen hat, obwohl der Kläger unter Vorlage von ärztlichen Attesten erklärt hatte, dass für ihn aus medizinischer Sicht das erhöhte Risiko für einen schweren Verlauf einer durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung an COVID-19 bestehe und der für ihn handelnde Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten aufgrund dieser bereits erlittenen Erkrankung an Spätfolgen leide und deshalb u.a. verhandlungsunfähig sei.

Einem Verfahrensbeteiligten wird das rechtliche Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl der Beteiligte einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gehört zu diesen erheblichen Gründen auch die krankheitsbedingte Verhinderung1.

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Grundsätzlich sind die erheblichen Gründe für eine Terminsverlegung nur „auf Verlangen“ des Vorsitzenden glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO). Strengere Anforderungen gelten allerdings, wenn -wie hier- der Terminsverlegungsantrag „in letzter Minute“ gestellt wird und dem Gericht keine Zeit bleibt, den Antragsteller zur Glaubhaftmachung aufzufordern. In diesem Fall müssen die Beteiligten von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann. In derartigen eiligen Fällen ist daher entweder die Vorlage eines ärztlichen Attests erforderlich, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit der erkrankten Person ergeben muss; ersatzweise muss der Beteiligte die Erkrankung so genau schildern und glaubhaft machen, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob sie so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann2.

Dabei reicht die ärztliche Bescheinigung der „Reiseunfähigkeit“ grundsätzlich aus, weil ein Arzt für diese Beurteilung sachkompetenter ist als ein Richter3. Gleiches gilt, wenn der Arzt unter Nennung eines bestimmten Tages ausdrücklich erklärt, der Patient sei nicht in der Lage, einen Gerichtstermin wahrzunehmen4.

Soweit das persönliche Erscheinen eines Beteiligten nicht angeordnet worden ist und dieser im Verfahren durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, erfordert die Darlegung des Verfahrensmangels wegen Ablehnung eines Verlegungsantrags darüber hinaus, dass gegenüber der Vorinstanz substantiierte Gründe vorgetragen wurden, die eine persönliche Anwesenheit des Beteiligten neben dem Prozessbevollmächtigten erfordert hätten5.

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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich das Vorgehen des Finanzgericht, die mündliche Verhandlung trotz Abwesenheit des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten durchzuführen, als verfahrensfehlerfrei.

Da das Finanzgericht das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet hatte und dieser in den Terminsverlegungsanträgen keine Gründe angegeben hat, warum seine Anwesenheit neben der Prozessbevollmächtigten erforderlich sei, konnte das Finanzgericht schon aus diesem Grunde ohne ihn verhandeln. Darüber hinaus weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass das überreichte Attest, welches ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung an COVID-19 ausweist, keinen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung darstellt. Wie im Fall eines pauschalen Hinweises auf die Corona-Pandemie und die Zugehörigkeit zu einer besonders gefährdeten Altersgruppe6 bedarf es konkreter und überprüfbarer Anhaltspunkte für eine solche Gefährdung des Beteiligten. Diese enthält das übersandte Attest für den Kläger nicht.

Auch der Terminsverlegungsantrag, soweit er den Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten betrifft, führt nicht dazu, dass das Finanzgericht verfahrensfehlerhaft die mündliche Verhandlung durchgeführt hat.

Unabhängig von der Frage, ob er die Prozessbevollmächtigte überhaupt wirksam in der mündlichen Verhandlung vertreten konnte, da für sie als Steuerberatungsgesellschaft gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO nur eine Person handeln konnte, die ihrerseits eine Person i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO sein musste, bestand vorliegend darüber hinaus die Pflicht der Prozessbevollmächtigten, aufgrund der gesundheitlichen Situation ihres Mitarbeiters Vorsorge für eine Vertretung des Klägers zu treffen.

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Bereits mit einem früheren Attest hatte die Prozessbevollmächtigte Fristverlängerung aufgrund des Verdachts einer COVID-19-Infektion ihres Mitarbeiters beantragt.

Ist -wie hier der Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten, dessen Behandlung laut ärztlichem Attest vom 02.03.2021 sechs Wochen dauern sollte- der berufsmäßige Vertreter länger erkrankt, besteht die Notwendigkeit, Vorsorge für die Terminswahrnehmung zu treffen, etwa durch Bestellung von (Unter-)Bevollmächtigten7. Nichts anderes gilt im Fall einer durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten andauernden Erkrankung an COVID-198. Auch wenn eine Steuerberatungsgesellschaft die Prozessbevollmächtigte ist, sind Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Sie und nicht der jeweilige Mitarbeiter haben die Prozessvertretung zu organisieren. Diese Pflicht betrifft im Besonderen die Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft. Im Zweifel haben sie selbst den Termin wahrzunehmen und können sich zu keinem Zeitpunkt pauschal darauf berufen, als Angehörige einer Risikogruppe den Termin nicht wahrnehmen zu wollen. Eine Unzumutbarkeit liegt weder aufgrund eines gewissen Infektionsrisikos9 noch aufgrund der noch nicht durchgeführten Impfung vor. Dies gilt umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang ein gewisses Infektionsrisiko als allgemeines Lebensrisiko eingeschätzt hat10.

Der Kläger konnte im Übrigen auf eine Terminsaufhebung nicht deshalb vertrauen, weil das Finanzamt seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung wegen der hohen Infektionszahlen abgesagt hatte. Zum einen ging diese Absage bereits am 01.03.2021 beim Finanzgericht ein und wurde sofort an die Prozessbevollmächtigte weitergeleitet. Eine Terminsaufhebung erfolgte dennoch nicht. Zum anderen war bekannt, dass eine Unterbrechung der Gerichtsverfahren durch Stillstand der Rechtspflege i.S. des § 245 ZPO wegen der Corona-Pandemie nicht eingetreten war und auch Gerichtsverhandlungen in Präsenz durchgeführt wurden. Es wäre deshalb Aufgabe des Klägers bzw. seiner Prozessbevollmächtigen gewesen, sich rechtzeitig mit dem Gericht in Verbindung zu setzen und zu klären, ob ein Terminsverlegungsantrag Aussicht auf Erfolg haben könnte.

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Bundesfinanzhof, Beschluss vom 9. Juni 2022 – X B 35 -36/21

  1. ausführlich zum Ganzen BFH, Beschluss vom 04.11.2019 – X B 70/19, BFH/NV 2020, 226, m.w.N.[]
  2. vgl. BFH, Beschluss vom 21.04.2020 – X B 13/20, BFH/NV 2020, 900, Rz 14, m.w.N.[]
  3. BFH, Beschluss vom 07.11.2017 – III B 31/17, BFH/NV 2018, 214, Rz 8, m.w.N.[]
  4. BFH, Beschluss vom 10.08.2011 – IX B 175/10, BFH/NV 2011, 1912[]
  5. BFH, Beschluss vom 11.05.2010 – X B 136/09, BFH/NV 2010, 1479, unter 2.a, m.w.N.[]
  6. vgl. insoweit nur BSG, Beschluss vom 29.03.2022 – B 8 SO 1/22 BH Rz 7, m.w.N.[]
  7. vgl. insoweit BFH, Beschluss vom 04.03.2014 – VII B 189/13, BFH/NV 2014, 1057, Rz 7[]
  8. so etwa BFH, Beschluss vom 22.10.2021 – IX B 16/21, BFH/NV 2022, 31, Rz 15[]
  9. so schon BGH, Urteil vom 02.12.2021 – IX ZR 53/21, MDR 2022, 389, Rz 14, m.w.N.[]
  10. so BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 – 2 BvR 483/20, NJW 2020, 2327, Rz 9[]