Keine Wiedereinsetzung trotz fristgerechter Absendung?

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 3 FGO) und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll1.

Keine Wiedereinsetzung trotz fristgerechter Absendung?

Das erfordert eine in sich schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen innerhalb dieser Frist2.

Wird im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsgesuch die fristgerechte Absendung eines Schriftstücks behauptet, so sind Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen, aus denen sich die rechtzeitige Aufgabe des fristwahrenden Schriftstücks zur Post ergibt3. Insbesondere ist darzulegen, wer den Schriftsatz zu welchem Zeitpunkt zur Post gegeben hat4. Die Angaben sind durch Vorlage präsenter Beweismittel glaubhaft zu machen5.

Hieran fehlt es im Streitfall. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führt das Finanzamt u.a. aus, die Sachgebietsleiterin habe das Revisionsbegründungsschreiben am Tag der Rücksprache mit der Rechtsbehelfssachbearbeiterin, dem 12.12.2019, persönlich „der Poststelle“ des Finanzamtes übergeben. Es fehlt indes an Ausführungen dazu, welchem Mitarbeiter sie das Schreiben übergeben, an wen dieser das Schreiben, ggf. zusammen mit weiteren Schriftstücken, weitergegeben und wer die Ausgangspost ins hauseigene Fahrzeug geladen und letztlich zur örtlichen Poststelle in Y verbracht und damit zur Post gegeben hat.

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Der bereits vor der mündlichen Verhandlung gefertigte Urteilsentwurf

Entsprechend ergibt sich aus dem Vorbringen des Finanzamtes nicht, dass das Finanzamt kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 25. Januar 2022 – VI R 35/19

  1. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 27.03.1985 – II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586[]
  2. BFH, Beschluss vom 19.01.1993 – X R 82/92, BFH/NV 1993, 611[]
  3. BFH, Beschluss vom 10.03.1994 – IX R 43/90, BFH/NV 1994, 813, und BFH, Beschluss vom 09.03.1993 – VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616[]
  4. BFH, Beschluss vom 12.04.1989 – II B 197/88, BFH/NV 1990, 298[]
  5. BFH, Beschluss vom 13.07.1989 – VIII R 64/88, BFH/NV 1990, 577, und BFH, Beschluss in BFH/NV 1993, 616[]

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