Nichtigkeit eines Steuerbescheids – wegen Verwendung einer veralteten Gesetzesfassung?

Ein Steuerbescheid ist nicht deswegen nichtig, weil für ihn eine veraltete Gesetzesfassung verwendet wurde.

Nichtigkeit eines Steuerbescheids – wegen Verwendung einer veralteten Gesetzesfassung?

Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ein Steuerbescheid ist daher regelmäßig auch dann nicht nichtig, wenn ihm eine unvollständige oder fehlerhafte Recherche der einschlägigen Normen zugrunde liegt.

So liegt der Fall hier: Nach Darstellung der GmbH hat die zuständige Sachbearbeiterin des Finanzamt eine der GmbH günstige Gesetzesklausel nicht zur Anwendung gebracht, weil diese ihr infolge der Verwendung einer veralteten Gesetzesfassung nicht bekannt war; aufgrund dieses Fehlers ist in dem Körperschaftsteuerbescheid 2011 ein zu hoher Gesamtbetrag der Einkünfte zum Ansatz gekommen. Der Bescheid war daher auf der Grundlage des Klagevorbringens zwar rechtswidrig und hätte von der GmbH ggf. im Wege des Einspruchs bzw. der Anfechtungsklage erfolgreich angegriffen werden können, was jedoch unterblieben ist. Zur Nichtigkeit des Festsetzungsbescheids führt der Rechtsanwendungsfehler indessen nicht.

Die von der GmbH geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG in der bis zum Veranlagungszeitraum 2008 geltenden Fassung1 spielt für die Beurteilung der Nichtigkeit des angegriffenen Bescheids keine Rolle. Denn die Fehlerhaftigkeit des Bescheids beruht auf der Grundlage der Darstellung der GmbH nicht auf der Verfassungswidrigkeit des § 8c KStG in der bis zum Veranlagungszeitraum 2008 geltenden Fassung. Sie beruht danach vielmehr auf der Nichtanwendung der für den in Rede stehenden Veranlagungszeitraum 2011 tatsächlich geltenden, für die GmbH günstigen Gesetzesbestimmung des § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG durch das Finanzamt.

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Steuerrecht im Juni 2015

Auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15.05.20022 ergibt sich nichts anderes.

Jenes Urteil betraf einen offenkundigen Schätzungsfehler und enthält die Aussage, dass ein Schätzungsbescheid willkürlich und damit nichtig i.S. von § 125 Abs. 1 AO nicht nur bei subjektiver Willkür des handelnden Bediensteten sein kann. Auch wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweiche und in keiner Weise erkennbar sei, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt worden seien, wenn somit ein „objektiv willkürlicher“ Hoheitsakt vorliege, sei Nichtigkeit gegeben. Es sei dann davon auszugehen, dass die Schätzung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang stehe, weil das Finanzamt grundsätzlich gehalten sei, diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, auszuschöpfen. Die Schätzung dürfe nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten; „Strafschätzungen“ eher enteignungsgleichen Charakters gelte es zu vermeiden.

Mit einer derart auf objektiver Willkür beruhenden Schätzung kann der im Streitfall in Rede stehende Fehler der Anwendung einer nicht auf dem aktuellen Stand befindlichen Gesetzessammlung durch das Finanzamt auch nicht annähernd gleichgesetzt werden. Das gilt umso mehr, als nichts dafür ersichtlich ist, dass die GmbH sich im Veranlagungsverfahren gegenüber dem Finanzamt vor Ergehen des Bescheids in irgendeiner Weise auf § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG berufen und zu den Voraussetzungen der Stille-Reserven-Klausel vorgetragen hatte, sodass der Sachbearbeiterin die Problematik bei der Vorbereitung des Bescheids hätte vor Augen stehen müssen.

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Kein Werklohn für Schwarzarbeit

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 31. Mai 2017 – I B 102/16

  1. s. jetzt auch BVerfG, Beschluss vom 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, DStR 2017, 1094[]
  2. BFH, Urteil vom 15.05.2002 – X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415[]