Die Nichtgewährung einer in der mündlichen Verhandlung beantragten Schriftsatzfrist verletzt nur dann den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des anderen Beteiligten nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist.

So hat auch in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall das erstinstanzlich tätige Finanzgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass es einen Schriftsatznachlass nicht gewährt hat, damit der Kläger hätte ausführen können, dass seine materielle und prozessuale Situation der des Klägers des Verfahrens des Bundesverfassungsgerichts1 entspreche.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) umfasst vor allem das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen2.
Die Nichtgewährung einer in der mündlichen Verhandlung beantragten Schriftsatzfrist verletzt nur dann den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des anderen Beteiligten nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Nur für diesen Fall sehen § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 283 der Zivilprozessordnung das Nachbringen schriftsätzlicher Erklärungen vor3.
Unabhängig davon, dass der Kläger nicht darlegt, was er ergänzend noch ausgeführt hätte und inwiefern dies unter Zugrundelegung der -im Übrigen zutreffenden4- Rechtsauffassung des Finanzgericht hätte ausschlaggebend sein können oder warum das Finanzgericht zu einer Vertagung von Amts wegen verpflichtet gewesen wäre, obwohl er weder einen Vertagungsantrag gestellt noch Schriftsatznachlass beantragt hat, ist zumindest hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Erbschaftsbesteuerung in der mündlichen Verhandlung nichts Neues vorgetragen worden, zu dem sich der Kläger nicht hätte erklären können.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17. Januar 2022 – II B 49/21
- BVerfG, Urteil in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschlüsse vom 12.06.2020 – II B 46/19, BFH/NV 2020, 1273, Rz 19; und vom 27.10.2020 – XI B 33/20, BFH/NV 2021, 459, Rz 17, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 10.12.2012 – VI B 135/12, BFH/NV 2013, 569, Rz 8; und vom 17.07.2019 – II B 35-37/18, BFHE 265, 14, BStBl II 2020, 394, Rz 21, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 06.05.2021 – II R 1/19[↩]