Säumniszuschläge entstehen gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kraft Gesetzes.

Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, entstehen gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO (grundsätzlich, § 240 Abs. 3 Satz 1 AO) für jeden angefangenen Monat der Säumnis Säumniszuschläge in Höhe von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags.
Säumniszuschläge fallen nach dem Gesetz unabhängig davon an, ob eine Steuer zutreffend festgesetzt wird. Sie bleiben gemäß § 240 Abs. 1 Satz 4 AO von einer Korrektur der Steuerfestsetzung (wie sie im hier entschiedenen Streitfall erfolgt ist) unberührt [1]. Sie sind nicht mit Verzugszinsen des BGB gleichzusetzen, sondern ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll, sie haben also eine Druckfunktion [2]. Sie dienen außerdem dem Ausgleich für die unterbliebene oder verspätete Zahlung fälliger Steuern und für Verwaltungsaufwendungen, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß gezahlt wird. Sie haben somit also auch eine Ausgleichsfunktion. In dieser zweiten Funktion entsprechen Säumniszuschläge den Aussetzungs- (§§ 237, 238 AO) oder Stundungszinsen (§ 234 AO), die unabhängig von einem Verschulden des Steuerschuldners anfallen [3].
Der Tatbestand des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO kann trotz Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfüllt sein. Wie bereits ausgeführt, entstehen Säumniszuschläge nach dieser Vorschrift kraft Gesetzes. Eine Vorschrift, wonach für die Dauer der Masseunzulänglichkeit gemäß §§ 208 ff. InsO entgegen § 240 AO keine Säumniszuschläge anfallen, gibt es nicht.
§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO enthält einen Insolvenzvorbehalt für die Vollstreckung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, nicht für deren Entstehung.
Im regulären Insolvenzverfahren können Säumniszuschläge anfallen, wenn Masseverbindlichkeiten nicht beglichen werden (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO) [4].
Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 InsO führt gemäß § 209 Abs. 1 InsO lediglich dazu, dass sich die Rangfolge der Forderungen ändert. Die Vorschrift verbietet es dem Insolvenzverwalter jedoch nicht, sonstige Masseforderungen i.S. des § 53 InsO zu erfüllen, sondern regelt im Gegenteil, in welcher Reihenfolge sie zu berichtigen sind, also ‑soweit möglich- erfüllt werden müssen [5]. Die Änderung der Rangfolge wird durch § 210 InsO abgesichert, wonach Altmassegläubigern die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit i.S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO untersagt ist. Hierdurch sollen die Fortsetzung der Verwaltung und Verwertung der Masse trotz Masseunzulänglichkeit ermöglicht und der Insolvenzverwalter geschützt werden, dessen Pflicht zur Verwaltung und Verwertung der Masse fortbesteht (§ 208 Abs. 3 InsO) und dem dies nicht ohne Aussicht auf eine Entlohnung zugemutet werden kann. Diese Regelung dient einer geordneten Vermögensverwertung während der Zeit der Masseunzulänglichkeit mit dem Ziel einer Schuldentilgung bzw. Zahlung (soweit trotz Masseunzulänglichkeit möglich), bezweckt also das Gegenteil eines Zahlungsverbots.
Ein Grund für die Annahme des Insolvenzverwalters, dass nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entgegen dem Wortlaut des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO keine Säumniszuschläge kraft Gesetzes entstehen, ist somit nicht ersichtlich.
Eine systemwidrige Sonderstellung des Fiskus oder ein Widerspruch zum Prinzip der Gleichbehandlung der Gläubiger ist nicht erkennbar. Zum einen können auch zivile Gläubiger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit einen Zinsanspruch haben, z.B. soweit der Insolvenzverwalter die Verteilungsmasse schuldhaft verzögert ausschöpft [6]. Zum anderen kann der Anfall der Säumniszuschläge im Erlassverfahren zu korrigieren sein.
Nach diesen Grundsätzen sind im Streitfall trotz Anzeige der Masseunzulänglichkeit Säumniszuschläge in der von der Vorentscheidung angenommenen Höhe angefallen.
Infolge der Steueranmeldung unter der Massesteuernummer in der vom Insolvenzverwalter abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldung ist (hier:) für Juni 2011 eine Masseverbindlichkeit entstanden. Bedenken im Hinblick darauf, dass nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit grundsätzlich nur noch Feststellungsklagen statthaft sind [7], bestehen nicht, da das Finanzamt keinen Steuerbescheid erlassen, sondern der Insolvenzverwalter die Steuer angemeldet hat. Zudem gilt das aus § 210 InsO abgeleitete Verbot der Leistungsklage nur für Altmasseschulden gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO [8] und nicht über die Dauer der Masseunzulänglichkeit hinaus.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. September 2019 – VII R 31/18
- BFH, Urteil vom 18.09.2018 – XI R 36/16, BFHE 262, 297, BStBl II 2019, 87[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 09.07.2003 – V R 57/02, BFHE 203, 8, BStBl II 2003, 901, und BFH, Urteil vom 13.01.2000 – VII R 91/98, BFHE 191, 5, BStBl II 2000, 246, Rz 20 f.[↩]
- vgl. etwa BFH, Beschluss vom 02.03.2017 – II B 33/16, BFHE 257, 27, BStBl II 2017, 646, Rz 32; BFH, Urteile vom 30.03.2006 – V R 2/04, BFHE 212, 23, BStBl II 2006, 612, Rz 17; und vom 18.04.1996 – V R 55/95, BFHE 180, 516, BStBl II 1996, 561[↩]
- Heuermann/Hepp/Spitaler ‑HHSp‑, § 240 AO Rz 97; Klein/Rüsken, AO, 14. Aufl., § 240 Rz 49; Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 38 Rz 67 ff., 71; BFH, Urteil in BFHE 180, 516, BStBl II 1996, 561, zur KO[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 16.12.2003 – VII R 42/01, BFH/NV 2004, 908, Rz 37, zur KO[↩]
- vgl. Ries in Uhlenbruck, a.a.O., § 210 Rz 21[↩]
- z.B. BGH, Urteil vom 03.04.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358; vgl. außerdem BFH, Urteil vom 29.08.2007 – IX R 58/06, BFHE 218, 432, BStBl II 2008, 322, Rz 12 f.; und vom 29.01.2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682[↩]
- z.B. Kießner in Braun, Insolvenzordnung, 7. Aufl.2017, § 210 InsO, Rz 4[↩]
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