Säumniszuschläge – und die Frage ihrer Verfassungswidrigkeit

Gegen die Höhe der nach § 240 AO zu entrichtenden Säumniszuschläge bestehen für Jahre ab 2012 jedenfalls insoweit erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, als den Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion.

Säumniszuschläge – und die Frage ihrer Verfassungswidrigkeit

Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7 FGO).

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestehen ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen, wird dabei nicht vorausgesetzt1. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein2.

Vollzogen i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 7 FGO ist ein Verwaltungsakt auch im Falle einer Aufrechnung. Diese ist nach Anordnung einer Aufhebung der Vollziehung vorläufig rückgängig zu machen3.

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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist dem Antragsteller die begehrte Aufhebung der Vollziehung der streitgegenständlichen Säumniszuschläge in der beantragten Höhe zu gewähren.

Der BFH hat wiederholt entschieden, dass gegen die Höhe der in § 233a der Abgabenordnung (AO) und in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO normierten Zinssätze ab dem Jahr 2012 erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, die eine Aussetzung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO geboten erscheinen lassen4.

Der beschließende Bundesfinanzhof wiederum hat bereits festgestellt, dass unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen5. Dies gilt jedenfalls insoweit, als Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion6. Ob und inwieweit der weitere Zweck, den Verwaltungsaufwand auszugleichen, hier ebenfalls zu berücksichtigen ist, ist bislang nicht entschieden7.

Vor diesem Hintergrund war im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall die Vollziehung des angefochtenen Abrechnungsbescheids hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für August 2018 in der beantragten hälftigen Höhe aufzuheben.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26. Mai 2021 – VII B 13/21 (AdV)

  1. vgl. BFH, Beschluss vom 15.04.2020 – IV B 9/20 (AdV), BFH/NV 2020, 919, m.w.N.[]
  2. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschluss vom 04.07.2019 – VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060, m.w.N.[]
  3. vgl. BFH, Beschluss vom 24.10.1996 – VII B 122/96, BFH/NV 1997, 257, unter 2.b bb; s.a. BFH, Beschluss vom 15.03.1999 – I B 95/98, BFH/NV 1999, 1205, unter II. 3.b, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 69 Rz 175[]
  4. s. vor allem BFH, Beschluss vom 25.04.2018 – IX B 21/18, BFHE 260, 431, BStBl II 2018, 415; ebenso BFH, Beschlüsse vom 11.02.2020 – VIII B 131/19, BFH/NV 2020, 507, Rz 29; in BFH/NV 2019, 1060, Rz 16; und vom 03.09.2018 – VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279, jeweils m.w.N.[]
  5. s. BFH, Beschluss vom 14.04.2020 – VII B 53/19, BFH/NV 2021, 177, Rz 3; vgl. auch BFH, Urteil vom 30.06.2020 – VII R 63/18, BFHE 270, 7, BStBl II 2021, 191, Rz 23[]
  6. vgl. dazu BFH, Beschluss vom 21.10.2020 – VII B 121/19, BFH/NV 2021, 326, Rz 33; zur Einordnung von Säumniszuschlägen als Druckmittel mit Zinscharakter s.a. BFH, Urteil vom 29.08.1991 – V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906, unter B.II. 2.a, m.w.N., und BFH, Urteil vom 25.02.1997 – VII R 15/96, BFHE 182, 480, BStBl II 1998, 2, unter 2.b cc; ebenso: Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 240 Rz 1[]
  7. s. hierzu die Argumente von Steck, DStZ 2019, 143[]
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