Streubesitzdividenden – und die Berechnung der Beteiligungsschwelle

Der Begriff „Beteiligung“ bei der Berechnung der Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG für sogenannte Streubesitzdividenden (10 %) nimmt auf die allgemeinen Grundsätze der steuerrechtlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern (§ 39 AO) Bezug. Entscheidend ist somit das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen.

Streubesitzdividenden – und die Berechnung der Beteiligungsschwelle

Nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bleiben Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. In diesem Fall gelten 5 % dieser Bezüge als nicht abziehbare Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG).

Die Steuerfreistellung gilt nach § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG allerdings dann nicht, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat1. Die Höhe der Beteiligung ist dabei ohne Anwendung des § 13 Abs. 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes zu ermitteln (§ 8b Abs. 4 Satz 2 KStG). Überlässt eine Körperschaft Anteile an einen anderen und hat der andere diese oder gleichartige Anteile zurückzugeben, bleiben die Anteile der überlassenden Körperschaft zugerechnet (§ 8b Abs. 4 Satz 3 KStG). Im Übrigen gilt ein strenges Stichtagsprinzip2; maßgebend ist die Höhe der Beteiligung zu Beginn eines Kalenderjahres. Allerdings gilt nach § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % als zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt.

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§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG stellt auf die Beteiligung am Grund- oder Stammkapital ab. Hieraus folgt zunächst, dass inkongruente Gewinn- oder Stimmrechtsverteilungen nicht entscheidend sind3.

Für die Ermittlung der Höhe der Beteiligung kommt es nicht allein auf das zivilrechtliche Eigentum an. Vielmehr ist die steuerrechtliche Zurechnung der Kapitalanteile nach § 39 AO maßgebend4.

Dies folgt bereits daraus, dass sich § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG auf „Bezüge im Sinne des Absatzes 1“ bezieht und als Rechtsfolge anordnet, diese Bezüge „abweichend von Absatz 1 Satz 1“ bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen. Aus dieser Bezugnahme ist zu schließen, dass es auch bei der Beteiligungsschwelle im Sinne des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG nur um diejenigen Anteile gehen kann, die zu Bezügen im Sinne des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG führen können5. Für die im Streitfall maßgeblichen Einkünfte aus Dividenden im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt dies nach der Maßgabe des § 20 Abs. 5 EStG eine Zurechnung der Anteile nach § 39 AO voraus. Die damit verbindliche Anwendung des steuerrechtlichen Konzepts des sogenannten wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO6 ist auch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Tatbestand des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG an zivilrechtliche Begriffe (Grund- oder Stammkapital) anknüpft7.

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Der Verweis auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 09.06.20168 führt zu keinem anderen Ergebnis9. Zwar hat das Finanzgericht Köln in dieser Entscheidung auf die zivilrechtliche Rechtslage abgestellt. Allerdings ging es dort nicht um die Übertragung bereits bestehender Anteile, sondern um eine rückwirkende Zurechnung von Anteilen, die infolge einer Kapitalerhöhung zeitlich erst nach dem für § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG maßgeblichen Stichtag rechtlich entstanden waren. Im Übrigen ist der allgemeinen und nicht mit weiteren Substantiierungen verbundenen Einschätzung des Finanzgericht, die Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Rechtslage sei zur Missbrauchsvermeidung erforderlich, nicht zu folgen. Zumindest die streitgegenständliche Konstellation der Übertragung von Anteilen wäre für missbräuchliche Gestaltungen anfälliger, wenn es allein auf die formal zivilrechtliche Übertragung und nicht auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ankäme, was sich zum Beispiel an § 8b Abs. 10 KStG erweist10. Im Übrigen wäre der Gesetzgeber -soweit er Missbrauchsgefahren identifizieren könnte- gehalten, wie in § 8b Abs. 4 Satz 4 KStG besondere Missbrauchsvermeidungsnormen zu schaffen, oder es ist bei der Rechtsanwendung auf § 42 AO zurückzugreifen. Nicht zuletzt ist der zur Entscheidung stehende Sachverhalt durch den Umstand gekennzeichnet, dass das zivilrechtliche Fehlgehen des Erwerbs Ende 2013 gerade nicht im (steuerrechtlich induzierten) Interesse der Erwerberin lag, da sie die Beteiligungsschwelle infolge eines (erfolgreichen) Erwerbs gerade überschreiten wollte, um dadurch die Steuerfreiheit der im Streitjahr anfallenden Dividenden sicherzustellen.

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Nach § 39 Abs. 1 AO kommt es für die steuerrechtliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern zunächst auf das zivilrechtliche Eigentum an. Allerdings ist nach  § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ein Wirtschaftsgut demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über dieses Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den (zivilrechtlichen) Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kommt es beim Erwerb von Aktien darauf an, ob der Erwerber eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und ob die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) sowie die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf ihn übergegangen sind11. Maßgebend sind aber letztlich nicht einzelne Strukturelemente, sondern wem nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis zusteht. Dabei ist für den Fall des Erwerbs von Wertpapieren zu berücksichtigen, dass die „Rechtsmacht“ des Erwerbers vom Inhaber des Wertpapiers (als Verkäufer) abgeleitet sein muss und somit der konkrete Ausschluss der (wirtschaftlichen) Inhaberschaft des Verkäufers erforderlich ist12.

Dabei ist dem fehlenden Übergang der mit den Aktien verbundenen Verwaltungsrechte (insbesondere der Stimmrechte) keine entscheidende Bedeutung beizumessen, wenn es allein in der Hand der Erwerberin liegt, die aufschiebende Bedingung durch Zahlung des bereits fälligen Kaufpreises eintreten zu lassen und dadurch die entsprechenden Verwaltungsrechte (einschließlich der Stimmrechte) vollständig an sich zu ziehen.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. Juni 2023 – I R 50/19

  1. zur Frage der Vereinbarkeit dieser Regelung mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes s. BFH, Urteil vom 18.12.2019 – I R 29/17, BFHE 268, 21, BStBl II 2020, 690; die Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos, s. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.03.2022 – 2 BvR 1832/20, nicht veröffentlicht[]
  2. Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8b Rz 288d[]
  3. Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8b Rz 288a; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 8b Rz 445; Watermeyer in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8b KStG Rz 128; zu der vergleichbaren Formulierung der gewerbesteuerrechtlichen sogenannten Schachtelgrenze in § 9 Nr. 2a des Gewerbesteuergesetzes s. BFH, Beschluss vom 30.05.2014 – I R 12/13, BFH/NV 2014, 1402[]
  4. so auch Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 8b Rz 438; Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8b KStG Rz 281; Brühl/Weiss, Die Unternehmensbesteuerung -Ubg- 2020, 339, 346; Loritz, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2020, 1287, 1289 f.; zum „Erwerb“ einer Beteiligung im Sinne des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG auch Watermeyer in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8b KStG Rz 137; s.a. -zu § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG- BFH, Urteil vom 23.11.2022 – I R 36/19, GmbH-Rundschau -GmbHR- 2023, 624[]
  5. vgl. auch Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 8b Rz 438[]
  6. z.B. BFH, Urteile vom 02.02.2022 – I R 22/20, BFHE 276, 20, BStBl II 2022, 324; vom 04.05.2022 – I R 19/18, BFHE 276, 508[]
  7. zutreffend Loritz, DStR 2020, 1287, 1291[]
  8. FG Köln, Urteil vom 09.06.2016 – 10 K 1128/15, EFG 2016, 1542[]
  9. ebenso Tiedchen, EFG 2020, 478, 479; Brühl/Weiss, Ubg 2020, 339, 346[]
  10. s.a. Brühl/Weiss, Ubg 2020, 339, 346[]
  11. s. nur BFH, Urteil vom 02.02.2022 – I R 22/20, BFHE 276, 20, BStBl II 2022, 324, m.w.N.[]
  12. vgl. BFH, Urteil vom 02.02.2022 – I R 22/20, BFHE 276, 20, BStBl II 2022, 324, m.w.N.[]
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