Teil-Einspruchsentscheidung oder abschließende Einspruchsentscheidung?

Ob eine abschließende Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 1 AO) oder eine Teil-Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a AO) vorliegt, ist im Zweifel durch Auslegung nach dem objektiven Verständnishorizont des Empfängers zu ermitteln.

Teil-Einspruchsentscheidung oder abschließende Einspruchsentscheidung?

Die in der Einspruchsentscheidung fehlende Auseinandersetzung des Finanzamts mit einem der Streitpunkte (hier: „Provisionserlöse“) hat nicht den Erklärungswert, dass die Einspruchsentscheidung auf den anderen Streitpunkt (hier: „Vorsteuerabzug“) beschränkt war, sondern offenbart lediglich das teilweise Fehlen einer nach § 366 AO erforderlichen Begründung.

Die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, entscheidet nach § 367 Abs. 1 AO über den Einspruch durch Einspruchsentscheidung. Die Finanzbehörde kann jedoch gemäß § 367 Abs. 2a AO vorab über Teile des Einspruchs entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Sie hat in dieser Entscheidung zu bestimmen, hinsichtlich welcher Teile Bestandskraft nicht eintreten soll. Die danach zulässige (Teil-)Einspruchsentscheidung ist ein (teilweiser) Abschluss des Einspruchsverfahrens und setzt eine nur (teilweise) Entscheidungsreife voraus. Soweit über einen Einspruch dagegen einheitlich entschieden werden kann, trifft die Finanzbehörde die Pflicht, über ihn insgesamt zu entscheiden. Andernfalls träte insoweit eine Verfahrensverzögerung ein, die ihrerseits eines sachlichen Grundes bedürfte. Bei einer teilweisen Entscheidungsreife eines Einspruchs ist die Teil-Einspruchsentscheidung im Allgemeinen sachdienlich, soweit dem keine besonderen Umstände entgegenstehen1.

Ausweislich der Gesetzesmaterialien soll es § 367 Abs. 2a AO den Finanzbehörden ermöglichen, zunächst nur über Teile des Einspruchs zu befinden, wenn über einen Teil des Einspruchs deshalb noch nicht entschieden werden kann, weil beispielsweise eine vom Einspruchsführer aufgeworfene Rechtsfrage Gegenstand eines beim BFH anhängigen Verfahrens ist und nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs eine einvernehmliche Erledigung des Rechtsstreits zu erwarten ist. Die Teil-Einspruchsentscheidung dient dann dazu, dem Steuerpflichtigen hinsichtlich des entscheidungsreifen Teils einen schnelleren gerichtlichen Rechtsschutz zu eröffnen2.

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Ob es sich um eine endgültige Einspruchsentscheidung oder lediglich um eine Teil-Einspruchsentscheidung handelt, ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln. Hierfür gelten die Grundsätze für die Auslegung von Verwaltungsakten, da eine Einspruchsentscheidung ihrerseits den Charakter eines Verwaltungsaktes i.S. des § 118 AO besitzt3. Dessen Inhalt ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei die §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch für öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltende Auslegungsregeln enthalten4. Entscheidend ist danach, wie der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen -seinem „objektiven Verständnishorizont“5- den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte6.

Bei der Auslegung eines Verwaltungsaktes kommt es somit weder darauf an, was die Finanzbehörde mit ihrer Erklärung gewollt hat7 noch darauf, wie ein außenstehender Dritter die Erklärung der Behörde auffassen konnte bzw. musste8. Da der Verwaltungsakt nur mit dem bekanntgegebenen Inhalt wirksam wird, muss aber die Auslegung zumindest einen Anhalt in der bekanntgegebenen Regelung haben9. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf10.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Finanzgericht Düsseldorf im vorliegenden Fall zu Recht entschieden, dass die Einspruchsentscheidungkeine Teil-Einspruchsentscheidung darstellt11. Sie ist weder als solche bezeichnet noch ergibt sich durch Auslegung der Einspruchsentscheidung, dass es sich um eine Teil-Einspruchsentscheidung handelt.

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Das Rubrum der Einspruchsentscheidungenthält nach dem objektiven Verständnishorizont des Klägers keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Teil-Einspruchsentscheidung handeln könnte. Denn der Verwaltungsakt ist mit „Einspruchsentscheidung“ und nicht einschränkend mit „Teil-Einspruchsentscheidung“ bezeichnet. Darüber hinaus lautet der Tenor „Der Einspruch wird als unbegründet zurückgewiesen“ ohne eine Bestimmung dazu, hinsichtlich welcher Teile die Bestandskraft nicht eintreten soll. Dies kann durch die für eine Teil-Einspruchsentscheidung übliche Formulierung „Der Einspruch wird, soweit hierdurch über ihn entschieden [wird], als unbegründet zurückgewiesen“ erfolgen12 oder dadurch, dass der Einspruch „nur insoweit als unbegründet [zurückgewiesen wird], als (…)“13.

Auch die „Gründe“ der Einspruchsentscheidung enthalten im vorliegenden Fall aus der objektivierten Sicht des Klägers keinerlei Anhaltspunkte für eine auf den Streitkomplex „Vorsteuerabzug“ beschränkte Teil-Einspruchsentscheidung:

Der „Tatbestand“ der Einspruchsentscheidung erwähnt ausdrücklich, dass das Finanzamt im Rahmen einer Betriebsprüfung die „Umsatzsteuerpflicht der Geschäftsvorfälle aus den …“ feststellte und die Umsätze entsprechend erhöhte. Die weiteren Ausführungen des Finanzamtes zur Unbegründetheit des Einspruchs beschränken sich zwar, wie der Kläger zu Recht geltend macht, auf die Frage des Vorsteuerabzugs aus den drei Rechnungen einer Firma B. Die unterlassene Auseinandersetzung des Finanzamtes mit dem Streitpunkt „Provisionserlöse“ hat aber nicht den Erklärungswert, dass die Einspruchsentscheidung auf diesen Punkt beschränkt wurde, sondern offenbart lediglich das Fehlen der nach § 366 AO erforderlichen Begründung. Auch wenn es sich bei der Begründung der Einspruchsentscheidung um eine rechtsstaatliche Notwendigkeit handelt14, führt das Fehlen einer Begründung nicht zur Nichtigkeit der Einspruchsentscheidung, sondern bewirkt als Verfahrensfehler lediglich die Rechtswidrigkeit der Einspruchsentscheidung15. Der Kläger hat einen derartigen Verfahrensfehler im (ersten) Klageverfahren16 aber nicht geltend gemacht, sondern ausweislich des Tatbestands des FG, Urteils lediglich den versagten Vorsteuerabzug thematisiert und beantragt, die Umsatzsteuer insoweit herabzusetzen.

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Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Teil-Einspruchsentscheidung eine Ermessensentscheidung darstellt („kann“, vgl. § 367 Abs. 2a Satz 1 AO) und daher grundsätzlich eine Begründung erfordert. Ist eine Teil-Einspruchsentscheidung sachdienlich, so ist sie in der Regel auch ermessensgerecht. Im Hinblick auf die Vorprägung des Ermessens bedarf es dann keiner (weiteren) Begründung17. Im Streitfall enthält die Einspruchsentscheidung jedoch weder Ausführungen des Finanzamtes zum Vorliegen einer Sachdienlichkeit noch ist ersichtlich, dass eine Sachdienlichkeit nach dem objektiven Verständnishorizont des Klägers vorlag. Dessen Einspruch betraf zwar zwei streitige Sachverhaltskomplexe, von diesen war aber nicht nur der Streitpunkt „Vorsteuerabzug“ entscheidungsreif, sondern auch der Streitpunkt „Provisionserlöse“. Das Finanzamt hat daher den Einspruch zur „Umsatzsteuer 2006“ zu Recht als insgesamt unbegründet zurückgewiesen. Selbst nach dem Vortrag des Klägers, wonach hinsichtlich der Provisionserlöse bereits im Februar 2012 eine Einigung über deren Steuerfreiheit erzielt worden sei, wäre eine Teil-Einspruchsentscheidung nicht sachdienlich gewesen. Denn danach war der Teilkomplex „Provisionserlöse“ im Sinne eines Abhilfebescheids entscheidungsreif.

Schließlich spricht auch die vom Kläger mit seinem Einspruch vom 20.04.2011 beantragte; und vom Finanzamt sukzessive am 01.06.2011 sowie am 28.07.2011 gewährte AdV in Höhe des gesamten Streitbetrags dafür, dass beide Streitpunkte den Gegenstand des Einspruchsverfahrens bildeten. Denn das Finanzamt hatte die dem Kläger in voller Höhe gewährte AdV mit der Nebenbestimmung verbunden, dass sie einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (automatisch) ende.

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Ohne Erfolg beruft sich der Kläger für das Vorliegen einer Teil-Einspruchsentscheidung auf das Urteil des Finanzgericht Münster vom 31.10.201918. Nach dem dort zugrunde liegenden Sachverhalt lagen zwei Einsprüche zu zwei verschiedenen Streitpunkten vor (Streit um die Erstattungsleistungen vom Bundesamt für Zivildienst einerseits, Streit um die Steuerpflicht der Umsätze aus der Beköstigung des pädagogischen Personals andererseits). Die Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass hinsichtlich des Einspruchsverfahrens – I der Rechtsstreit mit Zustimmung des Klägers zum Ruhen gebracht worden war, weil eine höchstrichterliche Entscheidung zur Klärung der Rechtslage abgewartet werden sollte19. Der vorliegende Streitfall ist mit dem vom Finanzgericht Münster entschiedenen Fall weder vom Sachverhalt noch hinsichtlich seiner rechtlichen Erwägungen vergleichbar.

Die Einspruchsentscheidungkann auch nicht im Hinblick auf eine dem Kläger gegebene mündliche „Zusage“ als Teil-Einspruchsentscheidung ausgelegt werden. Eine verbindliche Zusage nach der Außenprüfung (§§ 204 ff. AO) scheitert bereits daran, dass sie nicht schriftlich erteilt wurde (§ 205 Abs. 1 AO). Eine sonstige Auskunft mit bindender Wirkung (Zusage) setzt voraus, dass die Finanzbehörde durch einen für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträger (Sachgebietsleiter oder Vorsteher) vertreten wird20. Die im Streitfall vom Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle mündlich in Aussicht gestellte Abhilfe legt daher nahe, dass es sich lediglich um eine unverbindliche Meinungsäußerung handelte21.

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Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12. Mai 2022 – V R 31/20

  1. BFH, Urteil vom 14.03.2012 – X R 50/09, BFHE 237, 14, BStBl II 2012, 536, Rz 36[]
  2. vgl. BT-Drs. 16/3368, S. 25 zu Nr. 13b[]
  3. vgl. nur Seer in Tipke/Kruse, § 366 AO Rz 1[]
  4. BFH, Urteil vom 10.05.2012 – IV R 34/09, BFHE 239, 485, BStBl II 2013, 471[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 08.11.1995 – V R 64/94, BFHE 179, 211, BStBl II 1996, 256[]
  6. BFH, Urteile vom 18.04.1991 – IV R 127/89, BFHE 164, 185, BStBl II 1991, 675; und vom 11.07.2006 – VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96[]
  7. BFH, Urteil vom 11.05.1999 – IX R 72/96, BFH/NV 1999, 1446[]
  8. BFH, Urteil vom 30.09.1988 – III R 218/84, BFH/NV 1989, 749[]
  9. BFH, Urteile vom 28.11.1985 – IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293, und in BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96; BFH, Beschluss vom 16.03.2001 – IV B 17/00, BFH/NV 2001, 1103[]
  10. BFH, Urteil in BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96[]
  11. FG Düsseldorf, Urteil vom 26.08.2020 – 5 K 3482/19 U[]
  12. vgl. hierzu BFH, Urteile vom 30.09.2010 – III R 39/08, BFHE 231, 7, BStBl II 2011, 11, Rz 8; in BFHE 237, 14, BStBl II 2012, 536, Rz 5; Krüger, DStZ 2009, 810, 816; Intemann, Der Betrieb 2008, 1005, 1008[]
  13. vgl. FG Hamburg, Urteil vom 16.06.2016 – 6 K 215/14, EFG 2016, 1456, Rz 10[]
  14. vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 366 AO Rz 5[]
  15. Seer in Tipke/Kruse, § 366 AO Rz 16; BFH, Beschluss vom 09.05.1996 – IV B 58/95, BFH/NV 1996, 871[]
  16. 5 K 1176/13 U[]
  17. BFH, Urteil in BFHE 237, 14, BStBl II 2012, 536, Rz 52[]
  18. FG Münster, Urteil vom 31.10.2019 – 15 K 1814/16 U, EFG 2020, 73, Revision anhängig: BFH – XI R 39/19[]
  19. vgl. BFH, Urteil vom 23.07.2009 – V R 93/07, BFHE 226, 435, BStBl II 2015, 735[]
  20. vgl. BFH, Beschluss vom 09.12.2004 – VII B 129/04, BFH/NV 2005, 663, m.w.N.[]
  21. Klein/Rüsken, AO, 14. Aufl., § 204 Rz 21[]
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