Erlässt das Finanzamt vor Ablauf der Einspruchsfrist eine (Teil-)Einspruchsentscheidung, ist ein nochmaliger Einspruch gegen die Steuerfestsetzung nicht statthaft, auch wenn er innerhalb der noch währenden Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO) eingelegt worden ist.

Gemäß § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten der Einspruch statthaft. Soweit das Einspruchsverfahren durch eine wirksame Einspruchsentscheidung abgeschlossen wird1, können Verwaltungsakte jedoch nur noch mit der Klage angefochten werden (§§ 40 ff. FGO); ein erneuter Einspruch gegen die Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig.
Ist das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren -wie vorliegend- durch eine (wirksame) Rechtsbehelfsentscheidung abgeschlossen worden, liegen zwei Verwaltungsakte vor, der ursprüngliche Verwaltungsakt und die (Teil-)Einspruchsentscheidung2.
Die Einspruchsentscheidung ist ein selbständiger Verwaltungsakt. Die Finanzbehörde entscheidet über den Fortbestand und Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes. Verwirft sie nicht lediglich den Einspruch als unzulässig (§ 358 AO), enthält die Einspruchsentscheidung eine materiell-rechtliche Regelung, weil sie den Regelungsinhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes -vorliegend die Steuerfestsetzung für das Jahr 2011- umgestaltet oder -wie im Streitfall dem Grunde und der Höhe nach- bestätigt3.
Verfahrensrechtlich bilden ursprünglicher Verwaltungsakt und Einspruchsentscheidung jedoch einen Rechtsverbund4, eine Verfahrenseinheit5 in der Weise, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt „in der Gestalt“ (mit dem Inhalt) zu beurteilen ist, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO). Die Vorschrift legt damit fest, gegen welche Einzelfallregelung die Klage zu richten ist und mit welchem Inhalt die angefochtene Einzelfallregelung in das Verfahren eingeht6.
Diese verfahrensrechtliche Einheit hat zum einen zur Folge, dass die Einspruchsentscheidung -obwohl Verwaltungsakt- nicht nochmals mit dem Einspruch (§ 348 Nr. 1 AO) und in der Regel auch nicht „isoliert“ angefochten werden kann7. Überdies kann eine Einspruchsentscheidung nicht neben einer gegen den Steuerbescheid gerichteten Klage gesondert im Klagewege angefochten werden8. Zum anderen entfällt wegen des „Verbundes“ von ursprünglichem Verwaltungsakt und Einspruchsentscheidung die Möglichkeit, den Ausgangsbescheid nach dem Ergehen einer Einspruchsentscheidung nochmals -in seiner ursprünglichen Gestalt- zum Gegenstand eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens zu machen. Denn in seiner ursprünglichen Form existiert der Ausgangsbescheid verfahrensrechtlich in einem solchen Fall nicht (mehr). § 44 Abs. 2 FGO behandelt das zweistufige Verwaltungshandeln insoweit vielmehr als Einheit. Ein erneuter Einspruch gegen die nämliche Steuerfestsetzung nach dem Ergehen einer Einspruchsentscheidung ist deshalb ausgeschlossen, auch wenn er innerhalb der Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO) eingelegt wird.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht der Statthaftigkeit des (erneuten) Einspruchs im Streitfall die auf den (ersten) Einspruch hin ergangene Teileinspruchsentscheidung entgegen. Diese Teileinspruchsentscheidung ist wirksam ergangen. Es ist nicht ersichtlich, dass sie an einem schweren offenkundigen Mangel gemäß § 125 AO leidet. Allein der Umstand, dass sie vor Ablauf der Einspruchsfrist ergangen ist, vermag einen solchen Fehler nicht zu begründen. Denn selbst wenn das Finanzamt verpflichtet sein sollte, eine Einspruchsentscheidung erst nach Ablauf der Einspruchsfrist zu erlassen -was der Bundesfinanzhof hier offen lassen kann-, führte ein Verstoß dagegen nur zur Rechtswidrigkeit der Einspruchsentscheidung, die der Steuerpflichtige im Rahmen eines hiergegen gerichteten Klageverfahrens geltend machen müsste. Damit ist das Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres, das mit dem Einspruch vom 04.06.2012 in Gang gesetzt wurde, abgeschlossen worden und der erneute Einspruch gegen die nämliche Steuerfestsetzung ausgeschlossen.
Das Finanzgericht hatte auch keinen Anlass, den nicht statthaften (nochmaligen) Einspruch als beim Finanzamt angebrachte (§ 47 Abs. 2 FGO) Klage gegen die Einkommensteuerfestsetzung in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung auszulegen. Denn eine solche Auslegung des Schreibens der fachkundig vertretenen Kläger ist vorliegend nicht möglich.
Der Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art.19 Abs. 4 des Grundgesetzes) verpflichtet das Finanzgericht, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Maßgebend ist nicht nur die Wortwahl des Steuerpflichtigen, sondern der gesamte Inhalt seiner Willenserklärung9; auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände können berücksichtigt werden10. Die Wahrung einer Klagefrist erfordert daher nicht in jedem Falle die Bezeichnung als Klageschrift oder die technisch zutreffende Formulierung des Klageantrags11.
Nach diesen Maßstäben und in Anbetracht der Rechtsmittelbelehrung der Teileinspruchsentscheidung war das Schreiben der Kläger vom 06.07.2012 nicht als Klage (§§ 40 Abs. 1, 63 ff. FGO) auszulegen, da es weder an das Finanzgericht gerichtet war noch den (unbedingten) Willen zur gerichtlichen Überprüfung der Teileinspruchsentscheidung zum Ausdruck brachte, sondern ohne Bezugnahme auf diese namens und im Auftrag der Kläger Einspruch eingelegt und angekündigt wurde, dass die Einspruchsbegründung nachgereicht werde.
Schließlich lagen im Streitfall auch die Voraussetzungen für eine schlichte Änderung des streitigen Einkommensteuerbescheides nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht vor.
Ein wirksamer Antrag auf „schlichte“ Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. Sätzen 2 und 3 AO zugunsten des Steuerpflichtigen muss auf eine bestimmte Änderung gerichtet sein und deshalb das verfolgte Änderungsbegehren innerhalb der Einspruchsfrist oder der Klagefrist seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen zu erkennen geben12.
Ein dergestalt bestimmbares Änderungsbegehren haben die Kläger erstmals mit der Einspruchsbegründung vom 03.09.2012 und damit jedenfalls erst nach Ablauf der Frist für eine Klage gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2011 vom 04.06.2012 in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung vom 21.06.2012 vorgetragen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. September 2014 – VI R 80/13
- vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 367 AO Rz 300[↩]
- BFH, Urteil vom 18.10.1972 – II R 110/69, BFHE 107, 409, BStBl II 1973, 187; Steinhauff in HHSp, § 44 FGO Rz 300; von Beckerath in Beermann/Gosch, FGO § 44 Rz 165; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 44 FGO Rz 16[↩]
- Steinhauff in HHSp, § 44 FGO Rz 301, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 29.06.1999 – VII B 303/98, BFH/NV 1999, 1585[↩]
- BFH, Urteil vom 19.05.1998 – I R 44/97, BFH/NV 1999, 314[↩]
- Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 44 Rz 31 f., m.w.N.[↩]
- Steinhauff in HHSp, § 44 FGO Rz 303; von Beckerath, a.a.O., FGO § 44 Rz 171, 178; Seer, a.a.O., § 44 FGO Rz 16 f.[↩]
- BFH, Urteil vom 30.01.1976 – III R 61/74, BFHE 118, 288, BStBl II 1976, 428[↩]
- z.B. BFH, Beschluss vom 07.11.2007 – I B 104/07, BFH/NV 2008, 799[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 16.04.2007 – VII B 98/04, BFH/NV 2007, 1345[↩]
- BGH, Urteil vom 06.11.2009 – V ZR 73/09, NJW 2010, 446; BFH, Beschluss vom 20.05.2014 – III B 82/13, BFH/NV 2014, 1505[↩]
- BFH, Urteile vom 27.10.1993 – XI R 17/93, BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439; vom 21.10.1999 – I R 25/99, BFHE 190, 285, BStBl II 2000, 283; vom 20.12 2006 – X R 30/05, BFHE 216, 31, BStBl II 2007, 503; und vom 25.09.2013 – VIII R 46/11[↩]