Übereinstimmende Erledigungserklärung – und die Aussetzungszinsen

Eine Anfechtungsklage ist im Falle der übereinstimmenden Erledigungserklärung auch dann mit Eingang der zweiten Erledigungserklärung oder mit Eintritt der Fiktion des § 138 Abs. 3 FGO endgültig i.S. des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO erfolglos, wenn der angefochtene Bescheid später auf Grundlage einer tatsächlichen Verständigung geändert wird.

Übereinstimmende Erledigungserklärung – und die Aussetzungszinsen

Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert, oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. Für den Zinslauf bestimmt § 237 Abs. 2 AO, dass Zinsen vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum Tag, an dem die AdV endet, erhoben werden. Ist die Vollziehung erst nach dem Eingang des außergerichtlichen Rechtsbehelfs oder erst nach der Rechtshängigkeit ausgesetzt worden, so beginnt die Verzinsung mit dem Tag, an dem die Wirkung der AdV beginnt. Die Zinsen betragen für jeden Monat einhalb Prozent (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO). Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz (§ 238 Abs. 1 Satz 2 AO).

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Gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Frist zur Festsetzung von Zinsen ein Jahr. Sie beginnt in den Fällen des § 237 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO).

Dabei kann offen bleiben, ob jede Art der Erledigung eines Rechtsbehelfs -etwa auch im Fall einer während der laufenden Einspruchsfrist erfolgten Einspruchsrücknahme1- zu dessen endgültiger Erfolglosigkeit führt2. In jedem Fall ist eine Anfechtungsklage nicht nur dann endgültig erfolglos, wenn sie durch unanfechtbare gerichtliche Entscheidung abgewiesen worden ist, sondern auch in Fällen, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklären3.

Dies gilt auch, sofern der angefochtene Bescheid im Anschluss an eine übereinstimmende Erledigungserklärung auf Grundlage einer tatsächlichen Verständigung geändert wird; eine endgültige Erfolglosigkeit i.S. des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO liegt nicht erst dann vor, wenn die geänderte Steuerfestsetzung bestandskräftig geworden ist.

§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO setzt -ebenso wie § 237 Abs. 1 Satz 1 AO- seinem Wortlaut nach die Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Anfechtungsklage voraus. Gegenstand dieser Rechtsbehelfe ist jedoch allein der angefochtene Bescheid4, der mit der übereinstimmenden Erledigungserklärung in Bestandskraft erwächst.

Mit dem Eingang der Erledigungserklärungen der Beteiligten bei Gericht findet das Klageverfahren in der Hauptsache sein Ende. Die Erledigungserklärungen sind konstitutiv, d.h. sie führen unmittelbar zur Beendigung des Rechtsstreits; ein gerichtlicher Ausspruch hierüber ist nicht erforderlich. Das Gericht darf nicht prüfen, ob die Hauptsache tatsächlich erledigt ist5. Es hat nur noch durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Daraus folgt, dass die angefochtene Steuerfestsetzung -ebenso wie bei einer Entscheidung durch Urteil- im Zeitpunkt der Abgabe der zweiten Erledigungserklärung oder dem Eintritt der Fiktion des § 138 Abs. 3 FGO unanfechtbar wird6.

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Ein Bedürfnis für einen abweichenden Beginn der Frist zur Festsetzung der Zinsen ergibt sich -auch unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie- nicht.

Im Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist im Rahmen der Zinsfestsetzung zu prüfen, in welchem Umfang der durch die Erklärungen beendete Rechtsstreit tatsächlich ohne Erfolg geblieben ist7. Aussetzungszinsen sind nicht zu erheben, soweit der angefochtene Verwaltungsakt antragsgemäß geändert wird und der Rechtsstreit in der Folge übereinstimmend für erledigt erklärt wird8. Wird jedoch der Rechtsstreit ohne vorherige Änderung des angefochtenen Bescheids übereinstimmend für erledigt erklärt, steht mit Abgabe der Erledigungserklärungen der geschuldete -und damit nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsende- Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, bestandskräftig fest.

Eine nachfolgende Änderung des angefochtenen Bescheids -sei sie auch im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung vereinbart- ist dabei unbeachtlich. Eine verständigungswidrige Nichtbeachtung führt lediglich zu einem rechtswidrigen Steuerbescheid9. Da im Verfahren gegen den Zinsbescheid grundsätzlich aber keine Umstände berücksichtigt werden können, die gegen die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Steuerfestsetzung sprechen10, ändert selbst eine tatsächliche Verständigung nichts daran, dass durch eine beidseitige Erledigungserklärung der angefochtene Bescheid formell bestandskräftig geworden ist und die Klage erfolglos war.

Eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung nach Beendigung des Klageverfahrens muss aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Anordnung in § 237 Abs. 5 AO unberücksichtigt bleiben11. Danach ist ein Zinsbescheid nicht aufzuheben oder zu ändern, wenn der Steuerbescheid nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird.

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Dies entspricht zum einen der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz), nach der § 237 Abs. 5 AO verdeutlichen soll, dass die Aussetzungszinsen ausschließlich nach dem Ergebnis des Rechtsbehelfsverfahrens zu bemessen sind und eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO unberücksichtigt bleiben soll12. Zum anderen trägt dies auch dem Zweck der Norm Rechnung, den während einer gewährten AdV beim Steuerpflichtigen, dessen Rechtsbehelfe ohne gesonderte Aussetzungsentscheidung nach § 361 Abs. 1 Satz 1 AO und § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO hinsichtlich der zu zahlenden Abgaben keine aufschiebende Wirkung entfalten, entstehenden Liquiditätsvorteil abzuschöpfen und zu verhindern, dass Rechtsbehelfs- und Klageverfahren lediglich geführt werden, um eine Entrichtung der Steuerschuld zinslos hinauszuschieben13. Maßgebend für die Festsetzung von Aussetzungszinsen ist damit allein der nach den Verhältnissen bei Beendigung des Rechtsbehelfsverfahrens bestimmte Steueranspruch14.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. Juni 2017 – I R 38/15

  1. s. dazu FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.10.1995 12 K 90/95, EFG 1996, 350; FG Berlin, Urteil vom 16.12 1997 2353/97, EFG 1998, 860[]
  2. so BFH, Beschluss vom 22.01.1988 – III B 134/86, BFHE 152, 212, BStBl II 1988, 484; BFH, Urteile vom 18.07.1994 – X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4; vom 11.12 1996 – X R 123/95, BFH/NV 1997, 275[]
  3. BFH, Urteile in BFH/NV 1997, 275; vom 09.12 1998 – XI R 24/98, BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201; BFH, Beschlüsse in BFHE 152, 212, BStBl II 1988, 484; vom 27.10.2003 – X B 36/03, BFH/NV 2004, 158[]
  4. vgl. BFH, Urteil in BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 239 Rz 8; vgl. für die Unbeachtlichkeit des Folgebescheids bei Rechtsbehelfen gegen Grundlagenbescheide BFH, Urteil vom 31.08.2011 – X R 49/09, BFHE 235, 107, BStBl II 2012, 219; BFH, Beschluss in BFH/NV 2004, 158[]
  5. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 29.10.1987 – X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121, m.w.N.[]
  6. BFH, Urteile vom 22.05.1984 – VIII R 60/79, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697; vom 24.01.2002 – III R 49/00, BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408; vom 14.05.2003 – XI R 21/02, BFHE 202, 228, BStBl II 2003, 888[]
  7. BFH, Beschlüsse in BFH/NV 2004, 158; in BFHE 152, 212, BStBl II 1988, 484[]
  8. BFH, Beschluss in BFH/NV 2004, 158; vgl. auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteile vom 01.02.1988 6 B 87.02003, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report 1989, 100; vom 21.02.2006 6 B 01.2541[]
  9. vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 118 AO Rz 28[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 27.11.1991 – X R 103/89, BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319[]
  11. BFH, Beschluss vom 09.06.2015 – III R 64/13, BFH/NV 2015, 1338[]
  12. BT-Drs. 12/5630, S. 103[]
  13. BFH, Urteil vom 21.02.1991 – V R 105/84, BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498[]
  14. vgl. zur Steuerstundung Klein/Rüsken, a.a.O., § 234 Rz 8[]
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