Ein Beteiligter darf erst dann davon ausgehen, dass er ein bestimmtes Dokument erfolgreich an das Gericht übermittelt hat, wenn er für das übermittelte Dokument vom Gericht eine Bestätigung gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO erhalten hat. Dies ist vom Beteiligten zu kontrollieren.

Auch ein Finanzamt darf nicht ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Kontrolle des Erhalts einer Eingangsbestätigung des Gerichts entbehrlich sei. Dies gilt unabhängig davon, ob es verwaltungsintern zur Durchführung dieser Kontrolle angewiesen ist oder nicht. Die Finanzverwaltung kann ihre Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht nicht selbst durch Verwaltungsanweisungen definieren. Außerdem kann es an sich selbst keine geringeren Anforderungen stellen als an die anderen Beteiligten, die zur elektronischen Übermittlung an das Gericht verpflichtet sind.
Mit dieser Begründung verwarf der Bundesfinanzhof aktuell die Revision eines Finanzamtes, weil sie nicht innerhalb der Frist für die Revisionsbegründung gemäß § 120 Abs. 2 FGO begründet worden war und eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht kam:
Das Finanzamt hat die Revisionsbegründungsfrist versäumt.
Die Revision ist gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO kann diese Frist auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Nach § 52d Satz 1 FGO ist die Revisionsbegründungsschrift von Behörden ab dem 01.01.2022 verpflichtend elektronisch zu übermitteln1.
Ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses ist das mit der Revision angegriffene Urteil am 16.11.2021 dem Finanzamt zugestellt worden. Die Begründungsfrist für die Revision wurde auf Antrag des Finanzamtes vor ihrem Ablauf am 16.01.2022 gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO bis zum 17.02.2022 von dem Vorsitzenden des Bundesfinanzhofs verlängert. Innerhalb dieser Frist ist die Revisionsbegründung nicht in elektronischer Form beim BFH eingegangen. Sie wurde erst am 02.03.2022 an den Bundesfinanzhof übermittelt. Die per Telefax übermittelten Anlagen gelten prozessrechtlich als nicht eingereicht2.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nach § 56 FGO kann dem Finanzamt nicht gewährt werden.
Einem Verfahrensbeteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; innerhalb dieser Frist muss die versäumte Rechtshandlung nachgeholt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 und 3 FGO). Ob der Beteiligte die Frist schuldlos versäumt hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs schließt jedes Verschulden -auch einfache Fahrlässigkeit- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus3. Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO sind die Tatsachen zur Begründung eines solchen Begehrens bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen4.
Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat5; das bedeutet auch, dass das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des Finanzamtes gleichsteht6.
In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass das Finanzamt unter anderem vorträgt, welche Maßnahmen zur Überwachung von Fristen im Amtsbetrieb getroffen sind. Dabei ist zu beachten, dass -ebenso wie ein berufsständischer Prozessbevollmächtigter- auch der Vorsteher des Finanzamtes beziehungsweise der zuständige Referent, Sachgebietsleiter oder Sachbearbeiter verpflichtet sind, ein Fristenkontrollbuch oder einen elektronischen Fristenkalender zu führen, in dem unter anderem die Frist für die Revisionsbegründung zu vermerken ist7.
Das Finanzamt muss in diesem Zusammenhang vortragen, wie und durch welche Beschäftigten in seinem Amt Fristsachen gehandhabt werden, zumal wenn ihre Erledigung an Fristen gebunden ist, die nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehören. Dazu rechnet auch die Revisionsbegründungsfrist8. Das Finanzamt muss mithin vorbringen, wer die Fristen berechnet sowie durch wen und welche Maßnahmen gewährleistet ist, dass die Fristen notiert und kontrolliert werden9. Weiter muss es darlegen, wann und wie die in der Sachbearbeitung von Rechtsbehelfen und Fristsachen eingesetzten Beschäftigten entsprechend belehrt werden und wie die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht wird10.
Im Hinblick auf die erforderliche elektronische Übermittlung der Revisionsbegründungsschrift ist zu beachten, dass die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen11. Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei unter anderem die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht (§ 52a Abs. 5 Satz 2 FGO) erteilt wurde12. Außerdem ist anhand des zuvor vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich diese Meldung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte13.
Hat der Absender eine automatisierte Eingangsbestätigung des Gerichts erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich gewesen ist. Bleibt sie aus, muss ihn dies zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen14. Unterlässt der Absender diese Überprüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht15.
Nach diesen Grundsätzen scheidet im Streitfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Abgesehen davon, dass es an den erforderlichen Darlegungen -siehe unter II. 2.b aa bis cc- fehlt, hat das Finanzamt die Revisionsbegründung nicht fristgerecht an den Bundesfinanzhof elektronisch übermittelt, was in der Folgezeit auch nicht weiter aufgefallen ist, weil nicht überprüft wurde, ob der Bundesfinanzhof eine automatisierte Eingangsbestätigung (§ 52a Abs. 5 Satz 2 FGO) übermittelt hat. Das Finanzamt konnte indes ohne das Vorliegen einer Eingangsbestätigung des Bundesfinanzhofs (und gegebenenfalls ohne weitere Nachfrage bei der Geschäftsstelle des Gerichts) nicht davon ausgehen, dass die Revisionsbegründung beim BFH eingegangen ist.
Soweit dieses Unterlassen auf der Ebene des Finanzamtes möglicherweise verwaltungsintern vorgesehen ist, ist dem Finanzamt ein Organisationsverschulden höherer Stellen zuzurechnen, was im Ergebnis einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehen kann16. Das Finanzamt durfte im Streitfall mit Blick auf die hierzu ergangene Rechtsprechung17 auch dann nicht ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Kontrolle des Erhalts einer Eingangsbestätigung des Bundesfinanzhofs entbehrlich sei, wenn eine solche Kontrolle verwaltungsintern nicht angewiesen gewesen sein sollte.
Nach dem Vortrag des Finanzamtes basiert die Übermittlung der Dokumente über das RZF auf einem elektronischen System, das die Finanzverwaltung des Bundeslandes einsetzt und das (nur) bestimmte Fehlermeldungen an das absendende Finanzamt versendet. Das Finanzamt habe sich in vollem Umfang an die verwaltungsinternen Arbeitsanweisungen gehalten. Das Finanzamt habe vom RZF auch keine Fehlermeldung erhalten.
Die Pflicht, den Erhalt einer Eingangsbestätigung des Empfängers zu prüfen, besteht jedoch für alle Beteiligten und ihre Vertreter -das heißt für das Finanzamt, für Rechtsanwälte und seit 01.01.2023 auch für Steuerberater- gleichermaßen, und zwar unabhängig davon, ob die Finanzverwaltung diese Prüfung für generell notwendig erachtet oder nicht, und auch unabhängig davon, ob die Finanzämter angewiesen sind, diese Kontrolle durchzuführen oder nicht. Das absendende Finanzamt muss selbst für die Einrichtung einer solchen Überprüfungsmöglichkeit sorgen und seine Beschäftigten entsprechend schulen18, damit eine Prüfung, zu der das Finanzamt auch ohne Weisung durch Oberbehörden oder Mittelbehörden verpflichtet ist, von den zuständigen Bediensteten auch tatsächlich durchgeführt werden kann.
Falls die obersten Behörden, die Oberbehörden oder die Mittelbehörden der Finanzverwaltung verwaltungsintern entschieden haben sollten, dass sie diese Prüfung nicht für erforderlich halten, vermag deren Fehleinschätzung das Finanzamt als Beteiligten nicht von seinen Sorgfaltspflichten zu entbinden, und zwar auch dann nicht, wenn diese Fehleinschätzung in -das Finanzamt verwaltungsintern bindende- Verwaltungsanweisungen oder Arbeitsanweisungen gegossen worden sein sollte. Da norminterpretierende Verwaltungsanweisungen die Gerichte nicht binden19, steht der Finanzverwaltung kein Spielraum zu, ihre Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen durch Verwaltungsanweisungen selbst zu definieren und dabei an die eigene Sorgfalt geringere Anforderungen zu stellen als an die der anderen Verfahrensbeteiligten, die zur elektronischen Übermittlung verpflichtet sind.
Die Pflichtverletzung war für die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auch ursächlich. Bei ordnungsgemäßer Überprüfung, ob eine automatisierte Eingangsbestätigung des Bundesfinanzhofs vorliegt, wäre die fehlgeschlagene Übermittlung -gegebenenfalls auch nach telefonischer Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Bundesfinanzhofs- zeitnah erkannt worden und es wäre dem RZF und dem Finanzamt innerhalb der verbliebenen zwei Tage bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge möglich gewesen, einen erneuten Übermittlungsversuch durchzuführen.
Hinreichende Anhaltspunkte für eine überholende Kausalität oder eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts20 bestehen nicht.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24. Mai 2023 – XI R 34/21
- Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 52d FGO Rz 13; Brandis in Tipke/Kruse, § 52d FGO Rz 1[↩]
- Schallmoser in HHSp, § 52d FGO Rz 35[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 29.04.2008 – I R 67/06, BFHE 221, 201, BStBl II 2011, 55, Rz 18; BFH, Beschlüsse vom 11.10.1991 – VII R 32/90, BFH/NV 1994, 553, Rz 6; vom 25.04.2005 – VIII B 42/02, BFH/NV 2005, 1821, Rz 2; vom 18.01.2007 – III R 65/05, BFH/NV 2007, 945, Rz 13; vom 06.11.2012 – VIII R 40/10, Rz 6; vom 28.04.2020 – II R 33/18, Rz 12; vom 30.05.2022 – II R 8/21, Rz 7[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 04.09.2008 – VII R 46/07, BFH/NV 2009, 38, Rz 5; vom 13.09.2012 – XI R 48/10, Rz 12; vom 20.05.2015 – XI R 48/13, Rz 17; vom 14.12.2021 – VIII R 6/21, Rz 14; Rauch, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2023, 101, 102[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 16.01.2007 – IX R 41/05, BFH/NV 2007, 1508, Rz 10, m.w.N.; vom 25.11.2008 – III R 78/06, BFH/NV 2009, 407; vom 24.03.2011 – VII R 48/10, Rz 8[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 12.05.1992 – VII R 38/91, BFH/NV 1993, 6, Rz 15, m.w.N.; vom 06.11.2012 – VIII R 40/10, Rz 7[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 19.07.1994 – II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946, Rz 13; BFH, Beschlüsse vom 10.07.1996 – II R 12/96, BFH/NV 1997, 47, Rz 11; vom 26.08.1997 – VII R 11/96, BFH/NV 1998, 70, Rz 4; vom 10.03.2000 – VII R 2/00, BFH/NV 2000, 1117, Rz 11; vom 06.11.2012 – VIII R 40/10, Rz 8; vom 16.09.2014 – II B 46/14, Rz 7[↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse in BFH/NV 2007, 945, Rz 15; vom 06.11.2012 – VIII R 40/10, Rz 9, m.w.N.; vom 13.09.2012 – XI R 48/10, Rz 13 f.; vom 04.08.2020 – XI R 15/18, Rz 25[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 14.05.2007 – VIII B 47/07, BFH/NV 2007, 1684, Rz 3[↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 07.02.2002 – VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795, Rz 10; vom 24.01.2005 – III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312, Rz 14; vom 11.05.2010 – XI R 24/08, Rz 14; vom 06.11.2012 – VIII R 40/10, Rz 8[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.01.2023 – IV ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425, Rz 14; vom 30.11.2022 – IV ZB 17/22, NJW-RR 2023, 351, Rz 10; jeweils zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts[↩]
- vgl. BAG, Beschluss vom 07.08.2019 – 5 AZB 16/19, BAGE 167, 221; BGH, Beschluss vom 11.05.2021 – VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201, Rz 22[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 20.09.2022 – XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715, Rz 10[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 30.03.2023 – III ZB 13/22, Rz 12; s. auch BT-Drs. 17/12634, S. 26 zu § 130a der Zivilprozessordnung und S. 37 zu § 52a FGO; Fu in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 52a FGO Rz 68; Thürmer in HHSp, § 52a FGO Rz 126; Brandis in Tipke/Kruse, § 52a FGO Rz 15 Abs. 2 a.E.[↩]
- vgl. Fu in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 52a FGO Rz 68 f.; Schmieszek in Gosch, § 52a FGO Rz 37; Thürmer in HHSp, § 52a FGO Rz 127, m.w.N.[↩]
- s. z.B. BFH, Beschlüsse in BFH/NV 2009, 407; vom 24.03.2011 – VII R 48/10, Rz 8[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss in NJW-RR 2023, 425, Rz 19[↩]
- vgl. zu den organisatorischen Anforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei: BGH, Beschluss in NJW-RR 2023, 425, Rz 17[↩]
- vgl. BFH (GrS), Beschluss vom 28.11.2016 – GrS 1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 107; BFH, Urteil vom 20.11.2019 – XI R 52/17, BFHE 267, 49, BStBl II 2020, 264, Rz 31[↩]
- vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 18.07.2007 – XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778, Rz 11; BSG, Beschluss vom 12.10.2022 – B 1 KR 46/22 BH, Rz 5 ff.[↩]