Unzulässige Überraschungsentscheidung des Finanzgerichts bei nicht erörterter Schätzungsmethode

Eine i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO verfahrensfehlerhafte unzulässige (und damit gegen Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO verstoßende) Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste1.

Unzulässige Überraschungsentscheidung des Finanzgerichts bei nicht erörterter Schätzungsmethode

Im vorliegenden Streitfall sah der Bundesfinanzhof diese Voraussetzungen als erfüllt an:

Das Finanzgericht ist zwar im Rahmen der gebotenen Gewährung rechtlichen Gehörs grundsätzlich nicht gehalten, die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass es –wie hier– von seiner gesetzlichen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 der Abgabenordnung Gebrauch machen will2. Zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung ist es aber verpflichtet, den Beteiligten eine von ihm in Betracht gezogene, bisher nicht erörterte Schätzungsmethode vorweg mitzuteilen, wenn diese den bereits erörterten Schätzungsmethoden nicht mehr ähnlich ist oder die Einführung neuen Tatsachenstoffs erforderlich wird3.

Das Finanzgericht hat es ausweislich der Entscheidungsgründe seines Urteils als Schätzungsmethode für angemessen gehalten, den Wert der hingegebenen Tiere nach den Werten zu ermitteln, welche die Gesellschafter der Klägerin als fremde Dritte in dem zum … 2008 erstellten Jahresabschluss festgelegt hatten. Dabei handelt es sich um eine Schätzungsmethode, die nach dem unbestrittenen Vortrag des Finanzamt und der Aktenlage zu keiner Zeit erörtert wurde und die von den bisher vorgenommenen Wertermittlungen der Beteiligten erheblich abweicht. Die Vorgehensweise des Finanzgericht ist daher in seiner Qualität einem nicht erkennbaren neuen rechtlichen Gesichtspunkt vergleichbar4, bei dem den Beteiligten im Rahmen der gebotenen Gewährung rechtlichen Gehörs zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss.

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Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10. September 2013 – XI B 114/12

  1. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 11.02.2003 – XI B 4/02, BFH/NV 2003, 802; vom 20.11.2008 – XI B 222/07, BFH/NV 2009, 404; vom 12.12.2012 – XI B 70/11, BFH/NV 2013, 705, Rz 28[]
  2. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 12.08.1999 – XI R 27/98, BFH/NV 2000, 537[]
  3. vgl. BFH, Urteil vom 02.02.1982 – VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409, unter 1.e, und z.B. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 233, 145[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409, unter 1.e[]