Urteilsgründe – und die Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung

Hat das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung tatsächliches Vorbringen des Einspruchsführers zu einem im Rahmen der Klage wiederholten, selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsvorbringen übergangen, genügt das Finanzgericht seiner Begründungspflicht nicht, wenn es lediglich auf die Einspruchsentscheidung Bezug nimmt (§ 105 Abs. 5 FGO).

Urteilsgründe – und die Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung

Die finanzgerichtliche Entscheidung ist in einem solchen Fall nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO).

Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen im Sinne von § 119 Nr. 6 FGO liegt deshalb nur vor, wenn dem Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen1.

Eine Entscheidung ist dann im Sinne von § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn diese ganz oder zu einem wesentlichen Teil fehlen sowie wenn das Finanzgericht einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Verteidigungsmittel übergangen hat. Die Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung berechtigt hingegen nicht zu einer Zulassung einer Revision2.

§ 105 Abs. 5 FGO räumt den Finanzgerichten die Möglichkeit ein, von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen und sich die in der Einspruchsentscheidung enthaltene Begründung des Finanzamts zu eigen zu machen. Die Vorschrift dient der Entlastung der Gerichte, sofern ihr Zweck, den Beteiligten Kenntnis davon zu vermitteln, auf welchen Feststellungen, Verhältnissen oder rechtlichen Erwägungen die Entscheidung beruht, ohne Nachteil für den Rechtsschutz der Kläger auch durch Bezugnahme auf bereits vorliegende Verwaltungsentscheidungen erreicht werden kann3. Eine Urteilsbegründung, die über die Feststellung, dass das Finanzgericht der Verwaltungsentscheidung folgt, hinausgeht, ist in diesen Fällen nicht erforderlich4. Die gebotene verfassungskonforme Anwendung des § 105 Abs. 5 FGO setzt aber voraus, dass das Gericht wegen des Anspruchs des Rechtsschutzsuchenden auf rechtliches Gehör auf dessen wesentliches neues Vorbringen im Klageverfahren eingeht5.

Weiterlesen:
Freispruch aus tatsächlichen Gründen - und die Urteilgründe

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18. August 2023 – IX B 114/22

  1. BFH, Beschluss vom 21.03.2019 – VIII B 129/18, Rz 12[]
  2. vgl. BFH, Beschluss vom 19.09.2007 – III B 59/06, BFH/NV 2007, 2245, unter 4.[]
  3. BFH, Beschluss vom 10.11.2006 – XI B 147/05, BFH/NV 2007, 267, unter 3.a, m.w.N.[]
  4. BFH, Beschluss vom 20.11.2003 – III B 88/02, BFH/NV 2004, 517, unter 2.[]
  5. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschluss vom 21.10.2015 – X B 116/15, Rz 5, m.w.N.[]

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