Finanzgerichte entscheiden bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Abrechnungsbescheiden in sogenannten Bauträgerfällen auch über den Bestand und die Durchsetzbarkeit der -dem Finanzamt von Bauleistenden abgetretenen- zivilrechtlichen Werklohnforderungen.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall streiten die Beteiligten um die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids, in dem das Finanzamt die ihm von Werkleistenden abgetretenen Werklohnforderungen mit einem Erstattungsanspruch der klagenden Bauträgerin aus dem Umsatzsteuerbescheid aufgerechnet hat. Die Bauträgerin ist eine GmbH, die hier maßgeblichen Streitjahr 2013 als Bauträgerin steuerfreie Leistungen erbrachte. Hierfür erteilte sie Aufträge an zahlreiche Bauhandwerker (bauleistende Unternehmer), von denen sie steuerpflichtige Leistungen bezog. Dabei gingen sowohl die Bauträgerin als auch die Bauleistenden vom Übergang der Steuerschuld auf die Bauträgerin nach § 13b des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr 2013 geltenden Fassung (UStG a.F.) aus.
Im Anschluss an die Veröffentlichung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22.08.20131 beantragte die Bauträgerin beim Finanzamt die Erstattung der von ihr nach diesem Urteil im Streitjahr zu Unrecht auf der Grundlage des § 13b UStG a.F. abgeführten Umsatzsteuer. Nachdem das Finanzamt die für die Bauleistenden jeweils zuständigen Finanzämter hierüber informiert hatte und die Bauleistenden bereits 2015 ihre Werklohnforderungen gegen die Bauträgerin in Höhe der gegen sie festgesetzten Umsatzsteuer an das Finanzamt abgetreten hatten, erließ das Finanzamt im Dezember 2017 einen Änderungsbescheid wegen Umsatzsteuer 2013, aus dem sich ein Erstattungsanspruch zugunsten der Bauträgerin ergab. Das Finanzamt erklärte sodann die Aufrechnung der ihm abgetretenen Werklohnforderungen mit dem Erstattungsbetrag der Bauträgerin aus Umsatzsteuer 2013. Hierüber beantragte die Bauträgerin am 31.12.2020 einen Abrechnungsbescheid, den das Finanzamt am 18.11.2021 erteilte und aus dem sich ergab, dass die an das Finanzamt abgetretenen Werklohnforderungen der Bauleistenden gegen den Erstattungsanspruch der Bauträgerin aufgerechnet wurden und das Konto der Bauträgerin anschließend „ausgeglichen“ war.
Die Bauträgerin legte Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) mit der Begründung, dass keine Aufrechnungslage vorgelegen habe. Nachdem das Finanzamt den AdV-Antrag abgelehnt hatte, gewährte das Finanzgericht Münster die beantragte AdV2, allerdings gegen Sicherheitsleistung in Höhe des von der Vollziehung ausgesetzten Betrages und ließ die Beschwerde gegen seinen Beschluss zu. Es sei ernstlich zweifelhaft, ob die vom Finanzamt erklärte Aufrechnung zum Erlöschen des Umsatzsteuer-Erstattungsanspruchs der Bauträgerin geführt habe. Das Finanzamt habe mit einer zivilrechtlichen Gegenforderung aufgerechnet, die wegen Verjährung und eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB bestritten sei. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung sei bislang ungeklärt, ob die Finanzgerichte bei Aufrechnungen des Finanzamtes mit „rechtswegfremden“ (zivilrechtlichen) Forderungen über deren Bestand und Durchsetzbarkeit selbst entscheiden könnten oder ob zuvor eine Entscheidung des zuständigen Zivilgerichts eingeholt werden müsse. Problematisch sei insoweit, dass für diese Gegenforderung ein anderer Rechtsweg bestehe. Da eine Entscheidung des Finanzgerichts über das Nichtbestehen der Gegenforderung (Werklohnforderung) nach § 322 Abs. 2 ZPO der materiellen Rechtskraft fähig sei, bestehe die Gefahr, dass ein an sich nicht zuständiges Finanzgericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der Rechtswegzuweisung entscheidungsbefugten Zivilgerichten über das Nichtbestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung entscheide3. Eine Entscheidungsbefugnis der Finanzgerichte in den sogenannten Bauträgerfällen sei vom Finanzgericht Münster bejaht4, vom Hessischen Finanzgericht5 dagegen verneint worden. Bei divergierenden finanzgerichtlichen Entscheidungen und einer fehlenden höchstrichterlichen Rechtsprechung sei AdV zu gewähren. Die AdV sei jedoch nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren. Im gegenwärtigen Verfahrensstadium könne keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen der Bauträgerin festgestellt werden. Die Bauträgerin habe zudem nicht dargelegt, dass ihre wirtschaftlichen Verhältnisse die Leistung einer Sicherheit nicht zuließen oder eine unbillige Härte vorliege.
Auf die gegen den AdV, Beschluss des Finanzgerichts eingelegten Beschwerden hob den Beschluss des Finanzgerichts auf und verwies die Sache zur anderweitigen Entscheidung zurück an das Finanzgericht Münster; das Finanzgericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abrechnungsbescheids bereits deshalb vorliegen, weil bislang ungeklärt sei, ob die Finanzgerichte in den sogenannten Bauträgerfällen über den Bestand und die Durchsetzbarkeit der -dem Finanzamt von Bauleistenden abgetretenen- zivilrechtlichen Werklohnforderungen entscheiden dürften. Das Finanzgericht habe rechtsfehlerhaft unbeachtet gelassen, dass es zu der -von ihm als streitig und ungewiss erachteten- Rechtsfrage zur Entscheidungskompetenz der Finanzgerichte über rechtswegfremde Forderungen bereits eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gebe. Diese Rechtsfrage sei daher nicht im Sinne von § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ernstlich zweifelhaft, sondern geklärt:
Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 01.08.20176 entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit grundsätzlich unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten und damit auch über eine zur Aufrechnung gestellte rechtswegfremde Gegenforderung, es sei denn, diese Entscheidung erwächst nach § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft. In Abtretungsfällen kann es jedoch grundsätzlich nicht zur Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO kommen, da sich diese nur auf die Beteiligten des Verfahrens und ihre Rechtsnachfolger erstreckt (§ 110 Abs. 1 FGO, § 325 Abs. 1 ZPO), nicht aber auf den Zedenten als den Rechtsvorgänger des an dem Prozess beteiligten Zessionars7. Ist danach am Klageverfahren zwischen dem Zessionar und dem Anspruchsgegner der abtretende bauleistende Unternehmer (Zedent) nicht beteiligt, kommt es -auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 406 BGB- zu keiner Rechtskrafterstreckung. Das Bestehen der rechtswegfremden Gegenforderung ist in diesen Fällen auch dann lediglich eine Vorfrage zur Aufrechnung und somit von der Entscheidungsbefugnis der Finanzgerichtsbarkeit gemäß § 17 Abs. 2 GVG umfasst8.
Hieran hält der Bundesfinanzhof weiter fest. Denn er hat mit Urteil vom 24.05.20239 entschieden, dass es in Abtretungsfällen nicht zu der Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO für den Zedenten komme, da sich die Rechtskraft eines Urteils nur auf die Beteiligten des Verfahrens und ihre Rechtsnachfolger erstrecke, nicht aber auf am Verfahren nicht beteiligte Dritte, wie im Falle der Abtretung der Zedent als Rechtsvorgänger des an dem Prozess beteiligten Zessionars im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.05.20239.
Der Bundesfinanzhof entschied im vorliegenden Fall über die Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Abtretung von Werklohnforderungen an das Finanzamt nicht selbst, sondern verwies die Sache insoweit an das Finanzgericht zurück. Aus §§ 132, 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO folgt, dass eine Zurückverweisung auch im Beschwerdeverfahren hinsichtlich eines AdV, Beschlusses zulässig ist. Sie ist Ausfluss eines tragenden Grundprinzips des Instanzenzugs, nämlich der Aufteilung der Rechtsprechungsfunktionen unter den Gerichten10. Die Zurückverweisung ist im Streitfall auch zweckmäßig, weil sich das Finanzgericht auf der Grundlage seiner -rechtsfehlerhaften- Auffassung mit den von der Bauträgerin im gerichtlichen Aussetzungsverfahren geltend gemachten Einwendungen (Verjährung sowie Zurückbehaltungsrecht) noch nicht befasst hat. Das gilt auch für weitere Einwendungen, die von der Bauträgerin nach Ergehen des Beschlusses des Finanzgerichts vom 17.02.2022 im Rahmen des Einspruchsverfahrens geltend gemacht worden sind. Zudem ist hinsichtlich der Begründung des Finanzamtes für die Zurückweisung des Einspruchs neuer Sachvortrag der Bauträgerin zu erwarten.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26. September 2023 – V B 23/22
- BFH, Urteil vom 22.08.2013 – V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128[↩]
- FG Münster, Beschluss vom 17.02.2022 – 5 – V 3238/21[↩]
- BFH, Beschluss vom 06.08.1985 – VII B 3/85, BFHE 144, 207, BStBl II 1985, 672[↩]
- FG Münster, Urteil vom 17.06.2020 – 15 K 3839/17 AO, EFG 2020, 1288, im Revisionsverfahren bestätigt durch BFH, Urteil vom 24.05.2023 – XI R 45/20[↩]
- Hess. FG, Beschluss vom 01.03.2016 – 1 – V 2262/15[↩]
- BFH, Urteil vom 01.08.2017 – VII R 12/16, BFHE 259, 207, BStBl II 2018, 737[↩]
- BFH, Urteil vom 01.08.2017 – VII R 12/16, BFHE 259, 207, BStBl II 2018, 737, Rz 15[↩]
- BFH, Urteil vom 01.08.2017 – VII R 12/16, BFHE 259, 207, BStBl II 2018, 737, Rz 16[↩]
- BFH, Urteil vom 24.05.2023 – XI R 45/20[↩][↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 23.02.2021 – I B 55/20 (AdV), BFH/NV 2021, 1064, Rz 11 und 40; vom 04.03.2020 – I B 57/18, BFH/NV 2020, 1236, Rz 26; und vom 06.11.2008 – IV B 126/07, BFHE 223, 294, BStBl II 2009, 156[↩]