Abweichende Umsatzsteuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen

Gemäß § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Eine Unbilligkeit kann entweder in der Sache liegen oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben1.

Abweichende Umsatzsteuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen

Die Entscheidung über ein Erlassbegehren aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden2. Die Entscheidung darf gemäß § 102 FGO gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum derart eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null3).

Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft4. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, können jedoch eine Billigkeitsmaßnahme nicht rechtfertigen, da die generelle Geltung des Gesetzes durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden darf. Andernfalls würden durch Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen die vorgesehene Besteuerung außer E. gesetzt5. Diese Grundsätze gelten auch für die Zulassung des Vorsteuerabzugs im Billigkeitswege6.

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Vorsteuerabzug aus der Rechnung einer Briefkastenfirma

Das Finanzamt ist damit im hier entschiedenen Fall nach Ansicht des Finanzgerichts Düsseldorf zutreffend davon ausgegangen, dass die Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge der gesetzlichen Wertung des § 15 Abs. 1 UStG entspricht.

Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG in der für das Streitjahr 2004 geltenden Fassung kann der Unternehmer die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift ist Art. 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie ist der Steuerpflichtige befugt, „die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen“ abzuziehen, „die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden“. Das Tatbestandsmerkmal „geschuldete Steuer“ ist nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Dezember 19897 dahin auszulegen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen. Hingegen erstreckt sich das Recht auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist. Demnach ist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht jede, sondern nur die aufgrund einer tatsächlich erbrachten Lieferung oder Leistung geschuldete und in einer Rechnung ausgewiesene Steuer als Vorsteuer abziehbar8.

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Gutgläubiger Vorsteuerabzug

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 11. November 2011 – 1 K 2442/10 AO

  1. vgl. BFH, Urteil vom 26.10.1994 – X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 m.w.N.[]
  2. vgl. GmS-OBG, Beschluss vom 19.10.1971 – GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603[]
  3. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.10.1994 – X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297[]
  4. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 09.09.1993 – V R 45/91, BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131; sowie vom 23.09.2004 – V R 58/03, BFH/NV 2005, 825[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 16.11.2005 – X R 3/04, BFHE 211, 30, BStBl II 2006, 155[]
  6. vgl. BFH, Urteile vom 12.12.2002 – V R 85/01, BFH/NV 2003, 829; vom 26.04.1995 – XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754; Beschluss vom 11.03.1994 – V B 92/93, BFH/NV 1995, 653[]
  7. EuGH, Urteil vom 13.12.1989 – C-342/87 [Genius Holding], Slg.1989, I4227, HFR 1991, 181[]
  8. vgl. BFH, Urteile vom 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH/NV 2009, 819; und vom 02.04.1998 – V R 34/97, BFHE 185, 526, BStBl II 1998, 695[]