Arzneimittellieferungen einer EU-Versandapotheke – und die Versandhandelsregelung

Führt eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Apotheke Arzneimittellieferungen an in Deutschland wohnhafte Privatpersonen aus, können diese Lieferungen nach der sog. Versandhandelsregelung in Deutschland selbst dann steuerbar und steuerpflichtig sein, wenn die Abnehmer eine formularmäßige Vollmacht zur Beauftragung eines Kurierdienstes zum Transport der bestellten Medikamente in ihrem Namen und für ihre Rechnung erteilt haben.

Arzneimittellieferungen einer EU-Versandapotheke – und die Versandhandelsregelung

Wird bei einer Lieferung der Gegenstand durch den Lieferer oder einen von ihm beauftragten Dritten aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates oder aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in die in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete befördert oder versendet, so gilt nach § 3c Abs. 1 Satz 1 UStG die Lieferung nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung endet.

Nach § 3c Abs. 2 Nr. 1 UStG ist § 3c Abs. 1 UStG anzuwenden, wenn der Abnehmer nicht zu den in § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG genannten Personen gehört oder die in § 3c Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt.

Dabei sind die in § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG genannten Personen für die Durchführung der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs entweder Unternehmer, die den Gegenstand für ihr Unternehmen erwerben, oder juristische Personen, die nicht Unternehmer sind oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwerben.

§ 3c Abs. 3 Satz 1 UStG sieht vor, dass § 3c Abs. 1 UStG nicht anzuwenden ist, wenn bei dem Lieferer der Gesamtbetrag der Entgelte, der den Lieferungen in einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist, die maßgebliche Lieferschwelle im laufenden Kalenderjahr nicht überschreitet und im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überschritten hat. Maßgebende Lieferschwelle ist gemäß § 3c Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG im Fall der Beendigung der Beförderung oder Versendung im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebieten der Betrag von 100.000 EUR.

Wird die maßgebende Lieferschwelle nicht überschritten, gilt die Lieferung nach § 3c Abs. 4 Satz 1 UStG auch dann am Ort der Beendigung der Beförderung oder Versendung als ausgeführt, wenn der Lieferer auf die Anwendung des § 3c Abs. 3 UStG verzichtet hat.

MwStSystRL enthält die unionsrechtliche Grundlage für die sog. Versandhandelsregelung: Danach gilt abweichend von Art. 32 MwStSystRL als Ort einer Lieferung von Gegenständen, die durch den Lieferer oder für dessen Rechnung von einem anderen Mitgliedstaat als dem der Beendigung der Versendung oder Beförderung aus versandt oder befördert werden, der Ort, an dem sich die Gegenstände bei Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden, sofern bestimmte in Art. 33 Abs. 1 Buchst. a und b MwStSystRL genannte Voraussetzungen erfüllt sind. Die unionsrechtlichen Vorgaben zur Lieferschwelle sind in Art. 34 MwStSystRL enthalten. Die Regelung entspricht der bis zum 31.12 2006 geltenden Bestimmung in Art. 28b Teil B der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG).

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Im Protokoll der Tagung des ECOFIN-Rates vom 16.12 1991 ist folgende Protokollerklärung zu Art. 1 Nr. 22 der Änderungs-Richtlinie 91/680/EWG zu Art. 28b Teil B der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehen: „Der Rat und die Kommission erklären, dass die Sonderregelung für Fernverkäufe in allen Fällen zur Anwendung gelangt, in denen die Gegenstände direkt oder indirekt vom Lieferer oder in dessen Auftrag versandt oder befördert werden.“1.

Im hier entschiedenen Streitfall sind die Voraussetzungen der Ortsbestimmung in § 3c UStG für die von der Apotheke gegenüber den einzelnen Privatpersonen als Leistungsempfänger und Abnehmer ausgeführten Arzneimittellieferungen erfüllt.

Leistungsempfänger ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich derjenige ist, der aus dem der Leistung zugrunde liegenden Schuldverhältnis als Auftraggeber berechtigt und verpflichtet wird2.

Vor diesem Hintergrund sind hier bei Bestellungen von privat krankenversicherten Personen Kaufverträge nach § 433 BGB zwischen der Apotheke und den Bestellern zustande gekommen, so dass diese auch umsatzsteuerrechtlich Leistungsempfänger wurden3.

Bei Lieferungen nicht rezeptpflichtiger Arzneimittel an gesetzlich Versicherte wurden nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des Finanzgericht gleichfalls Kaufverträge i.S. von § 433 BGB vereinbart. Das Finanzgericht hat insoweit ebenso zutreffend angenommen, dass diese als eigenständige Leistungsempfänger und damit als Abnehmer i.S. von § 3c UStG anzusehen sind.

Auch gesetzlich krankenversicherte Personen, die rezeptpflichtige (erstattungsfähige) Medikamente bei der Apotheke bestellt haben, waren grundsätzlich selbst Vertragspartner und damit Abnehmer i.S. von § 3c UStG.

Zwar findet insoweit bei Abschluss eines zwischen den Apotheken und den GKVen geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages nach § 129 SGB V oder eines öffentlich-rechtlichen Einzelvertrages gemäß § 140e SGB V zwischen der Apotheke als leistendem Unternehmer und der GKV als Leistungsempfänger ein Leistungsaustausch statt4, wobei der Kunde das Medikament in Erfüllung des Versicherungsvertrages von seiner GKV als Sachleistung gemäß § 2 Abs. 2 SGB V erhält (sog. Sachleistungsprinzip)5. Das Finanzgericht hat hierzu aber festgestellt, dass die Apotheke dem zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband e.V. vereinbarten „Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V in der Fassung vom 17.01.2008“ erst zum 1.02.2010 und somit nach Ablauf der Streitjahre beigetreten war. Insoweit hatte die Apotheke vorliegend trotz der insoweit für sie bestehenden Möglichkeit6 grundsätzlich keine entsprechenden Einzelverträge mit den GKVen vereinbart. Daher hat auch in diesen Fällen zwischen der Apotheke und den gesetzlich Versicherten ein Leistungsaustausch auf der Grundlage eines privatrechtlichen Kaufvertrages nach §§ 433 ff. BGB stattgefunden.

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Hinsichtlich der einzelnen Lieferungen waren die in § 3c Abs. 2 UStG genannten Voraussetzungen erfüllt, da weder die Abnehmer zu dem in § 3c Abs. 2 Nr. 1 UStG genannten Personenkreis gehören noch die in § 3c Abs. 2 Nr. 2 UStG aufgeführten Bedingungen gegeben sind.

Die Arzneimittel sind als Liefergegenstände i.S. von § 3c Abs. 1 UStG aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates (den Niederlanden) in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates (Deutschland) befördert worden.

Außerdem hat die Apotheke im hier entschiedenen Fall auch die nach § 3c Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG maßgebliche Lieferschwelle von 100.000 € überschritten.

Die Arzneimittel wurden hier auch durch die Apotheke als Lieferer von den Niederlanden nach Deutschland befördert oder versendet, der jeweilige Transport wurde nicht durch die Abnehmer veranlasst.

Für die Frage, wer die Beförderung oder Versendung der Arzneimittel durchgeführt hat, kommt es in erster Linie darauf an, wem der jeweilige Transport im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls nach objektiven Kriterien zuzurechnen ist. In diesem Zusammenhang können ggf. auch vergleichbare Regelungen des innergemeinschaftlichen Verbrauchsteuerrechts und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH herangezogen werden.

Nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG entsteht bei der Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind und die vom Verkäufer oder auf dessen Gebiet direkt oder indirekt an eine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Person nach Absatz 1 versandt oder befördert werden, die Verbrauchsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass diese Bestimmung nicht nur den Fall der Beförderung oder des Versandes durch den Verkäufer selbst, sondern auch und in viel weiterem Sinne sämtliche Fälle des Versandes oder der Beförderung auf Gefahr des Verkäufers umfasst7. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Initiative für die Beförderung nicht vom Verkäufer, sondern von der Privatperson ausgeht, die die verbrauchsteuerpflichtigen Waren erworben hat8. Dabei ist der EuGH davon ausgegangen, dass das Zivilrecht sich nicht notwendigerweise für die Anwendung des Steuerrechts eignet, das eigenständigen Zwecken dient9.

Zwar unterscheidet sich die Formulierung in Art. 33 MwStSystRL in der deutschen Sprachfassung insofern von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG, als in Art. 33 MwStSystRL die Versendung bzw. Beförderung „durch den Lieferer oder für dessen Rechnung“ erfolgen muss, während Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG die Versendung bzw. Beförderung „vom Verkäufer oder auf dessen Gefahr“ fordert. Das Finanzgericht hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass andere Sprachfassungen in beiden Richtlinien jeweils identische Begriffe verwenden, so dass es auf diesen sprachlichen Unterschied nicht ankommen kann (englisch: „by or on behalf of the supplier“, französisch: „par le fournisseur ou pour son compte (propre)“10).

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Für die Übertragung der zu Beförderungen und Versendungen im verbrauchsteuerrechtlichen Sinne ergangenen Rechtsprechung des EuGH auf § 3c UStG spricht außerdem die Protokollerklärung des Rates und der Kommission vom 16.12 1991 zur umsatzsteuerrechtlichen Versandhandelsregelung, wonach diese alle Fälle erfassen solle, in denen die Gegenstände „direkt“ oder „indirekt“ vom Lieferer oder in dessen Auftrag versandt oder befördert worden sind. Diese Formulierung ist derjenigen in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG vergleichbar. Es ist daher davon auszugehen, dass auch bei der Versandhandelsregelung entsprechende Liefervorgänge und Beförderungen erfasst werden sollten.

Auch der Österreichische Verwaltungsgerichtshofs hat im Übrigen die Rechtsauffassung bestätigt, dass es unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung des EuGH zu Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG unabhängig von der zivilrechtlichen Rechtslage auch bei der umsatzsteuerrechtlichen Versandhandelsregelung darauf ankommt, ob der Lieferant ggf. die Transportleistung des Dritten organisiert bzw. dem potentiellen Käufer der Ware die Möglichkeit der Transportleistung angeboten hat11.

Die hiergegen von der Apotheke erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.

Soweit die Apotheke vorträgt, diese Sichtweise stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH zu den innergemeinschaftlichen Reihengeschäften, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im Streitfall die in § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG genannten Voraussetzungen für die Annahme eines umsatzsteuerrechtlichen Reihengeschäfts nicht vorliegen, so dass die von der Apotheke angeführte frühere Rechtsprechung12 nicht anwendbar ist. Aber auch bei Übertragung der zum Reihengeschäft aufgestellten Rechtsgrundsätze auf die Fragestellung des Streitfalls stützt die neuere Bundesfinanzhofsrechtsprechung die Auffassung, dass es für die personelle Zurechnung der Transportleistung in erster Linie auf die objektiven Umstände ankommt13.

Auch das Vorbringen der Apotheke, Deutschland habe seinerzeit die Einführung des Ursprungslandprinzips anstelle des Bestimmungslandprinzips angestrebt14, weshalb die Anwendung der Versandhandelsregelung restriktiv erfolgen solle, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das Finanzgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass die aufgezeigte Versandhandelsregelung jedenfalls eine Besteuerung der entsprechenden Umsätze im Bestimmungsmitgliedstaat nach Maßgabe der dort geltenden Steuersätze sicherstellen solle. Würde man der Auffassung der Apotheke folgen, wären die von ihr ausgeführten Arzneimittellieferungen indes weder in den Niederlanden noch in Deutschland steuerbar. Dieses Ergebnis würde eindeutig dem Sinn und Zweck der Versandhandelsregelung widersprechen15.

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Entgegen der Auffassung der Apotheke kann die genannte Protokollerklärung vom 16.12 1991, wonach die Sonderregelung für Fernverkäufe in allen Fällen zur Anwendung gelangt, in denen die Gegenstände direkt oder indirekt vom Lieferer oder in dessen Auftrag versandt oder befördert werden16, bei der Auslegung der unionsrechtlichen Regelung berücksichtigt werden. Zwar ist diese Protokollerklärung nicht Bestandteil der Richtlinienbestimmung geworden. Diese Protokollerklärung weist aber die Besonderheit auf, dass sie vom Rat und der Kommission abgegeben wurde, wobei im Rat (ECOFIN-Rat) als Beschlussorgan der Europäischen Union alle Mitgliedstaaten vertreten sind. Im Unterschied zu von einzelnen Mitgliedstaaten abgegebenen Erklärungen ist die betreffende Protokollerklärung damit einstimmig von allen bei der Entscheidung über die sog. Binnenmarktrichtlinie vertretenen Mitgliedstaaten und von der Kommission verabschiedet worden. Dies bedeutet, dass insoweit ein allgemeiner Konsens über die Auslegung der unionsrechtlichen Regelung bestanden hat.

Auch die von der Apotheke in diesem Zusammenhang zitierte EuGH-Rechtsprechung steht dem nicht entgegen: Zum einen hat die Apotheke selbst hervorgehoben, dass der EuGH bei seiner Entscheidung Kommission/Belgien vom 10.04.198417 eine vom Rat und von der Kommission gemeinsam abgegebene Protokollerklärung erwähnt und in seine Entscheidung einbezogen hat. Dagegen ist bei der im EuGH, Urteil Antonissen vom 26.02.199118 genannten Protokollerklärung nicht ersichtlich, wer diese abgegeben hat. Zudem geht es bei diesem Fall um keine steuerrechtliche Fragestellung, für die bei der entsprechenden Beschlussfassung durch den ECOFIN-Rat über indirekte Steuern das Einstimmigkeitsprinzip gilt (vgl. dazu Art. 113 AEUV). Im Übrigen hat der von der Apotheke zitierte Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zu Antonissen19 differenzierend ausgeführt, dass eine Protokollerklärung zur Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung ergänzend herangezogen werden kann, soweit es um eine Klarstellung geht. Dies ist im Streitfall gegeben.

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist für den Bundesfinanzhof die vom Finanzgericht im Streitfall vorgenommene Würdigung, wonach von einer Versendung der Arzneimittel durch die Apotheke auszugehen ist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Das Finanzgericht hat insoweit im Wesentlichen ausgeführt, dass die Mitwirkung der Abnehmer an der Medikamentenbeförderung sich im Ankreuzen des von der Apotheke vorgefertigten und zur Verfügung gestellten Bestellformulars erschöpft habe, mit welchem diese der Apotheke Vollmacht für die entsprechenden Beauftragungen erteilt hätten. Selbst die Apotheke habe eingeräumt, dass die Möglichkeit der Abholung der äußerst seltene Ausnahmefall sei, was sich auch aus der Höhe der angemeldeten sonstigen nichtsteuerbaren Umsätze in Höhe von lediglich 471 EUR in 2008 ergebe. Das vorgesehene Transportsystem sei von der Apotheke bereits generell im Vertrag mit der B vom 20./22.03.2008 vorab für alle nachfolgenden Fälle festgelegt worden. Die Apotheke allein habe die Auswahl des Transporteurs bereits vor der Vollmachterteilung vorgenommen. Der Transporteur sei überdies die (100%ige) Muttergesellschaft der Apotheke, die zumindest im streitbefangenen Zeitraum denselben Geschäftsführer gehabt habe. Ferner habe die Apotheke die Höhe der Transportkosten für die Abnehmer verbindlich vorgegeben und auch mit der B vorab vereinbart. Ort und Zeitpunkt der Abholung der Medikamente seien diesen gar nicht bekannt gemacht worden. Sie hätten auch keine Möglichkeit gehabt, den Auslieferungsort zu beeinflussen. Die Ware sei immer -entsprechend der Vorgabe der Apotheke- an die jeweilige Partnerapotheke ausgeliefert worden. Ferner lasse sich die Höhe der Transportkosten von 0,45 € bei einer Entfernung von ca. 110 km bis 140 km auch nur erklären, wenn der Spediteur von Anfang an fest damit rechne, seine täglichen Transportfahrten vollständig mit den vermittelten Aufträgen der Apotheke füllen zu können. Einen einzelnen Transportauftrag auf dieser Preisbasis hätte er nicht rentabel durchführen können, da bereits die Benzinkosten wesentlich höher seien.

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Vor diesem Hintergrund kann unerörtert bleiben, ob die von der Apotheke gewählte Vertragsgestaltung ggf. auch unter dem Gesichtspunkt eines Gestaltungsmissbrauchs i.S. von § 42 AO entsprechend dem vom Finanzgericht gefundenen Ergebnis gewürdigt werden müsste20. Die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs erscheint im Streitfall schon deshalb als naheliegend, weil die Apotheke gegenüber den niederländischen Finanzbehörden die entsprechenden Umsätze in den Niederlanden gemäß der Versandhandelsregelung für nicht steuerbar erklärte, während sie für dieselben Umsätze bei den deutschen Finanzbehörden die Erteilung einer verbindlichen Auskunft dahingehend begehrte, dass die Regelung in § 3c UStG nicht anwendbar sei, weil der Ort der Lieferungen sich nach § 3 Abs. 6 UStG in den Niederlanden befinde. Die Apotheke strebte mit der von ihr gewählten Gestaltung damit eine Nichtsteuerbarkeit ihrer Lieferungen an, was mit dem unionsrechtlichen Umsatzsteuersystem nicht im Einklang steht.

Der Bundesfinanzhof kann im Übrigen offen lassen, ob im Hinblick auf die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2009 die vom Finanzgericht für zulässig gehaltene Fortsetzungsfeststellungsklage i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO statthaft war21. Denn insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen zum Streitjahr 2008 entsprechend; die Revision der Apotheke war auch diesbezüglich zurückzuweisen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. Mai 2015 – XI R 2/13

  1. vgl. z.B. Lohse/Peltner, 6. MwSt-Richtlinie und Rechtsprechung des EuGH, 2. Aufl.1999, Art. 28b 6. USt-RL, S. 5; Erkenntnis des Österreichischen VwGH vom 26.07.2007 2005/15/0003, www.ris.bka.gv.at[]
  2. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 28.08.2013 – XI R 4/11, BFHE 243, 41, BStBl II 2014, 282, Rz 34; und vom 28.08.2014 – V R 49/13, BFHE 247, 283, BFH/NV 2015, 128, Rz 25[]
  3. vgl. dazu auch BFH, Beschluss vom 24.02.2015 – V B 147/14, BFHE 248, 478, BFH/NV 2015, 768[]
  4. BSG, Urteil vom 28.09.2010 – B 1 KR 3/10 R, BSGE 106, 303, Rz 13, 14[]
  5. vgl. dazu auch BFH, Beschluss in BFHE 248, 478, BFH/NV 2015, 768[]
  6. BSG, Urteil vom 28.07.2008 B 1 KR 4/08 R, BSGE 101, 161[]
  7. EuGH, Urteil EMU Tabac, EU:C:1998:152, HFR 1998, 599, Rz 45[]
  8. EuGH, Urteile EMU Tabac, EU:C:1998:152, HFR 1998, 599, Rz 48, 49, und Joustra vom 23.11.2006 – C-5/05, EU:C:2006:733, HFR 2007, 179, Rz 49[]
  9. EuGH, Urteil EMU Tabac, EU:C:1998:152, HFR 1998, 599, Rz 30, 31[]
  10. vgl. zu Art. 33 MwStSystRL Lohse/Peltner, Mehrwertsteuersystem-Richtlinie 2007, und zur englischen und französischen Sprachfassung der Richtlinie 92/12/EWG Official Journal of the European Communities 23.03.92 No L 76/1, Journal officiel des Communautés européennes 23.03.92 No L 76/1[]
  11. österr. VwGH, Erkenntnis vom 22.04.2009 – 2008/15/0181[]
  12. BFH, Urteil vom 11.08.2011 – V R 3/10, BFHE 235, 43, BFH/NV 2011, 2208; vgl. aber auch BFH, Urteil vom 28.05.2013 – XI R 11/09, BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524[]
  13. vgl. BFH, Urteil vom 25.02.2015 – XI R 15/14, BFHE 249, 343, BFH/NV 2015, 772, Mehrwertsteuerrecht 2015, 384, unter II. 3.[]
  14. vgl. dazu Gutachten der Ursprungslandkommission, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Nr. 52, S. 28 ff.[]
  15. vgl. dazu im Einzelnen Rondorf, DStR 1992, 1457[]
  16. vgl. z.B. Lohse/Peltner, 6. MwSt-Richtlinie und Rechtsprechung des EuGH, 2. Aufl.1999[]
  17. EuGH, Urteil vom 10.04.1984 – 324/82, EU:C:1984:152, Slg. 1984, 1861, Rz 26, 33[]
  18. EuGH, Urteil vom 26.02.1991 – C-292/89, EU:C:1991:80, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1991, 351, Rz 18[]
  19. EuGH – C-292/89, EU:C:1990:387, Rz 27[]
  20. vgl. dazu EuGH, Urteile Halifax u.a., EU:C:2006:121, UR 2006, 232; Newey vom 20.06.2013 – C-653/11, EU:C:2013:409, HFR 2013, 851; RBS Deutschland Holding, EU:C:2010:810, UR 2011, 222[]
  21. a.A. für Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide z.B. BFH, Urteil vom 19.05.2005 – V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter 1.[]
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