Aussetzung gegen Sicherheitsleistung in der Umsatzsteuer

Die Anfechtung eines Steuerbescheides mit Einspruch oder Klage hindert nicht die Fälligkeit und Vollstreckbarkeit der festgesetzten Steuern, hierzu bedarf es einer gesonderten Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzamt oder das Finanzgericht. Diese Aussetzung „kann“ nach dem Gesetzeswortlaut jedoch von einer Sicherheitsleistungs abhängig gemacht werden, wovon insbesondere bei der Umsatzsteuer und der Lohnsteuer des öfteren Gebrauch gemacht wird.

Aussetzung gegen Sicherheitsleistung in der Umsatzsteuer

Dies hat das Bundesverfassungsgericht nun jedoch eingeschränkt. Vor den Karlsruher Verfassungsrichtern war jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung einer Sicherheitsleistung bei Aussetzung der Vollziehung einer Umsatzsteuerfestsetzung erfolgreich:

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft ein Verfahren der Umsatzsteuerfestsetzung. Streitig ist, ob das Niedersächsische Finanzgericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 iVm Abs. 2 Satz 3 FGO) von einer Sicherheitsleistung abhängig machen durfte. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die umsatzsteuerpflichtige Beschwerdeführerin, dass einem Steuerpflichtigen, dessen wirtschaftliche Verhältnisse eine Sicherheitsleistung nicht zuließen, der Rechtsvorteil der Aussetzung trotz ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids grundsätzlich nicht versagt werden dürfe.

Das Bundesverfassungsgerichts entschied nun, dass das Niedersächsische Finanzgericht die Anordnung der Sicherheitsleistung verfassungsrechtlich nicht tragfähig begründet habe:

Die gesetzliche Möglichkeit, wonach die Anordnung einer Sicherheitsleistung auch zu unterbleiben hat, wenn sie mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine unbillige Härte für ihn bedeuten würde, etwa weil der Steuerpflichtige auch im Rahmen zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten, hat das Niedersächsische Finanzamt in der Entscheidung unter Verkennung der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) versagt. Statt der Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit einer Sicherheitsleistung für die Beschwerdeführerin durch entsprechende Aufklärung und substantiierte Auseinandersetzung mit den vorliegenden Erkenntnissen im einzelnen nachzugehen, hat sich das Niedersächsische Finanzgericht auf die abstrakte rechtliche Erwägung zurückgezogen, dass von einer Sicherheitsleistung dann nicht abzusehen sei, wenn es um Steuerforderungen gehe, die laufend entstünden, weil das steuerpflichtige Unternehmen dann laufende Erlöse zurückhalten und diese als Sicherheitsleistung zur Verfügung stellen könne1. Das Hannoveraner Finanzgericht nimmt damit in Kauf, dass dem Steuerschuldner die Aussetzung der Vollziehung einer Steuerforderung trotz ernstlicher Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit nur gegen die Leistung einer Sicherheit gewährt wird, selbst wenn deren Aufbringung mit einer unbilligen Härte für ihn verbunden wäre.

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Dass in Fällen einer aus laufend vereinnahmten Steuern resultierenden Steuerschuld die Leistung einer Sicherheit, wie das Finanzgericht offenbar meint, nie zu einer unbilligen Härte für den Steuerschuldner führen könne, ist nicht erkennbar und vom Niedersächsischen Finanzgericht auch nicht tragfähig begründet. Insbesondere setzt es sich nicht mit dem nahe liegenden allgemeinen Einwand auseinander, dass ein Unternehmer die laufend und künftig vereinnahmte Umsatzsteuer schon deshalb nicht als Sicherheitsleistung für alte Steuerschulden nutzbar machen kann, weil er diese Gelder ihrerseits als Steuern abführen muss.

Diese Sichtweise des Niedersächsischen Finanzgerichts schränkt die dem Steuerpflichtigen vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes unzumutbar ein. Die Entscheidung hat zur Folge, dass bei fortlaufend veranlagten und festgesetzten Steuern wie Lohn- und Umsatzsteuer zugunsten des Steuerpflichtigen unabhängig von seinen individuellen wirtschaftlichen Verhältnissen in aller Regel nicht von einer Sicherheitsleistung abgesehen werden kann. Vielmehr wird von diesem Steuerpflichtigen verlangt, sich die entsprechenden Mittel aus den laufenden Einnahmen – hier also der laufend vereinnahmten Umsatzsteuer – zu verschaffen. Dies soll unabhängig von der Tatsache gelten, ob die betroffenen Steuerpflichtigen zu einer derartigen Rücklegung wirtschaftlich überhaupt in der Lage sind. Damit wird ganzen Gruppen von Steuerpflichtigen die Rechtsschutzmöglichkeit abgeschnitten, ohne Sicherheitsleistung die Aussetzung der Vollziehung auch eines ernsthaft in seiner Rechtmäßigkeit zweifelhaften Steuerverwaltungsakts zu erlangen, obwohl bei diesem rechtlichen Ausgangspunkt in keiner Weise gewährleistet ist, dass der Steuerpflichtige in diesen Fällen wirtschaftlich hierzu stets in der Lage ist.

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Art. 19 Abs. 4 GG verbietet es, den Zugang zu einem Rechtsbehelf – dazu gehört auch die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung – in aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren2. Die jeweils geltende Prozessordnung muss Vorkehrungen dafür treffen, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann. Ein Rechtsbehelf darf nicht ineffektiv gemacht werden und für den Beschwerdeführer „leerlaufen“3.

Art. 19 Abs. 4 GG garantiert insbesondere auch effektiven vorläufigen Rechtsschutz. Denn wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Hieraus ergeben sich für die Gerichte Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz4. Sind dem Richter im Interesse einer angemessenen Verfahrensgestaltung Ermessensbefugnisse eingeräumt, so müssen diese im konkreten Fall im Blick auf die Grundrechte ausgelegt und angewendet werden. Sie dürfen nicht zu einer Verkürzung des grundrechtlich gesicherten Anspruchs auf einen effektiven Rechtsschutz führen5.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 FGO „kann“ die finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung eines Steuerverwaltungsakts von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Das Gesetz nennt in § 69 FGO keine näheren Vorgaben zu den Voraussetzungen hierfür und nach welchen Gesichtspunkten das Finanzgericht sein ihm hierbei eingeräumtes Ermessen auszuüben hat. Es ist zunächst Sache der Finanzgerichte, Voraussetzungen und Grenzen dieser Befugnis aus § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO im Rahmen der zunächst ihnen zukommenden Auslegung und Anwendung des Fachrechts näher zu bestimmen. Dabei haben die Gerichte dem verfassungsrechtlichen Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, Rechnung zu tragen.

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In der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs sind die Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherheitsleistung als Bedingung einer Aussetzung der Vollziehung im Grundsatz geklärt6: Eine Sicherheitsleistung ist demnach angezeigt, wenn die spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der Aussetzung der Vollziehung insbesondere wegen der wirtschaftlichen Lage des Steuerschuldners gefährdet oder erschwert erscheint. Von einer Sicherheitsleistung soll gleichwohl abgesehen werden, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist ((vgl. BFH, Beschluss vom 17.05.2005 – I B 109/04, BFH/NV 2005, 1782, 1783 mit weiteren Nachweisen). Schließlich darf die Anforderung einer Sicherheitsleistung nicht erfolgen, wenn sie mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine unbillige Härte für ihn bedeuten würde, etwa weil der Steuerpflichtige im Rahmen zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten ((vgl. BFH, Beschlüsse vom 28.06.1994 – V B 18/94, BFH/NV 1995, 515 und vom 26.05.1988 – V B 26/86, BFH/NV 1989, 403, 405). Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG an einen effektiven Rechtsschutz. Die Sicherheitsleistung hat den Zweck, Steuerausfälle nach einer für den Steuerpflichtigen abschlägigen Entscheidung in der Hauptsache zu vermeiden. Insbesondere in den Fällen, in denen wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung eine Aussetzung erfolgen soll (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO), wäre es im Allgemeinen unverhältnismäßig, dem Steuerpflichtigen die Aussetzung der Vollziehung zu versagen, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse die Leistung einer Sicherheit nicht zulassen.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22. September 2009 – 1 BvR 1305/09

  1. Nds. FG, Beschlüsse vom 21.04.2009 – 5 V 117/09 und 5 V 391/08[]
  2. vgl.BVerfGE 49, 329, 341[]
  3. vgl.BVerfGE 96, 27, 39 zur Berufungszulassung[]
  4. vgl. BVerfGE 93, 1, 13 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 04.06.2001 – 1 BvR 165/01, NVwZ-RR 2001, 694; Beschluss vom 27.04.2005 – 1 BvR 223/05, NVwZ 2005, 1303[]
  5. vgl.BVerfGE 49, 220, 226[]
  6. vgl. unter anderem BFH, Beschluss vom 18.02.1992 – VIII B 101/91, BFH/NV 1993, S. 488; Koch, in: Gräber, FGO, 5. Auflage, § 69 Rn. 154 ff., insbesondere Rn. 157; Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 108 ff., insbesondere Rn. 111[]