Autos nach Portugal

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung entgegensteht, dass der inländische Unternehmer bewusst und gewollt an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers mitwirkt. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Beschwerdeverfahren zur Aussetzung der Vollziehung eines entsprechenden Umsatzsteuerbescheides.

Autos nach Portugal

Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag unter anderem dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind, so der Bundesfinanzhof in der Begründung seines Beschlusses, anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden1.

Nach diesen Grundsätzen hatte in dem jetzt vom BFH entschiedenen Fall das erstinstnazlich zuständige Finanzgericht Baden-Württemberg zu Recht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuer-Änderungsbescheide 2002 und 2003 bejaht.

Eine nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,
2. der Abnehmer ist
a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs auch jeder andere Erwerber und
3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung.

Die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG müssen vom Unternehmer nachgewiesen sein (§ 6a Abs. 3 Satz 1 UStG). Wie der Nachweis im Einzelnen zu führen ist, hat das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrats in § 17a bis § 17c der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1999 (Buch- und Belegnachweis) geregelt.

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Buch- und Belegnachweis sind nach der Rechtsprechung des EuGH2 und dem Folgeurteil des BFH3 keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung, sondern bestimmen lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn trotz der Nichterfüllung der –formellen– Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen Nachweise nicht erbrachte.

Auch in dem jetzt vom BFH entschiedenen Streitfall sprechen nach Ansicht des BFH erhebliche Gesichtspunkte für das Vorliegen steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferungen:

Die streitgegenständlichen Umsätze beruhen, was unstrittig ist, auf Lieferungen von Kraftfahrzeugen (PKW) an Abnehmer in Portugal. Bei diesen Abnehmern handelt es sich ganz überwiegend um portugiesische Unternehmer, die diese Fahrzeuge für ihr Unternehmen erworben haben. Soweit eine Zuordnung der Kfz-Lieferungen an Unternehmer weder von der Antragstellerin glaubhaft gemacht noch von der Steuerfahndung festgestellt wurde, und damit möglicherweise an Privatpersonen geliefert wurde, scheidet dagegen eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG aus.

Die von den unternehmerisch tätigen Abnehmern erworbenen Fahrzeuge unterlagen auch i.S. von § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG der Erwerbsbesteuerung in Portugal. Dass hierfür die bloße Steuerbarkeit in dem anderen Mitgliedstaat4 genügt, ergibt sich aus Art. 28a Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern5 i.V.m. der entsprechenden portugiesischen Umsetzungsnorm. Daher ist insoweit irrelevant, ob diese Erwerbsbesteuerung in Portugal tatsächlich stattgefunden hat6.

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Der Bundesfinanzhof ist dabei dem erstinstanzlich zuständigen Finanzgericht Baden-Württemberg auch insoweit gefolgt, als der im Rahmen eines fehlenden oder unzureichenden Buchnachweises relevante Gesichtspunkt einer Gefährdung des Steueraufkommens der Qualifizierung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen bei summarischer Prüfung nicht entgegensteht.

Der EuGH hat in der Rs. Collée7 entschieden, das nationale Gericht müsse insoweit prüfen, ob die verspätete Erbringung des Buchnachweises zu einer Gefährdung des Steueraufkommens führen oder die Erhebung von Mehrwertsteuer beeinträchtigen konnte. Die Nichterhebung der Mehrwertsteuer auf eine innergemeinschaftliche Lieferung könne dabei aber nicht als eine Gefährdung des Steueraufkommens angesehen werden, weil solche Einnahmen nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität dem Mitgliedstaat zustünden, in dem der Endverbrauch erfolge8.

Danach ist nicht auszuschließen, dass das Finanzgericht zu Recht wegen eines fehlenden Besteuerungsrechts Deutschlands eine Gefährdung des Steueraufkommens verneint hat. Dass es allein auf die Gefährdung des Steueraufkommens des Lieferstaats ankommt, entspricht auch einer weithin vertretenen Ansicht9 auszugehen. Darin schließt er die Gefährdung des Steueraufkommens deshalb aus, weil das FA dem S den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der GmbH an S über die fingierten Kfz-Lieferungen von vornherein versagte und zudem der Kläger die unrichtigen Rechnungen an S widerrufen hatte.

Allerdings ist letztlich noch offen und ungeklärt, ob die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung auch dann vorliegen, wenn der Lieferer an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers im Gemeinschaftsgebiet mitwirkt10.

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Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des EuGH, dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist11. Im Zusammenhang mit der Frage der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen nach Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG hat der EuGH daher im Urteil Teleos12 entschieden, dass es nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstieße, wenn vom Lieferanten gefordert würde, dass er alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Dass der Lieferant gutgläubig war, dass er alle ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat und dass seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist, sind danach wichtige Kriterien im Rahmen der Feststellung, ob er nachträglich zur Mehrwertsteuer herangezogen werden kann.

Mit der Ausstellung von Rechnungen, die den unzutreffenden Hinweis auf eine Differenzbesteuerung nach § 25a UStG trugen, hat die Antragstellerin an einer betrügerischen Handlung ihrer Abnehmer in Portugal mitgewirkt.

Es wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob die Mitwirkung eines inländischen Unternehmers an einer Steuerhinterziehung, die sein ausländischer Abnehmer gegenüber dessen Mitgliedstaat begeht, es rechtfertigen kann, dass der deutsche Fiskus eine Steuer festsetzen darf, die nicht entstanden wäre, wenn der deutsche Unternehmer seinen wahren Abnehmer in seinen Büchern benannt und nicht einen Scheinabnehmer vorgetäuscht hätte. Dadurch könnte die Versagung der Steuerfreiheit möglicherweise einen unzulässigen Sanktionscharakter erhalten13.

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Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs wird vertreten, dass die für den Leistenden erkennbare Nichtbesteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den Erwerber zur Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferung führe14. Dem könnte jedoch entgegenstehen, dass die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis erfordert, dass die Umsätze trotz formaler Anwendung des Gemeinschaftsrechts und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe. Außerdem muss anhand objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird. Denn das Missbrauchsverbot ist nicht relevant, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben als nur die Erlangung von Steuervorteilen15.

In diesem Zusammenhang stellt sich die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob die Vermeidung der Erwerbsbesteuerung durch den Abnehmer ein dem Lieferanten zuzurechnender Steuervorteil ist, den dieser auch im Wesentlichen bezweckt hat. Die Klärung dieser Frage kann jedoch nicht im vorläufigen Aussetzungsverfahren erfolgen, sondern ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. In diesem wird auch die künftige Entscheidung des EuGH über die ihm vom 1. Strafsenat des BGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu berücksichtigen sein16.

Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide können –entgegen der Ansicht des Finanzamtes — auch nicht durch den Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 219, 410, BStBl II 2009, 49 ausgeräumt werden. Darin wurde die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen versagt, weil die Klägerin keinen Beleg vorlegte, aus dem sich leicht und einfach nachprüfbar ergab, dass sie oder ihr Abnehmer die Gegenstände der Lieferungen in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Das FG hatte zwar festgestellt, dass W und B die tatsächlichen Abnehmer waren, ungeklärt blieb dagegen, ob die Beförderung oder Versendung durch den Unternehmer oder den Abnehmer erfolgte. Damit ist der Streitfall, in dem eine Versendung durch Spediteure nach objektiver Beweislage feststeht, nicht vergleichbar.

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Soweit Lieferungen an portugiesische Unternehmer weder von der Antragstellerin glaubhaft gemacht noch von der Steuerfahndung festgestellt wurden, ist bei der gebotenen summarischen Prüfung im Aussetzungsverfahren von nicht steuerbaren Lieferungen an private Abnehmer auszugehen.

Grenzüberschreitende Lieferungen an private Abnehmer sind zwar grundsätzlich im Ursprungsland steuerbar und mangels Steuerbefreiung auch steuerpflichtig. Eine Besteuerung im Bestimmungsland ergibt sich jedoch nach § 3c Abs. 1 UStG für die Lieferungen von Gegenständen (mit Ausnahme neuer Fahrzeuge) im Wege der Beförderung oder Versendung durch den Lieferer in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats an einen Abnehmer i.S. von § 3c Abs. 2 UStG, wobei die sog. Lieferschwelle des § 3c Abs. 3 UStG überschritten sein muss.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29. Juli 2009 – XI B 24/09

  1. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 18. Oktober 1989 – IV B 149/88, BFHE 158, 426, BStBl II 1990, 71; vom 6. März 2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 311, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 87[]
  2. EuGH, Urteil vom 27. September 2007 – Rs. C-146/05 –Collée–, Slg. 2007, I-7861[]
  3. BFH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – V R 59/03, BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57[]
  4. Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, § 6a UStG Rz 52[]
  5. Richtlinie 77/388/EWG[]
  6. vgl. EuGH, Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-409/04 –Teleos–, Slg. 2007, I-7797, Randnrn. 69 ff.; BFH, Urteil in BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57, unter II.1.a, sowie BFH, Urteil vom 30. März 2006 – V R 47/03, BFHE 213, 148[]
  7. Slg. 2007, I-7861[]
  8. ähnlich EuGH, Urteil vom 8. Mai 2008 Rs. C-95/07 –Ecotrade–, Slg. 2008, I-3457, Randnr. 71 im Rahmen der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens[]
  9. vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. November 2008 6 K 1463/08, juris; Winter, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2007, 881, 882; Hentschel, Deutsches Steuerrecht 2009, 1076, 1078; Huschens, EU-Umsatz-Steuer-Berater 2007, 21; Sterzinger, UR 2008, 169, 172). Davon scheint auch der BFH im Folgeurteil Collée in BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57[]
  10. vgl. dazu Beschlüsse des BGH in BGHSt 53, 45, und vom 19. Februar 2009 1 StR 633/08, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2009, 238[]
  11. vgl. EuGH, Urteile vom 6. Juli 2006 Rs. C-439/04 und C-440/04 –Kittel und Recolta Recycling–, Slg. 2006, I-6161, Randnr. 54, m.w.N.; vom 21. Februar 2006 Rs. C-255/02 –Halifax–, Slg. 2006, I-1609, Randnrn. 68 f.[]
  12. Slg. 2007, I-7797[]
  13. vgl. dazu Randnr. 45 des Schlussantrags der Generalanwältin vom 11. Januar 2007 in der Rs. C-146/05 –Collée–, Slg. 2007, I-7861; sowie EuGH-Urteil Collée in Slg. 2007, I-7861, Randnr. 40[]
  14. Wäger, Urteilsanmerkung zum EuGH-Urteil Kittel und Recolta Recycling in Slg. 2006, I-6161, UR 2006, 599, 601[]
  15. vgl. EuGH, Urteil Halifax in Slg. 2006, I-1609, Randnrn. 74 ff.[]
  16. EuGH, Beschluss vom 7. Juli 2009 1 StR 41/09[]
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