Bauträger – und die Rückabwicklung des Reverse-Charge-Verfahrens

Im Zusammenhang mit der Nachbelastung von Umsatzsteuer bei der Rückabwicklung des Reverse-Charge-Verfahrens in Bauträgerfällen – also bei der Übertragung der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen – scheidet nach Ansicht des Finanzgerichts Köln ein vorläufiger Steuerrechtsschutz grundsätzlich aus.

Bauträger – und die Rückabwicklung des Reverse-Charge-Verfahrens

In dem hier vom Finanzgericht Köln entschiedenen Fall erbrachte der Bauunternehmer in den Jahren 2011 bis 2013 Bauleistungen gegenüber zwei Bauträgern, die eigene Grundstücke zum Zweck des Verkaufs bebauten. Entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung gingen alle Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Bauträger als Leistungsempfänger die auf die Bauleistungen entfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen hatten. Nachdem diese Erlasslage aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22. August 20131 nicht mehr maßgeblich war, beantragten die Bauträger die Erstattung der für Bauleistungen des Bauunternehmers bezahlten Umsatzsteuer. Infolgedessen änderte das Finanzamt die bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide des Bauunternehmers für die Streitjahre 2011 bis 2013 und erhöhte die festgesetzte Umsatzsteuer um insgesamt über 60.000 €. Dabei berief es sich auf eine Neuregelung, die der Gesetzgeber als Reaktion auf das Urteil des Bundesfinanzhofs zur Vermeidung von Steuerausfällen in das Umsatzsteuergesetz aufgenommen hat (§ 27 Abs.19 UStG).

Das Finanzgericht Köln lehnte die Aussetzung der Vollziehung der geänderten Umsatzsteuerbescheide wie schon zuvor das Finanzamt ab. Die Vollziehungsaussetzung aller nach § 27 Abs.19 UStG geänderten Umsatzsteuerbescheide hätte die faktische Außerkraftsetzung dieser formell ordnungsgemäß erfolgten Gesetzesänderung und damit eine erhebliche Breitenwirkung zur Folge. Die Leistungen eines ganzen Wirtschaftszweiges würden im Ergebnis über mehrere Jahre nicht der Umsatzsteuer unterworfen, obwohl der umsatzsteuerliche Tatbestand unstreitig erfüllt sei. Dem hierdurch für den öffentlichen Haushalt entstehenden fiskalischen Risiko von mehreren Milliarden € stünden im Streitfall keine nicht wieder gutzumachenden Nachteile des Bauunternehmers entgegen. Bei dieser Beurteilung berücksichtigte das Finanzgericht insbesondere, dass der Bauunternehmer nach der gesetzlichen Regelung in § 27 Abs.19 Sätze 3 und 4 UStG die Möglichkeit gehabt hätte, die Steuererhöhung ihm gegenüber zu verhindern, indem er den Bauträgern die Umsatzsteuer nachträglich in Rechnung gestellt und die entsprechenden Zahlungsansprüche an den Fiskus abgetreten hätte.

Diese Rechtsprechung ist jedoch nicht unumstritten: So hat zwar auch das Finanzgericht Düsseldorf2 hat den Antrag eines Bauunternehmens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit der Nachbelastung von Umsatzsteuer im sog. Reverse-Charge-Verfahren abgelehnt. Dagegen haben das Finanzgericht Münster3 und das Finanzgericht Berlin-Brandenburg4 in vergleichbaren Fällen unter Vertrauensschutzgesichtspunkten vorläufigen Rechtsschutz gewährt.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).

Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken5. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen6.

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Dies gilt auch dann, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dem Bescheid zugrunde liegende Norm begründet werden. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung7. Es genügen auch in diesem Fall gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechende Gründe; die Beurteilung des Aussetzungsantrags erfolgt nicht anhand der – strengeren – Maßstäbe, wie sie das BVerfG für die einstweilige Anordnung gemä? § 32 BVerfGG entwickelt hat8.

Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, so ist der Verwaltungsakt, von Ausnahmen in Sonderfällen abgesehen, trotz der gesetzlichen Formulierungen „kann … aussetzen“ in § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO und „soll die Aussetzung erfolgen“ in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO von der Vollziehung auszusetzen9. Das in § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO angelegte Ermessen des Finanzgerichts bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung ist in dem Sinne vorgeprägt bzw. gebunden, dass das Gericht bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen im Regelfall zur Aussetzung verpflichtet und nur ausnahmsweise ein Abweichen von dieser Regel zugelassen ist10.

Ein solcher Ausnahmefall wird von der Rechtsprechung insbesondere in den Fällen angenommen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakt auf ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der angewandten Rechtsnormen beruhen11. Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Bauunternehmers voraus12.

Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an13. Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat14.

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Diese einschränkende Rechtsprechung hat das BVerfG im Grundsatz gebilligt15. Das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses, welches gegen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts abzuwägen ist, ist kein zusätzliches, unbestimmtes Tatbestandsmerkmal, sondern eine zulässige Interpretation des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO als Soll-Vorschrift16 und verstößt nicht grundsätzlich gegen den aus Art.19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen17.

Hieran ist nach Auffassung des Finanzgerichts Köln trotz der in der Literatur geäußerten Kritik18 festzuhalten. Zwar ist die Rechtsprechung des BFH zu dieser Frage uneinheitlich. Verschiedene Finanzgerichte lassen die Frage, ob sie der bisherigen Rechtsprechung folgen wollen, dahingestellt, sofern bei der gleichwohl vorgenommenen Abwägung das individuelle Aussetzungsinteresse überwiegt19. Dabei wird – zutreffend – darauf hingewiesen, dass der schlichte Hinweis auf die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte nicht ausreiche, um das Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen zu überwiegen20. Nicht erhebliche, rein fiskalisch begründete Interessen, seien keine schwerwiegenden öffentlichen Interessen an einer Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts21.

Allerdings ist nicht festzustellen, dass der Bundesfinanzhof insgesamt von dem Erfordernis einer Interessenabwägung abgerückt wäre. Sowohl der II. Senat des Bundesfinanzhofs14 als auch der VII. Senat des BFH22 haben auch in ihrer jüngeren Rechtsprechung an dieser Abwägung festgehalten und die Aussetzung der Vollziehung aus Gründen eines überwiegenden öffentlichen Interesses abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 24.10.201123 die Spruchpraxis des II. Senats des Bundesfinanzhofs nicht verworfen, sondern unter Bestätigung der Entscheidung lediglich im Ergebnis offen gelassen, ob diese Rechtsprechung in jeder Hinsicht mit Art.19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Beide BFH-Senate24 haben auch in ihren jüngsten Beschlüssen eine entsprechende Abwägung vorgenommen, auch einige Finanzgerichte sind dem gefolgt25.

Im hier entschiedenen Fall schließt sich das Finanzgericht Köln dieser Sichtweise an. Es ist nicht erkennbar, dass die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelte Begründung für das Erfordernis einer Interessenabwägung in Fallgestaltungen wie der vorliegenden, die ihren Kern im Grundsatz der Gewaltenteilung und der hieraus folgenden Verwerfungskompetenz des BVerfG gemä?§ 32 Abs. 1 BVerfGG hat26, heute keine Geltung mehr beanspruchen könnte. Diese Interessenabwägung bietet hinreichende Möglichkeit, den berechtigten Interessen sowohl des Staates als auch dem rechtsschutzsuchenden Steuerpflichtigen zu genügen27.

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Die hiernach vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung der streitgegenständlichen Bescheide und dem individuellen Interesse des Bauunternehmers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes fällt im Streitfall zu Lasten des Bauunternehmers aus. Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sowie an dem Vollzug eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes überwiegt das Interesse des Bauunternehmers, das allein darin besteht, die bereits gezahlte Umsatzsteuer – im Ergebnis – vorläufig wieder erstattet zu bekommen.

Die Vollziehungsaussetzung bzw. -aufhebung aller nach § 27 Abs.19 UStG geänderten Umsatzsteuerbescheide hätte die faktische Außerkraftsetzung des formell ordnungsgemäß zustande gekommenen § 27 Abs.19 UStG und damit eine erhebliche Breitenwirkung zur Folge. Letztlich bewirkte dies, dass die infolge des BFH-Urteils vom 22.08.201328 an die betreffenden Bauträger zu erstattende Umsatzsteuer im Ergebnis gar nicht erhoben werden könnte und daher die Leistungen eines ganzen Wirtschaftszweigs über mehrere Jahre im Ergebnis nicht der Umsatzsteuer unterworfen würden, obwohl der umsatzsteuerliche Tatbestand durch diese Leistungen unstreitig erfüllt war. Das hierdurch für den öffentlichen Haushalt bestehende und als „fiskalisches Fiasko“29 bezeichnete fiskalische Risiko wurde in der Literatur auf mehreren Mrd. € geschätzt30. Auch der Bauunternehmer äußert die Ansicht, dass die Einführung des § 27 Abs.19 UStG der Angst vor Umsatzsteuerausfällen in Milliardenhöhe geschuldet sei. Der beschließende Finanzgericht teilt diese Ansicht und sieht jedenfalls ganz erhebliche Risiken für die öffentlichen Haushalte, sofern nach § 27 Abs.19 UStG geänderte Umsatzsteuerbescheide wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift von der Vollziehung ausgesetzt werden. Unsicherheiten bei der exakten Bestimmung des drohenden Steuerausfalls können bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden Prüfung auf sich beruhen31.

Dass der Bauunternehmer demgegenüber ohne die Erstattung der festgesetzten und von diesem auch bereits entrichteten Steuer nicht wiedergutzumachende Nachteile von erheblichem Gewicht erlitte oder nicht mehr gewinnbringend gewerblich tätig sein könnte, ist seinem Vortrag nicht schlüssig zu entnehmen und auch im Übrigen nicht ersichtlich.

Unabhängig von der Höhe der streitigen Umsatzsteuerbeträge und der Tatsache, dass der Bauunternehmer diese Beträge zwischenzeitlich entrichtet hat, ist bei der vorzunehmenden Interessenabwägung im Streitfall zu beachten, dass der Bauunternehmer nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht endgültig mit der nach § 27 Abs.19 Satz 1 UStG festzusetzenden Umsatzsteuer belastet ist. Vor diesem Hintergrund hat der Bauunternehmer sein besonderes Aussetzungsinteresse damit begründet, dass er zivilrechtlich keine Möglichkeit habe, die Umsatzsteuer gegenüber den Leistungsempfängern nachträglich in Rechnung zu stellen. Der beschließende Finanzgericht lässt offen, ob er die zivilrechtliche Einschätzung des Bauunternehmers insoweit teilt32. Jedenfalls aber hat der Bauunternehmer die Möglichkeit, gemäß § 27 Abs.19 Sätze 3 und 4 UStG den – zumindest behaupteten – zivilrechtlichen Zahlungsanspruch gegenüber den Leistungsempfängern an den Fiskus an Zahlung statt abzutreten und damit auf Ebene der Steuererhebung das Erlöschen der Umsatzsteuerforderung herbeizuführen. Ein – dem Wortlaut des § 27 Abs.19 Satz 3 UStG zu vermutendes – Ermessen bei der Annahme der Abtretung durch die Finanzverwaltung dürfte dabei nach Auffassung des Finanzgerichts nicht bestehen. Das Risiko der Durchsetzung des zivilrechtlichen Anspruchs trägt nach der gesetzgeberischen Konzeption der Fiskus als Zessionar.

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Ob in jedem Einzelfall das Konzept des Gesetzgebers, im Nachgang des BFH-Urteils vom 22.08.201328 die Bauleistenden unter ausdrücklichem gesetzlichen Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO bei der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung in ihrem – ggfs. bestehenden – Vertrauen zu enttäuschen und Vertrauensschutz auf der Ebene der Steuererhebung zu gewähren, kann im Streitfall unentschieden bleiben. Insoweit bestehen Zweifel jedenfalls in Fällen der Leistungsstörung, der Insolvenz des Leistungsempfängers oder ähnlichem. Im Streitfall aber hat der Bauunternehmer von der in § 27 Abs.19 Sätze 3 und 4 UStG gesetzlich vorgesehen Möglichkeit, Vertrauensschutz zu erlangen, keinen Gebrauch gemacht. Ein – die öffentlichen Belange überwiegendes – besonderes berechtigtes Interesse an der Vollziehungsaufhebung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide kann vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der erheblichen Breitenwirkung einer Vollziehungsaussetzung wegen einer möglichen Verfassungswidrigkeit des § 27 Abs.19 UStG nicht angenommen werden.

Zwar kann einem rechtsschutzsuchenden Steuerpflichtigen effektiver Rechtsschutz gemäß Art.19 Abs. 4 GG nicht unter Hinweis auf eine einfachgesetzliche Wahlmöglichkeit versagt werden, die eine unbillige Härte abmildern soll33. Anders als in diesem Sachverhalt handelt es sich aber nicht um eine mit Nachteilen für den Steuerpflichtigen verbundene Wahlmöglichkeit, eine unbillige Härte abzumildern, sondern um das gesetzgeberische Konzept, um das Vertrauen des einzelnen Steuerpflichtigen und das öffentliche Interesse der ordnungsgemäßen Umsatzbesteuerung der Leistungen zwischen Bauleistenden und Bauträgern gleichermaßen zur Geltung zu verhelfen. Nimmt der rechtsschutzsuchende Steuerpflichtige diese Möglichkeit nicht war, so vermindert sich die Berechtigung seines individuellen Interesses an der Vollziehungsaussetzung bzw. -aufhebung, mit der Folge, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Bescheide im Streitfall dessen Aussetzungsinteresse überwiegt.

Bei diesem Ergebnis der Interessenabwägung wäre die beantragte Vollziehungsaufhebung auch dann abzulehnen, wenn das Finanzgericht Köln die vom Bauunternehmer und in der Literatur34 sowie vom Finanzgericht Berlin-Brandenburg35 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einführung des § 27 Abs.19 UStG insbesondere wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbots teilte36. Aus diesem Grund lässt das Finanzgericht Köln diese Frage offen. Er weist allerdings darauf hin, dass die Regelung des § 27 Abs.19 UStG teilweise auch ausdrücklich für verfassungskonform gehalten wird37 und jedenfalls bislang keine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines konkretes Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG erfolgte.

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Für eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte der Vollziehung sind im Streitfall keine Gesichtspunkte vorgetragen und auch im Übrigen nicht ersichtlich.

Finanzgericht Köln, Beschluss vom 1. September 2015 – 9 V 1376/15

  1. BFH, Urteils vom 22.08.2013, V R 37/10[]
  2. FG Düsseldorf, Beschluss vom 31.08.2015 – 1 V 1486/15[]
  3. FG Münster, Beschluss vom 12.08.2015 – 15 V 2153/15 U[]
  4. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 – 5 – V 5026/15[]
  5. vgl. BFH, Beschluss vom 10.02.1967 – III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung[]
  6. BFH, Beschlüsse vom 19.05.2010 – I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156; und vom 26.08.2010 – I B 85/10, BFH/NV 2011, 220[]
  7. grundlegend BFH, Beschluss vom 10.02.1984 – III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454; weitere nachweise bei Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand: Juli 2015, § 69 FGO Rn 96 m.w.N.[]
  8. vgl. BFH in BStBl II 1984, 454[]
  9. so grundlegend BFH, Beschluss vom 04.12 1967 – GrS 4/67, BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199[]
  10. Gosch in Beermann/Gosch, Abgabenordnung /Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rn 179 m.w.N.; vgl. auch BFH, Beschluss vom 10.11.1994 – IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814[]
  11. vgl. BFH, Beschlüsse vom 09.03.2012 – VII B 171/11, BFH/NV 2012, 874 m.w.N.; sowie in BStBl II 1984, 454[]
  12. bspw. BFH, Beschlüsse vom 01.04.2010 – II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 27.08.2002 – XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 06.11.2001 – II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30.01.2001 – VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031; und vom 17.03.1994 – VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567[]
  13. BFH, Beschlüsse in BStBl II 2003, 18; vom 20.07.1990 – III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104; und vom 20.05.1992 – III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl II 1992, 729[]
  14. BFH, Beschluss in BStBl II 2010, 558[][]
  15. BVerfG, Beschlüsse vom 06.04.1988 – 1 BvR 146/88, DStZ/E 1988, 237; und vom 03.04.1992 – 2 BvR 283/92, HFR 1992, 726; im Ergebnis offengelassen zuletzt BVerfG, Beschluss vom 24.10.2011 – 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, HFR 2012, 89[]
  16. BVerfG, Beschluss in DStZ/E 1988, 237[]
  17. BVerfG, Beschlüsse in DStZE 1988, 237; und in HFR 1992, 726[]
  18. vgl. insbesondere Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rn 96 ff.; ders., Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, DStR 2012, 325; vgl. auch Koch in Gräber, a.a.O., § 69 Rz 113; Schallmoser, Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm, DStR 2010, 297, alle m.w.N.; für eine Interessenabwägung dagegen z.B. Gosch, a.a.O., § 69 FGO Rn. 180f.[]
  19. vgl. BFH, Beschluss in DStR 2012, 955; Beschluss vom 18.12 2013 – I B 85/13, BFHE 244, 320, BStBl II 2014, 947; Beschluss vom 25.08.2009 – VI B 69/09, BFHE 226, 89, BStBl II 2009, 826[]
  20. BFH, Beschluss vom 23.08.2007 – VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799[]
  21. so BFH, Beschlüsse vom 05.03.2001 – IX B 90/00, BFHE 195, 205, BStBl II 2001, 405; und vom 22.12 2003 – IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367[]
  22. BFH, Beschluss in BFH/NV 2012, 874[]
  23. BVerfG, HFR 2012, 89[]
  24. BFH, Beschlüsse vom 21.11.2013 – II B 46/13, BFHE 243, 162, BStBl II 2014, 263; vom 15.04.2014 – II B 71/13, BFH/NV 2015, 7; und vom 25.11.2014 – VII B 65/14, BFHE 247, 182, BStBl II 2015, 207[]
  25. zuletzt FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.06.2015 – 5 V 10344/14; FG Köln, Beschlüsse vom 20.12 2013 – 4 V 2879/13, EFG 2014, 573; und vom 04.07.2012 – 13 V 1292/12, EFG 2012, 2036[]
  26. vgl. zu dieser Begründung zuletzt BFH, Beschluss in DStR 2012, 605[]
  27. vgl. BFH, a.a.O.[]
  28. BFH, Urteils vom 22.08.2013 – V R 37/10, a.a.O.[][]
  29. Wäger, UR 2014, 81; Sterzinger, UR 2015, 293; Habammer/Schneider, BB 2015, 1108[]
  30. so Widmann, DStR, Beih.2014, 109: 7 Mrd. €; vgl. auch Immobilien-Zeitung vom 22.05.2014: „Das Milliarden, Urteil“: „Dieses Urteil ist wie ein Lottoschein, auf dem sechs Richtige angekreuzt sind. Man muss ihn nur noch abgeben.“, zitiert nach Hechtner, Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften; vom 23.06.2014[]
  31. BFH, Beschluss vom 25.11.2014 – VII B 65/14, a.a.O.[]
  32. zum Streitstand insoweit vgl. bspw. Habammer/Schneider, a.a.O. m.w.N.; für das Bestehen eines solchen Anspruchs bspw. Heuermann, DB 2015, 572[]
  33. vgl. BFH, Beschluss vom 21.11.2013 – II B 46/13, BFHE 243, 162, BStBl II 2014, 263 zum vorläufigen Rechtsschutz wegen des Normenkontrollverfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs.1 ErbStG und dem Wahlrecht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG[]
  34. z.B. Lippross, UR 2014, 717; ders., NWB 2015, 677[]
  35. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 – 5 V 5026/15, DStR 2015, 1438[]
  36. vgl. BFH, Beschluss vom 25.11.2014 – VII B 65/14, a.a.O.[]
  37. vgl. bspw. Heuermann, DB 2015, 572; Sterzinger, UR 2015, 293; Habammer/Schneider, BB 2015, 1108[]
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