Besucherführungen beim Bundestag – als umsatzsteuerfreie Unterrichtsleistungen

Ein für den Besucherdienst des Deutschen Bundestages tätiger Dozent ist mit seinen Führungen und Vorträgen zwar nicht nach nationalem Recht, aber nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steuerfrei.

Besucherführungen beim Bundestag – als umsatzsteuerfreie Unterrichtsleistungen

Der Dozent erbringt seine entgeltlichen Leistungen steuerbar als Unternehmer gemäß § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 UStG. Diese Leistungen sind nach nationalem Recht nicht steuerfrei, da insbesondere die Voraussetzungen der Befreiungstatbestände nach § 4 Nr. 21 UStG nicht vorliegen.

Allerdings kann sich der Dozent für die Steuerfreiheit seiner Leistungen aber auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (bis einschließlich 2006: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG) berufen. Die Mitgliedstaaten befreien danach insbesondere den „Schul- und Hochschulunterricht … durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder [durch] andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“. Die hierfür erforderlichen leistungs- wie auch unternehmerbezogenen Voraussetzungen liegen vor:

Bei den Leistungen des Dozenten handelte es sich um Schul- und Hochschulunterricht.

Nach der EuGH-Rechtsprechung beschränkt sich der Begriff Schul- und Hochschulunterricht nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben1. Dem hat sich der Bundesfinanzhof angeschlossen2.

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Zutreffend hat das Finanzgericht die Leistungen des Dozenten als eine Form von Schulunterricht angesehen. Bei der Tätigkeit des Dozenten stand die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Bereich Geschichte und Sozialkunde im Mittelpunkt. Die Entscheidung des Finanzgericht, dass den Leistungen des Dozenten Unterrichtscharakter zukommt und diese über ein „qualitatives Mindestniveau“ verfügten, ist revisionsrechtlich ebenso wenig zu beanstanden wie die Verneinung eines Freizeitcharakters, wofür sich das Finanzgericht neben den freizeitfernen Inhalten der Veranstaltungen auch auf die Kostenübernahme durch öffentliche Träger und die Teilnahmepflicht als Voraussetzung der Kostenübernahme stützen könnte. Bestätigt wird dies durch die Zusammensetzung der Teilnehmergruppen (Schüler, Studenten und Auszubildende).

Der Dozent ist auch unternehmerbezogen eine Einrichtung mit anerkannter vergleichbarer Zielsetzung wie eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die mit der Aufgabe des Schul- und Hochschulunterrichts betraut ist (anerkannte Einrichtung).

Wie der Bundesfinanzhof bereits entschieden hat, ist der Begriff „Einrichtung“ grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht wie den Dozenten zu erfassen3.

Der Dozent verfügt insoweit auch über die erforderliche Anerkennung.

Die Rechtsprechung zur unternehmerbezogenen Anerkennung im Sozialbereich (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL und zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG) ist grundsätzlich auch auf den Unterrichtsbereich (Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL, bis einschließlich 2006: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG) zu übertragen4. Danach gehören zu den für die Anerkennung im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigenden Gesichtspunkten das Bestehen spezifischer Vorschriften -seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit-, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch -im Sozialbereich- Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit5.

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Auf dieser Grundlage hat der Bundesfinanzhof die Anerkennung im Unterrichtsbereich bereits aufgrund einer Kostentragung6.

Der Bundesfinanzhof sieht den Dozenten als anerkannt an. Die Anerkennung folgt aus dem hohen Gemeinwohlinteresse an der Tätigkeit des Besucherdienstes für ein oberstes Verfassungsorgan sowie aus der Kostentragung durch die Parlamentsverwaltung.

Der Präsident des Bundestages übt gemäß Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG insbesondere das Hausrecht aus. Er ist auch Leiter der Verwaltung des Bundestages7. Bei der Verwaltung des Bundestages handelt es sich um eine oberste Bundesbehörde8 i.S. einer „Hilfseinrichtung besonderer Art“9.

Die Bundestagsverwaltung unterhält einen Besucherdienst. Dieser ermöglicht gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. c der Hausordnung des Deutschen Bundestages „Besuchergruppen und Einzelbesucher, die vom Besucherdienst eingeladen oder zugelassen worden sind“ einen bevorzugten Zutritt zu den Tribünenbereichen des Plenarsaals des Deutschen Bundestages bei den öffentlichen Verhandlungen des Bundestages (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Verwaltung des Deutschen Bundestages bietet zudem Hausführungen und die Teilnahme an Vorträgen zu Aufgaben, der Arbeitsweise und der Zusammensetzung des Parlaments an. An der Information der Öffentlichkeit über die Geschichte des deutschen Parlamentarismus, über Funktion, Struktur und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages sowie über die demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse besteht ein hohes Gemeinwohlinteresse. Diesen Aufgaben kann der Besucherdienst des Deutschen Bundestages ohne die für ihn tätigen Dozenten nicht nachkommen.

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Da der Dozent seine Leistungen unmittelbar an den Besucherdienst des Deutschen Bundestages erbrachte und von der Parlamentsverwaltung unmittelbar vergütet wurde, spricht auch die öffentlich-rechtliche Kostentragung für eine Anerkennung. Diese Kostentragung beruht zwar nicht auf einer ausdrücklichen gesetzlich angeordneten Kostentragung10. Das Fehlen einer derartigen Gesetzesregelung wird im Rahmen der gebotenen Abwägung aber durch die Tätigkeit des Dozenten für ein oberstes Verfassungsorgan und die dieses Verfassungsorgan im Rahmen einer Annex-Kompetenz11 treffende Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit über die Parlamentsarbeit ausgeglichen.

Dem steht nicht entgegen, dass nach Ansicht des Finanzamt die für eine Anerkennung erforderliche Vergleichbarkeit mit öffentlichen Einrichtungen nur dann bestehen soll, wenn der private Unternehmer in der Gesamtrichtung seiner unternehmerischen Zielsetzung darauf ausgerichtet ist, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die geeignet sind, einen Schul- oder Hochschulabschluss oder einen Berufsabschluss zu erwerben oder berufliche Kenntnisse durch Fortbildung oder Weiterbildung zu erhalten oder zu erweitern. Hiergegen spricht bereits die weite Auslegung des Begriffs des Schul- und Hochschulunterrichts. Dementsprechend umfasst dieser Begriff z.B. auch Kurse für „Sofortmaßnahmen am Unfallort“12.

Auf die Frage, ob die Leistungen des Dozenten auch als solche eines Privatlehrers steuerfrei sein können (Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL), kommt es nicht an.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. August 2016 – V R 38/15

  1. EuGH, Urteile Haderer vom 14.06.2007 – C-445/05, EU:C:2007:344, Rz 26, und Eulitz vom 28.01.2010 – C-473/08, EU:C:2010:47, Rz 29[]
  2. BFH, Urteile vom 20.03.2014 – V R 3/13, BFH/NV 2014, 1175, unter II. 2.; und vom 05.06.2014 – V R 19/13, BFHE 245, 433, unter II. 2.b[]
  3. vgl. BFH, Urteil vom 21.03.2007 – V R 28/04, BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999, unter II. 2.c dd (1) []
  4. BFH, Urteil in BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999, unter II. 2.c dd (2); vgl. auch BFH, Urteil vom 18.02.2016 – V R 46/14, BFHE 253, 421, Rz 47[]
  5. BFH, Urteil in BFHE 253, 421, Rz 30[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999, unter II. 2.c dd (2) oder aus Gründen eines hohen Gemeinwohlinteresses bejaht ((BFH, Urteil in BFHE 245, 433, unter II. 2.c[]
  7. Klein in Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 40, Anm. 106[]
  8. Klein in Maunz/Dürig, a.a.O., Rz 107[]
  9. Zeh, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl.2005, S. 790[]
  10. zu diesem Erfordernis vgl. BFH, Urteil in BFHE 253, 421, Rz 43 und 47[]
  11. vgl. allgemein BVerfG, Beschluss vom 03.07.2012 – 2 PBvU 1/11, BVerfGE 132, 1[]
  12. BFH, Urteil vom 10.01.2008 – V R 52/06, BFHE 221, 295, unter II. 2.a[]
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