Das debitorische Kontokorrentkonto – und die Bankenhaftung für die Umsatzsteuer

Die kontoführende Bank haftet mangels Vereinnahmung nicht nach § 13c UStG, solange die Kreditlinie des Kontokorrentkontos des Steuerschuldners eingehalten wird.

Das debitorische Kontokorrentkonto – und die Bankenhaftung für die Umsatzsteuer

Soweit der leistende Unternehmer den Anspruch auf die Gegenleistung für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG an einen anderen Unternehmer abgetreten und die festgesetzte Steuer, bei deren Berechnung dieser Umsatz berücksichtigt worden ist, bei Fälligkeit nicht oder nicht vollständig entrichtet hat, haftet der Abtretungsempfänger gemäß § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG nach Maßgabe des Absatzes 2 für die in der Forderung enthaltene Umsatzsteuer, soweit sie im vereinnahmten Betrag enthalten ist.

Eine Grundlage hierfür besteht im Unionsrecht insoweit, als Art.205 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) die Mitgliedstaaten berechtigt, in den in den Art.193 bis 200 sowie 202 bis 204 MwStSystRL genannten Fällen zu bestimmen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat. § 13c UStG ist unionsrechtskonform1.

Das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt2 hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass die Bank die Beträge dadurch vereinnahmt hat, dass diese in den Monaten Juli und August 2011 dem Kontokorrentkonto ihrer Kundin, der A-GmbH, gutgeschrieben wurden, obwohl bis zum 31.08.2011 die Kreditlinie nicht überschritten worden war.

Eine Vereinnahmung der abgetretenen Forderung i.S. des § 13c UStG liegt unter den gleichen Voraussetzungen vor, wie sie allgemein im Rahmen der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 oder Buchst. b UStG bei der Ist-Besteuerung bestehen. Danach muss der Abtretungsempfänger eine Zahlung aus der abgetretenen Forderung erhalten3. Im Anwendungsbereich des § 13 UStG liegt bei Überweisungen eine Vereinnahmung im Zeitpunkt der erfolgten Gutschrift auf dem Konto vor4. Streitig ist allerdings, ob bereits das Einstellen der Forderung in ein Kontokorrent zur Vereinnahmung i.S. des § 13 UStG führt5 oder ob eine Vereinnahmung erst mit der Anerkennung des Saldos am Ende eines Abrechnungszeitraums vorliegt (Abschn. 13.6 Abs. 1 Satz 7 UStAE).

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Wesentlich für die Vereinnahmung i.S. des § 13c Abs. 1 UStG ist, dass der Forderungsbetrag dem Verfügungsbereich des Zedenten in einer Weise entzogen wird, dass er nicht mehr zur Tilgung der Umsatzsteuerschulden zur Verfügung steht. Auf der anderen Seite muss der Betrag dem Zessionar zugänglich gemacht worden sein, so dass er über diesen frei verfügen kann6. Entsprechend der Rechtsprechung zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 und Buchst. b UStG ist daher auch für die Vereinnahmung i.S. von § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG maßgeblich, dass über die Gegenleistung (als den zu vereinnahmenden Betrag) wirtschaftlich verfügt werden kann7. Es kommt somit für die Vereinnahmung i.S. von § 13c UStG nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Verfügungsmacht darauf an, ob der Zedent über dieses Konto bei der Gutschrift hinsichtlich des Überweisungsbetrags in der Weise verfügungsberechtigt ist, dass er den Betrag der Gutschrift abheben oder für frei gewählte Überweisungen nutzen kann, oder ob der Zessionar eine ihm zustehende Rechtsmacht ausübt, dies zu verhindern8.

Befindet sich das Kontokorrentkonto des Steuerpflichtigen, auf dem die Zahlung der Gegenleistung erfolgt, im Soll, ist für die Frage der wirtschaftlichen Verfügungsmacht Folgendes zu berücksichtigen:

Die Bank des Überweisungsempfängers handelt im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr regelmäßig nur als bloße Leistungsmittlerin, d.h. als Zahlstelle des Überweisungsempfängers. Als solche steht sie in keinerlei Leistungsverhältnis zu dem Überweisenden, so dass sie z.B. grundsätzlich auch nicht in die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einer Fehlüberweisung eingebunden ist9. Sie muss dann auf dem Girokonto eingehende Beträge verbuchen oder herausgeben10.

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Bei einem Kontokorrentkonto werden zudem die einzelnen Gut- und Lastschriften -mit dem Ziel der Verrechnung und Saldofeststellung- in einer einheitlichen Rechnung zusammengefasst. Solange die Verrechnung nicht stattgefunden hat, stehen die aus Ein- und Ausgängen herrührenden einzelnen Posten einander im Kontokorrent gleichwertig gegenüber. Eine Tilgung tritt gemäß § 355 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs erst mit dem -durchweg periodischen- Rechnungsabschluss ein, der die beiderseitigen Forderungen und Leistungen durch Verrechnung ausgleicht. Der rechnerische Überschuss für die eine oder andere Partei bildet eine kausale Saldoforderung, die ihrerseits wieder als Grundlage in eine neue Kontokorrentperiode eingestellt werden kann. Indem die Bank diese Absprachen einhält und den Giroverkehr fortsetzt, handelt sie vertragsgemäß („kongruent“). Das setzt insbesondere voraus, dass sie den Kunden weiter in der vereinbarten Weise Verfügungen vornehmen lässt und ihm auch einen vertraglich eingeräumten Kreditrahmen offenhält. Dann bleibt dem Kunden die Möglichkeit, über Eingänge zu seinen Gunsten auch nach eigenem Ermessen wieder zu verfügen. Er allein entscheidet darüber, ob die Darlehensforderung der Bank im vereinbarten Rahmen anwächst oder geringer wird. Erst wenn die Bank Verfügungen des Kunden nicht mehr in der vereinbarten Weise zulässt, kann sie mit Verrechnungen vertragswidrig („inkongruent“) handeln, soweit dadurch im Ergebnis ihre Darlehensforderung vor deren Fälligkeit durch die saldierten Gutschriften zurückgeführt wird11.

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Wird im Rahmen einer stillen Zession ein Betrag zugunsten einer Bank auf einem debitorisch geführten Kontokorrentkonto gutgeschrieben, liegt nach der Bundesfinanzhof-Rechtsprechung die für die Haftung nach § 13c UStG erforderliche Vereinnahmung durch die Bank als Zessionar jedenfalls dann vor, wenn der Bankkunde (Zedent) damit Verbindlichkeiten der Bank tilgt, die durch die zu ihren Gunsten bestehende Abtretung gesichert werden12.

Weiter ist bei der Haftung gemäß § 13c UStG von einer Vereinnahmung durch den Zessionar auszugehen, wenn der Zedent über sein beim Zessionar debitorisch geführtes Konto, auf dem die abgetretenen Beträge vereinnahmt werden, nicht mehr frei verfügen kann, da eine erhebliche Überschreitung der vereinbarten Kreditlinie vorliegt und der Zessionar Belastungsbuchungen regelmäßig nicht durchführt. Entscheidend ist hierfür, dass der Zessionar die ihm zustehende Rechtsmacht, Verfügungen des Zedenten zu verhindern, in Einzelfällen ausübt, während er (nur) anderen Weisungen des Zedenten Folge leistet. Damit entscheidet der Zessionar, wie mit den Zahlungseingängen auf dem debitorisch geführten Konto umgegangen wird, so dass der Zessionar als wirtschaftlich Verfügungsberechtigter anzusehen ist13.

Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der Zessionar eine dem Zedenten eingeräumte Kreditlinie beachtet. Verfügt der Zedent innerhalb der ihm eingeräumten Kreditlinie über das Konto, bleibt wirtschaftlich verfügungsberechtigt der Zedent. Der Zessionar ist dann nicht befugt, über Zahlungseingänge auf dem debitorisch geführten Konto zu verfügen14. Dies entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur handelsrechtlichen Betrachtung.

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Mit dem Kriterium der wirtschaftlichen Verfügungsmacht unter Beachtung eingeräumter Kreditlinien nicht vereinbar ist das Urteil des Finanzgericht, nach dem bereits die „fortlaufende Verrechnung“ von Zahlungseingängen auf einem „durchgehend im Debet befindlichen Kontokorrentkonto“ für die Vereinnahmung gemäß § 13c UStG ausreichen und es unbeachtlich sein soll, dass die Bank „weitere Verfügungen auf dem debitorischen Konto im Rahmen einer vereinbarten oder auch nur geduldeten Überziehung zulässt“. Entgegen dem FG, Urteil lässt sich dies nicht damit begründen, dass „die Bank im Rahmen der vereinbarten fortlaufenden (‚correnten‘) Verrechnung einen neuen Kredit“ gewährt, wobei dem eine „Vereinnahmung zuvor eingegangener Zahlungen durch die Bank auch bei einem ungekündigten Kredit“ vorausgeht. Damit verkennt das Finanzgericht, dass es aufgrund der vorangehenden Kreditlinienentscheidung an einer Kreditneuvergabe fehlt. Gegen die Sichtweise des Finanzgericht spricht weiter die Verwaltungsauffassung, nach der es zur Vereinnahmung erst mit der Anerkennung des Saldos am Ende eines Abrechnungszeitraums kommt (Abschn. 13.6 Abs. 1 Satz 7 UStAE), ohne dass der Bundesfinanzhof nach den Verhältnissen des Streitfalls zu entscheiden hat, ob er sich dem anschließt.

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hat daher nunmehr das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang festzustellen, ob und ggf. in welcher Höhe aufgrund der Kündigung des Kreditvertrags zum 31.08.2011 eine Vereinnahmung der streitigen Beträge durch die Bank erfolgt ist, da -wie sich aus der bei der Steuerberechnung für den Besteuerungszeitraum vom Finanzamt berücksichtigten Sondervorauszahlung ergibt- der A-GmbH eine Dauerfristverlängerung gewährt worden war, die Umsatzsteuer für Juli 2011 daher erst am 10.09.2011 und die Umsatzsteuer für August 2011 erst am 10.10.2011 fällig wurde (§ 18 Abs. 1 Satz 4 UStG, § 46 Satz 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung) und die Bank durch ihre Kündigung des Kreditvertrags zum 31.08.2011 eine Zahlung dieser Steuerbeträge zum Fälligkeitszeitpunkt verhindert hat. Dabei wird das Finanzgericht insbesondere zu entscheiden haben, ob und inwieweit die Auffassung der Finanzverwaltung zur Kündigung des Kreditrahmens im Zusammenhang mit Geldeingängen (Abschn. 13c.1 Abs. 24 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 26 UStAE) unter Beachtung der Bundesfinanzhof-Rechtsprechung für den Streitfall von Bedeutung ist.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. November 2022 – XI R 2/22

  1. BFH, Urteile vom 20.03.2013 – XI R 11/12, BFHE 241, 89, BStBl II 2016, 107, Rz 30 f.; vom 22.06.2021 – V R 16/20, BFHE 272, 563, Rz 17, m.w.N.[]
  2. FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.07.2021 – 2 K 483/14[]
  3. vgl. BFH, Urteile in BFHE 241, 89, BStBl II 2016, 107, Rz 37 f.; in BFHE 272, 563, Rz 22[]
  4. vgl. Abschn. 13.6 Abs. 1 Satz 3 UStAE; Wäger in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 13 Rz 69[]
  5. vgl. Jatzke, DStR 2018, 2111, 2115; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 13 Rz 35[]
  6. vgl. Jatzke, DStR 2018, 2115; Halaczinsky, Die Haftung im Steuerrecht, 4. Aufl., Rz 484; Schuska, Mehrwertsteuerrecht 2016, 183, 189[]
  7. vgl. BFH, Urteil in BFHE 272, 563, Rz 22[]
  8. vgl. BFH, Urteil in BFHE 272, 563, Rz 23[]
  9. vgl. BFH, Urteil vom 10.11.2009 – VII R 6/09, BFHE 227, 360, BStBl II 2010, 255, Rz 14[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 18.09.2012 – VII R 53/11, BFHE 239, 292, BStBl II 2013, 270, Rz 16[]
  11. vgl. BGH, Urteile vom 07.03.2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122, Rz 17 ff.; vom 07.05.2009 – IX ZR 140/08, Wertpapier-Mitteilungen 2009, 1101, Rz 11[]
  12. BFH, Urteil vom 25.11.2015 – V R 65/14, BFH/NV 2016, 953, Leitsatz[]
  13. vgl. BFH, Urteil in BFHE 272, 563, Leitsatz und Rz 24, und allgemein Nacke, Haftung für Steuerschulden, 5. Aufl., Rz 5.100[]
  14. ebenso Jatzke, DStR 2018, 2116[]
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