Das Inventar des Pflegeheims – und seine Überlassung als Nebenleistung

Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG umfasst die Vermietung möblierter Räume oder Gebäude, wenn es sich um eine auf Dauer angelegte und nicht um eine kurzfristige Überlassung handelt1. Leistungen, die für die Nutzung einer gemieteten Immobilie nützlich oder sogar notwendig sind, können im Einzelfall entweder Nebenleistungen darstellen oder mit der Vermietung untrennbar verbunden sein und mit dieser eine einheitliche Leistung bilden.

Das Inventar des Pflegeheims – und seine Überlassung als Nebenleistung

Die Feststellung, ob im konkreten Fall eine einheitliche Leistung vorliegt, obliegt den nationalen Gerichten.

Steuerfrei ist nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG u.a. die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken. Die Steuerbefreiung beruhte unionsrechtlich im Streitjahr 2006 auf Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten MWSt-Richtlinie 77/388/EWG und beruht seit 2007 auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL 2006/112/EG. Danach ist die „Vermietung und Verpachtung von Grundstücken“ steuerfrei.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der sich der Bundesfinanzhof angeschlossen hat, gelten für die Frage, ob mehrere Tätigkeiten steuerrechtlich zu nur einem Umsatz oder mehreren eigenständigen Umsätzen führen, die Grundsätze, die der Bundesfinanzhof u.a. bereits in seinem Urteil in BFH/NV 2010, 473 dargelegt hat2.

Der Bundesfinanzhof hat in seinem Urteil in BFH/NV 2010, 473 darüber hinaus auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen, wonach die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG auch die Vermietung möblierter Räume oder Gebäude umfasst, wenn es sich um eine auf Dauer angelegte und nicht um eine kurzfristige Überlassung handelt. Diese Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof fortgeführt3. Der XI. Bundesfinanzhof hat sich dem angeschlossen4. Diese Rechtsprechung wird, worauf der Bundesfinanzhof im Urteil in BFH/NV 2010, 473 ebenfalls hingewiesen hat, durch das Urteil des Unionsgerichtshofs vom 12.02.19985 bestätigt.

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Soweit die Finanzverwaltung in Abschn. 4.12.1 Abs. 6 UStAE noch in der Fassung vom 31.10.2013 unter Hinweis auf zwei Entscheidungen des Reichsfinanzhofs aus den Jahren 1939 und 19406 von anderen Grundsätzen ausging und nunmehr in Abschn. 4.12.1 Abs. 6 UStAE i.d.F. vom 22.07.2014 „in der Regel“ von anderen Grundsätzen ausgeht, folgt der Bundesfinanzhof dem nicht.

Leistungen, die für die Nutzung einer gemieteten Immobilie nützlich oder sogar notwendig sind, können im Einzelfall entweder unabhängig von der Vermietung der Immobilie bestehen, Nebenleistungen darstellen oder von der Vermietung untrennbar sein und mit dieser eine einheitliche Leistung bilden7.

Zwar weist das Finanzamt zutreffend darauf hin, dass die gesonderte Entgeltvereinbarung bei Leistungen, die auch von Dritten erbracht werden können, ein Indiz für das Vorliegen selbständiger Leistungen ist8. Eine entscheidende Bedeutung kommt der gesonderten Rechnungsstellung und eigenständigen Bildung des Leistungspreises für das Vorliegen selbständiger Leistungen hingegen nicht zu9. Auch dass für die Pächterin ggf. die Möglichkeit bestand, Inventar von Dritten zu pachten oder zu mieten, spricht nicht entscheidend gegen eine einheitliche Leistung10. Bildet hingegen ein zur Miete angebotenes Gebäude mit begleitenden Leistungen in wirtschaftlicher Hinsicht objektiv eine Gesamtheit, kann davon ausgegangen werden, dass diese Leistungen mit der Vermietung eine einheitliche Leistung bilden11.

Ausgehend von diesen Grundsätzen obliegt die Feststellung, ob im konkreten Fall eine einheitliche Leistung vorliegt, den nationalen Gerichten, die dabei die notwendigen Bewertungen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, unter denen die Vermietung und die sie begleitenden Leistungen abgewickelt werden, vorzunehmen haben12. Diese Gesamtbetrachtung ist im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung durch das Finanzgericht, die den Bundesfinanzhof grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindet13.

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Ausgehend hiervon ist im hier vom Niedersächsichen Finanzgericht entschiedenen Fall die Würdigung des Finanzgerichts auch vor dem Hintergrund des EuGH, Urteils „Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie“14 nicht zu beanstanden. Denn Leistungen, die für die Nutzung einer gemieteten Immobilie nützlich oder notwendig sind, können entweder unabhängig von der Vermietung der Immobilie bestehen, Nebenleistungen darstellen oder mit der Vermietung eine einheitliche Leistung bilden7. Allerdings sind insbesondere Mietnebenkosten zugrunde liegende Leistungen wie die Zurverfügungstellung von Wasser, Elektrizität oder Wärme, über deren Verbrauch der Mieter entscheiden kann und die durch die Anbringung von individuellen Zählern kontrolliert und in Abhängigkeit des Verbrauchs abgerechnet werden, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt anzusehen15. Hiermit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar, denn die Heimbetreiberin hat der Pächterin ein betriebs- und benutzungsfähiges Seniorenpflegeheim zur Verfügung gestellt, weil es sich bei dem mitverpachteten Inventar ganz überwiegend um speziell abgestimmte, zum Betrieb eines Seniorenheims zwingend erforderliche Ausstattungselemente gehandelt hat. Die Würdigung, dass unter den konkreten Umständen des Einzelfalles die Überlassung des Mobiliars nur dazu gedient habe, die vertragsmäßige Nutzung des als Seniorenpflegeheim vermieteten Gebäudes unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, ist möglich, verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und verstößt weder gegen allgemeine Erfahrungssätze noch gegen Denkgesetze. Das wird im Übrigen durch den Vortrag des Finanzamtes, wonach das Inventar für den Betrieb des Seniorenwohnheims benötigt worden sei und die Pächterin sich das Inventar, wenn es nicht mitverpachtet worden wäre, auf andere Weise habe beschaffen müssen, ausdrücklich bestätigt.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. November 2015 – V R 37/14

  1. entgegen Abschn. 4.12.1. Abs. 6 UStAE[]
  2. vgl. z.B. EuGH, Urteile vom 16.04.2015 – C-42/14, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, EU:C:2015:229, Rz 30 ff.; vom 27.09.2012 – C-392/11, Field Fisher Waterhouse, EU:C:2012:597, Rz 14 ff.; BFH, Beschluss vom 28.10.2010 – V R 9/10, BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 360, Rz 42 ff.; Urteil vom 10.01.2013 – V R 31/10, BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, Rz 18 ff.[]
  3. z.B. BFH, Urteile vom 08.08.2013 – V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rz 16; vom 22.08.2013 – V R 18/12, BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058, Rz 12[]
  4. z.B. BFH, Urteile vom 17.12 2014 – XI R 16/11, BFH/NV 2015, 636, Rz 21; vom 19.02.2014 – XI R 1/12, BFH/NV 2014, 1398, Rz 23[]
  5. EuGH, Urteil vom 12.02.1998 – C-346/95, Elisabeth Blasi, EU:C:1998:51, Rz 17 ff.[]
  6. RFH, Urteile vom 05.05.1939 – V 498/38, RStBl 1939, 806; und vom 23.02.1940 – V 303/38, RStBl 1940, 448[]
  7. EuGH, Urteil „Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie“, EU:C:2015:229, Rz 36[][]
  8. EuGH, Urteil vom 11.06.2009 – C-572/07, Tellmer Property, EU:C:2009:365, Rz 22, 24[]
  9. EuGH, Urteil vom 17.01.2013 – C-224/11, BG? Leasing, EU:C:2013:15, Rz 44[]
  10. vgl. EuGH, Urteile „Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie“, EU:C:2015:229 Rz 41; „Field Fisher Waterhouse“, EU:C:2012:597, Rz 26[]
  11. EuGH, Urteil „Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie“, EU:C:2015:229, Rz 42[]
  12. EuGH, Urteile „Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie“, EU:C:2015:229, Rz 46; vom 10.03.2011 – C-497/09, – C-499/09, – C-501/09 und – C-502/09, Bog u.a., EU:C:2011:135, Rz 55; „Field Fisher Waterhouse“, EU:C:2012:597, Rz 20; vom 17.01.2013 – C-224/11, BG? Leasing, EU:C:2013:15, Rz 33[]
  13. z.B. BFH, Urteile vom 13.11.2013 – XI R 24/11, BFHE 243, 471, Rz 42; in BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, Rz 29; vom 13.01.2011 – V R 63/09, BFHE 233, 64, BStBl II 2011, 461, Rz 23[]
  14. EuGH, EU:C:2015:229[]
  15. EuGH, Urteil „Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie“, EU:C:2015:229, Rz 39[]
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