Der im Insolvenzverfahren ergangene bestandskräftige Steuerbescheid

Ein bestandskräftiger Feststellungsbescheid über eine Umsatzsteuernachzahlung als Insolvenzforderung steht einer später begehrten anderweitigen Umsatzsteuerfestsetzung entgegen, wenn dieser Bescheid nicht mehr geändert werden kann. Die Entscheidung des Finanzamt über die Rücknahme des Feststellungsbescheides nach § 130 Abs. 1 AO ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur eingeschränkt überprüft werden kann.

Der im Insolvenzverfahren ergangene bestandskräftige Steuerbescheid

Das Finanzamt ist in einem solchen Fall nicht schon aufgrund von § 251 Abs. 2 AO i.V.m. § 87 InsO gehindert war, entsprechend der nachgereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärung eine Umsatzsteuerfestsetzung vorzunehmen.

Nach § 87 InsO, der über die Verweisung in § 251 Abs. 2 AO („Unberührt bleiben die Vorschriften der Insolvenzordnung…“) auch im Steuerrecht zu beachten ist, können die Insolvenzgläubiger zwar ihre Forderungen nur entsprechend den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen1. Ebenso dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, welche die Höhe der zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten2.

Der BFundesfinanzhof hat aber entsprechend dem Vorbringen des Insolvenzverwalters gleichfalls geklärt, dass das Finanzamt durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht gehindert ist, eine negative Umsatzsteuer festzusetzen, weil einem solchen Bescheid die abstrakte Eignung fehlt, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn mit einem solchen Bescheid setzt das Finanzamt keine Insolvenzforderung fest, die nach § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, sondern einen Erstattungsbetrag, der nicht zur Tabelle anzumelden wäre3. Deshalb scheidet hier auch eine Unterbrechung des Festsetzungsverfahrens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 240 Satz 1 ZPO aus.

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Da der Insolvenzverwalter mit seiner nachgereichten Umsatzsteuererklärung für 2003 eine Erstattung begehrt, würde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine entsprechende Umsatzsteuerfestsetzung durch das Finanzamt dem Grunde nach nicht hindern.

Der begehrten Umsatzsteuerfestsetzung steht aber der bestandskräftige Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO, der wegen der zutreffenden Ermessensentscheidung des Finanzamt keiner Änderung nach § 130 Abs. 1 AO mehr zugänglich war, entgegen.

§ 251 Abs. 3 AO sieht vor, dass bei Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung die Finanzbehörde erforderlichenfalls die Insolvenzforderung durch schriftlichen Verwaltungsakt feststellt. Dieser Feststellungsbescheid ist mangels Festsetzung einer Steuer kein Steuerbescheid i.S. von § 155 AO. Er ist daher nach Eintritt der Bestandskraft nur nach §§ 130, 131 AO änderbar4.

Ein gemäß § 251 Abs. 3 AO erlassener Bescheid hat die Feststellung zum Inhalt, dass der bestrittene Anspruch in der geltend gemachten Höhe besteht und i.S. von § 38 InsO begründet ist5. Festgestellte Steueransprüche werden von der rechtskraftähnlichen Wirkung des Tabelleneintrages i.S. von § 178 Abs. 3 InsO erfasst, so dass sie ohne Steuerbescheid durchgesetzt werden können6. Wird der Feststellungsbescheid unanfechtbar, wirkt er in entsprechender Anwendung der Regelung in § 183 Abs. 1 InsO wie eine rechtskräftige Entscheidung gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern7.

Im Streitfall ist der Feststellungsbescheid nach einem Bestreiten der vom Finanzamt zur Insolvenztabelle angemeldeten Umsatzsteuerforderung ergangen und für 2003 bestandskräftig geworden.

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Etwas Abweichendes ergibt sich nicht daraus, dass der Insolvenzverwalter gegen den früheren Feststellungsbescheid Einspruch eingelegt hatte und der streitbefangene Feststellungsbescheid nach § 365 Abs. 3 AO zunächst zum Gegenstand dieses Einspruchsverfahrens wurde. Denn das Einspruchsverfahren hatte sich jedenfalls dadurch erledigt, dass der Insolvenzverwalter später erklärt hat, den sich aus dem Feststellungsbescheid ergebenden Gesamtbetrag anzuerkennen8.

Eine grundsätzlich mögliche Änderung des Feststellungsbescheides nach § 130 Abs. 1 AO scheidet aus, weil das Finanzgericht zutreffend entschieden hat, dass das Finanzamt das ihm insoweit zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

Nach § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Im Streitfall kommt wegen der nunmehr eingereichten Steuererklärung für 2003 mit einem sich daraus ergebenden Erstattungsbetrag eine nachträgliche materielle Rechtswidrigkeit des Feststellungsbescheides i.S. von § 130 Abs. 1 AO in Betracht.

Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts ist nach dem Wortlaut des § 130 Abs. 1 AO („kann“) eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde i.S. des § 5 AO, die grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (§§ 102, 121 FGO). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob die Ablehnung der Rücknahme rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde9. Stellt das Gericht einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur in den Fällen der sog. Ermessensreduzierung auf „Null“ ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen10. Maßgeblicher Zeitpunkt für die durch das Finanzgericht vorzunehmende Rechtskontrolle sind grundsätzlich die Ermessenserwägungen in der Einspruchsentscheidung, sofern das Finanzamt nicht seine Ermessenserwägungen danach im finanzgerichtlichen Verfahren gemäß § 102 Satz 2 FGO in zulässiger Weise ergänzt hat11.

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Bei der Entscheidung, ob einem Begehren auf Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entsprechen ist, hat die Verwaltung im konkreten Fall abzuwägen, ob dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gerechtigkeit im Einzelfall oder dem Interesse der Allgemeinheit am Eintritt von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit der Vorzug zu geben ist. Dabei kommt es auf die Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes sowie darauf an, weshalb die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist vom Steuerpflichtigen geltend gemacht wird12.

Das Ermessen ist in der Regel ermessensfehlerfrei ausgeübt, wenn der Adressat die Gründe, die seiner Auffassung nach eine Rücknahme rechtfertigen, mit einem fristgerecht eingelegten Einspruch gegen den Bescheid hätte vorbringen können und keine besonderen Umstände vorliegen, nach denen vom Adressaten die Rechtsverfolgung im Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung aller Umstände nicht erwartet werden konnte13.

Das Finanzamt hat die Rücknahme des streitbefangenen Feststellungsbescheides ermessensfehlerfrei abgelehnt.

Das Finanzamt hatte im Ablehnungsbescheid zutreffend darauf hingewiesen, dass der Insolvenzverwalter die entsprechende Umsatzsteuerforderung ausdrücklich nachträglich anerkannt hat. In seiner Einspruchsentscheidung hat das Finanzamt im Zusammenhang mit einer möglichen Änderung des Feststellungsbescheides nach § 130 Abs. 1 AO ferner ausgeführt, dass die eingereichte Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2003 innerhalb der Einspruchsfrist hätte eingehen müssen. Denn der bei der Insolvenzschuldnerin befindliche Jahresabschluss für 2003 sei nicht vom Insolvenzverwalter erstellt, sondern nur „entdeckt“ worden. Der Insolvenzverwalter sei seiner Verpflichtung, sämtliche steuerlichen Pflichten der Insolvenzschuldnerin zu erfüllen und dazu alle erforderlichen Unterlagen einzusehen, nur unzureichend nachgekommen. Seine über ein Jahr verspätete Kenntnisnahme des Jahresabschlusses für das Streitjahr gehe daher zu Lasten der Insolvenzschuldnerin.

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Im Rahmen des Klageverfahrens hat das Finanzamt ergänzend ausgeführt, dass nicht feststehe, wann und unter welchen Umständen der fragliche Jahresabschluss für die Insolvenzschuldnerin zum 31.12 2003 „aufgetaucht“ sei. Sollte er tatsächlich den bei der Insolvenzschuldnerin durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Geschäftsunterlagen beigelegen haben, hätte es dem Insolvenzverwalter oblegen, alsbald die Einsichtnahme in diese Unterlagen zu beantragen. Eine solche Recherche wäre zwar arbeitszeit- und kostenintensiver gewesen, hätte dem Insolvenzverwalter aber möglicherweise die Chance eröffnet, die richtigen Besteuerungsgrundlagen frühzeitig zu ermitteln.

Diese Ermessenserwägungen des Finanzamt genügen den aufgezeigten Rechtsgrundsätzen zu § 102 FGO. Das Finanzamt hat sein Interesse als Insolvenzgläubiger am festgestellten Bestand der Insolvenzforderungen erkennbar gegen die vom Insolvenzverwalter vorgetragenen Gesichtspunkte abgewogen. Insbesondere hat sich das Finanzamt ergänzend und hinreichend mit der vom Insolvenzverwalter im finanzgerichtlichen Verfahren zusätzlich aufgeworfenen Frage auseinandergesetzt, ob es ihm möglich und auch zumutbar gewesen wäre, die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2003 zu einem früheren Zeitpunkt einzureichen.

Bundesfinanzhof Urteil vom 11. Dezember 2013 – XI R 22/11

  1. vgl. dazu BFH, Urteile vom 24.08.2004 – VIII R 14/02, BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246 noch zur Rechtslage nach der Konkursordnung; vom 10.12 2008 – I R 41/07, BFH/NV 2009, 719, m.w.N.[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 02.07.1997 – I R 11/97, BFHE 183, 365, BStBl II 1998, 428[]
  3. vgl. hierzu im Einzelnen BFH, Urteil in BFHE 225, 278, BStBl II 2010, 11, unter II. 2.[]
  4. BFH, Urteile vom 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, und – V R 20/10, BFH/NV 2012, 711; vom 06.12 2012 – V R 1/12, BFH/NV 2013, 906; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 AO Rz 68, m.w.N.[]
  5. vgl. BFH, Urteil in BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 251 AO Rz 68[]
  6. vgl. Braun/Specovius, InsO, § 178 Rz 22; Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 251 AO Rz 423, m.w.N.[]
  7. vgl. Jatzke in HHSp, § 251 AO Rz 423[]
  8. vgl. dazu BFH, Beschluss vom 10.11.2010 – IV B 11/09, BFH/NV 2011, 649[]
  9. vgl. BFH, Urteile in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298; in BFH/NV 2012, 711, und in BFH/NV 2013, 906[]
  10. ständige Rechtsprechung, vgl. hierzu statt vieler BFH, Urteil vom 19.06.2013 – XI R 41/10, BFHE 242, 258, BFH/NV 2013, 2041[]
  11. vgl. dazu im Einzelnen Lange in HHSp, § 102 FGO Rz 62, 65 ff.[]
  12. BFH, Urteile in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298; in BFH/NV 2012, 711; in BFH/NV 2013, 906, jeweils m.w.N.[]
  13. BFH, Urteile in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298; in BFH/NV 2013, 906[]
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