Der Medizinische Dienst – und die Umsatzsteuer

Verwaltungsleistungen gegen Entgelt (z.B. Lagerung/Archivierung von Akten oder die Erledigung von Schreibarbeiten), die aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zwischen verschiedenen Medizinischen Diensten der Krankenversicherung erbracht werden, sind weder nach § 4 Nr. 15a UStG noch nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei.

Der Medizinische Dienst – und die Umsatzsteuer

Der Medizinische Dienst ist Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG, da er nachhaltig und selbständig Leistungen gegen Entgelt erbracht hat. Als eingetragener Verein war er im Streitjahr eine juristische Person des Privatrechts, so dass seine Unternehmerstellung von § 2 Abs. 3 UStG a.F. unberührt ist1. Dass der MDK als öffentliche Stelle des Bundes galt (§ 81 Abs. 3 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB I und § 12 Satz 1 SGB I), führt nicht dazu, dass er für Zwecke des § 2 Abs. 3 UStG a.F. als juristische Person des öffentlichen Rechts anzusehen war.

Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 15a UStG scheitert jedenfalls daran, dass die Verwaltungsleistungen nicht -wie es § 4 Nr. 15a UStG erfordert- auf Gesetz beruhen.

Nach § 4 Nr. 15a UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung sind die auf Gesetz beruhenden Leistungen der MDK (§ 278 SGB V) und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (§ 282 SGB V) untereinander und für die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung und deren Verbände steuerfrei. „Medizinischer Dienst“ sind die nach § 278 SGB V a.F. in jedem Land von den Landesverbänden der Orts, Betriebs- und Innungskrankenkassen, landwirtschaftlichen Krankenkassen und der Verbände der Ersatzkassen errichteten und gemeinsam getragenen Arbeitsgemeinschaften „Medizinischer Dienst der Krankenversicherung“ bzw. der gemäß § 282 SGB V a.F. auf Bundesebene zur Koordinierung gebildete „Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen“.

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Zu den auf Gesetz beruhenden Leistungen gehören nicht die von dem MDK auf vertraglicher Grundlage gegenüber den anderen MDK übernommenen Leistungen.

Die auf Gesetz beruhenden Leistungen des MDK ergeben sich aus § 275 Abs. 1 SGB V und aus §§ 18, 112 und 114 des Elften Buches Sozialgesetzbuch. Befreit sind nur die auf Gesetz beruhenden Leistungen der Medizinischen Dienste selbst2. Die streitgegenständlichen Leistungen des MDKs sind diesem Bereich allerdings nicht zuzuordnen. Vielmehr übernimmt er Fremdaufgaben anderer Sozialleistungsträger, die als Hilfsgeschäfte einzustufen sind und die nicht unter § 4 Nr. 15a UStG fallen3. Solche Hilfsgeschäfte können nur im Fall von Lieferungen -die im Streitfall nicht vorliegen- nach § 4 Nr. 28 UStG steuerfrei sein4. Die auf vertraglicher Grundlage erbrachten Leistungen sind aber nicht nach § 4 Nr. 15a UStG steuerfrei5.

Eine Steuerbefreiung kommt auch nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL in Betracht.

Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen …, einschließlich derjenigen, die durch … Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.

Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind6.

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Diese Steuerbefreiung kommt nicht „zwingend zur Anwendung“. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Unternehmer -wie hier- auf die Steuerbefreiung nach dem Unionsrecht beruft7.

Die Leistungen des MDKs sind aber nicht „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen“.

Die Rechtsprechung hat diesen Tatbestandsbereich konkretisiert. So gehören dazu insbesondere Leistungen der ambulanten Pflege8, namentlich die hauswirtschaftliche Versorgung9, das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung und das Waschen der Kleidung10, die Gestellung einer Haushaltshilfe11, Leistungen der Kinderbetreuung12, Legasthenie-Behandlungen im Rahmen der Eingliederungshilfe13 oder Betreuungsleistungen14. In Bezug auf die Tätigkeit der MDK hat der EuGH und nachfolgend der Bundesfinanzhof entschieden, dass auch das Erbringen von gutachterlichen Leistungen -selbst wenn sie im Auftrag eines MDK erbracht werden- eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Umsätze sind15.

Dagegen gehören Verwaltungstätigkeiten nicht zu diesem Bereich. So hat der BFH entschieden, dass die Gestellung von Personal keine mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit eng verbundene Dienstleistung ist16. Ebenfalls steuerpflichtig sind allgemeine Geschäftsführungs- und Verwaltungsleistungen17.

Die hier zu beurteilenden Leistungen des MDKs für die anderen MDK stellen in diesem Sinne Verwaltungsleistungen dar und sind als solche daher nicht eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Umsätze. Sie werden -entgegen der Auffassung der Revision- in ähnlicher Weise wie die Leistungen eines Schreibbüros oder Unternehmens, das Akten verwaltet, erbracht.

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Des Weiteren fehlt es auch an der Unerlässlichkeit der streitigen Leistungen für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze.

Nach dem EuGH-Urteil „Finanzamt D“18 setzt das Leistungsmerkmal „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ in Anbetracht der Regelung des Art. 134 Buchst. a MwStSystRL voraus, dass die betreffenden Lieferungen von Gegenständen bzw. Dienstleistungen jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein müssen.

Daran fehlt es. Die Verwaltungsleistungen können auch von anderen Wirtschaftsteilnehmern erbracht werden. Dabei kann die erforderliche Beachtung von Datenschutzregelungen auch von externen Unternehmern gewährleistet werden19. Zudem spricht auch die Tatsache, dass andere als die im Streitfall betroffenen MDK diese Leistungen im Rahmen ihrer Aufgaben selbst erbringen, dafür, dass solche Dienstleistungen durch den MDK für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze nicht unerlässlich sind.

Dass die medizinischen Gutachten der Vertragspartner des MDKs, an deren Erstellung der MDK als Subunternehmer mitgewirkt hat, als eng mit der Sozialfürsorge zusammenhängende Leistungen umsatzsteuerfrei sein können20, führt im Streitfall ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. Die hier zu beurteilenden Leistungen des MDKs an seine Vertragspartner sind insbesondere nicht Teil eines einheitlichen steuerfreien Leistungsbündels der Vertragspartner des MDKs an die Stellen, die die Gutachten in Auftrag gegeben haben; denn mehrere Leistungen können (auch unter dem Gesichtspunkt von Haupt- und Nebenleistung) nur dann zu einer einheitlichen Leistung „verschmolzen“ werden, wenn die Leistungen von ein und demselben Leistenden gegenüber ein und demselben Leistungsempfänger erbracht werden21. Dies ist vorliegend insoweit nicht der Fall. Empfänger der Leistungen des MDKs waren seine Vertragspartner als Gutachtenersteller.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. April 2021 – XI R 31/20

  1. s. allgemein BFH, Urteil vom 23.04.2009 – V R 5/07, BFHE 226, 116, unter II. 1., zu einem Zusammenschluss von Krankenkassen zu einer Genossenschaft[]
  2. vgl. BFH, Urteile vom 28.06.2000 – V R 72/99, BFHE 191, 463, BStBl II 2000, 554, unter II. 3.; vom 08.10.2008 – V R 32/07, BFHE 222, 184, BStBl II 2009, 429, unter II. 3.; Heidner in Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, 2019, Rz 13.26; Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 15a Rz 7[]
  3. vgl. allgemein Lippross, Umsatzsteuer, 24. Aufl., S. 705; Huschens in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 4 Nr. 15a Rz 14; Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 4 Nr. 15a Rz 23; Tehler in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 15a Rz 62[]
  4. vgl. Lippross, a.a.O., S. 705[]
  5. so im Ergebnis auch Stadie, UStG, 3. Aufl., § 4 Nr. 15a Rz 2; wohl auch Wüst in Wäger, UStG, § 4 Nr. 15a Rz 29[]
  6. vgl. BFH, Urteile vom 18.08.2005 – V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II. 2.d cc, Rz 45 und 46; vom 07.12.2016 – XI R 5/15, BFHE 256, 550; EuGH, Urteil Kingscrest Associates und Montecello vom 26.05.2005 – C-498/03, EU:C:2005:322, Rz 34[]
  7. vgl. z.B. EuGH, Urteile Kügler vom 10.09.2002 – C-141/00, EU:C:2002:473, Rz 51; Zimmermann vom 15.11.2012 – C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 32; BFH, Urteile vom 19.10.2011 – XI R 16/09, BFHE 235, 532, BStBl II 2012, 371, Rz 24 f.; vom 16.10.2013 – XI R 19/11, BFH/NV 2014, 190, Rz 21; vom 29.07.2015 – XI R 35/13, BFHE 251, 91, BStBl II 2016, 797, Rz 15; vom 16.09.2015 – XI R 27/13, BFH/NV 2016, 252, Rz 37; BFH, Beschluss vom 31.07.2019 – XI B 15/19, BFH/NV 2019, 1259[]
  8. vgl. EuGH, Urteil Zimmermann, EU:C:2012:716, Rz 24[]
  9. vgl. EuGH, Urteil Kügler, EU:C:2002:473, Rz 44; BFH, Urteil vom 18.01.2005 – V R 99/01, BFH/NV 2005, 1392, unter II. 2.g, Rz 25[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 22.04.2004 – V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II. 2.a, Rz 36[]
  11. vgl. BFH, Urteil vom 30.07.2008 – XI R 61/07, BFHE 222, 134, BStBl II 2009, 68, unter II. 1.b, Rz 13[]
  12. vgl. EuGH, Urteil Kinderopvang Enschede vom 09.02.2006 – C-415/04, EU:C:2006:95, Rz 27[]
  13. vgl. BFH, Urteile in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II. 2.d cc (1), Rz 48; vom 01.02.2007 – V R 34/05, BFH/NV 2007, 1201, unter II. 2.g, Rz 28[]
  14. vgl. BFH, Urteile vom 17.02.2009 – XI R 67/06, BFHE 224, 183, BStBl II 2013, 967; vom 25.04.2013 – V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 17; in BFH/NV 2014, 190[]
  15. vgl. EuGH, Urteil Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 34; BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), DB 2021, 1513[]
  16. vgl. BFH, Beschluss vom 22.07.2015 – V R 20/12, UR 2015, 877, Rz 3; BFH, Urteil vom 14.01.2016 – V R 56/14, BFH/NV 2016, 792, Rz 18; jeweils m.w.N.; s.a. Heidner in Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, a.a.O., Rz 13.19[]
  17. vgl. BFH, Urteile vom 23.07.2009 – V R 93/07, BFHE 226, 435, BStBl II 2015, 735, Rz 34; in BFHE 256, 550; BFH, Beschluss vom 10.04.2019 – XI R 11/17, BFHE 264, 478, BStBl II 2019, 683, Rz 50[]
  18. EU:C:2020:811, Rz 31; vgl. auch BFH, Urteil in DB 2021, 1513[]
  19. vgl. dazu auch BFH, Urteil vom 06.09.2018 – V R 30/17, BFH/NV 2019, 54, Rz 14[]
  20. vgl. dazu BFH, Urteil in DB 2021, 1513[]
  21. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 14.05.2014 – XI R 13/11, BFHE 245, 424, BStBl II 2014, 734, Rz 37, m.w.N.; vom 03.08.2017 – V R 15/17, BFHE 258, 566, Rz 18; Lange, UR 2009, 289 ff.; Klenk in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 4 Nr. 10 Rz 66, 80 ff.[]
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Umsatzsteuervoranmeldung vom Buchhalter

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