Die Abgabe einer Steuererklärung als festsetzungsverjährungshemmender Antrag

Die Abgabe einer Steuererklärung ist auch dann kein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO, wenn sie zu einer Steuervergütung (§ 168 Satz 2 AO) führen soll.

Die Abgabe einer Steuererklärung als festsetzungsverjährungshemmender Antrag

Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 AO gestellt, so läuft die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 3 AO insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. Nach der ständigen BFH-Rechtsprechung ist die Abgabe einer Steuererklärung auch dann kein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO, wenn sie zu einer Erstattung führen soll1. Dies gilt auch, wenn die Erklärung zusammen mit einem Begleitschreiben eingereicht wird2. In seinem Urteil vom 18.06.1991 – VIII R 54/893 hat der BFH dies damit begründet, dass als „Antrag“ i.S. von § 171 Abs. 3 AO nur solche Willensbekundungen zu verstehen sind, die ein Tätigwerden der Finanzbehörden außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen. Die Abgabe von gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärungen gehört hierzu nicht. Denn damit erfüllt der Steuerpflichtige seine allgemeine Mitwirkungspflicht. Zudem würde, wäre eine Steuererklärung auch als „Antrag“ i.S. des § 171 Abs. 3 AO anzusehen, die zu einer Bevorzugung des pflichtwidrig handelnden gegenüber dem gesetzestreuen Bürger führen4.

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Diese Rechtsprechung steht nicht im Widerspruch zum Unionsrecht.

Die MwStSystRL enthält zur Festsetzungsverjährung keine eigenständigen Regelungen, so dass insoweit die Regelungshoheit der Mitgliedstaaten fortbesteht.

Die Ausgestaltung der nationalen Regelung verstößt nicht gegen allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts.

Es liegt kein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz vor.

Die streitige nationale Regelung gilt nämlich in gleicher Weise für Rechtsbehelfe, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für solche, für die es auf das innerstaatliche Recht ankommt5. Dem Äquivalenzprinzip wird genügt, wenn z.B. für Steuerbescheide dieselben Änderungsmöglichkeiten zur Durchsetzung der sich aus dem nationalen Recht und dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche bestehen6.

Das nationale Recht steht auch im Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz.

Der EuGH hat entschieden, dass die Festlegung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist und dass solche Fristen nicht geeignet sind, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren7. So ist z.B. eine Ausschlussfrist von zwei Jahren nicht zu beanstanden, da es diese Frist jedem Steuerpflichtigen grundsätzlich ermöglicht, die Rechte, die er aus der Unionsrechtsordnung ableitet, ordnungsgemäß geltend zu machen8. Der Grundsatz der Effektivität ist auch dann nicht verletzt, wenn für die Finanzverwaltung eine günstigere nationale Verjährungsfrist gilt als für den Einzelnen9.

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Danach verstößt die im nationalen Recht gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO vorgesehene Festsetzungsfrist von vier Jahren nicht gegen das Unionsrecht. Eine erweiternde Auslegung von § 171 Abs. 3 AO ist zur Festlegung angemessener Ausschlussfristen nicht erforderlich.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. August 2014 – V R 8/14

  1. BFH, Urteile vom 11.05.1995 – V R 136/93, BFH/NV 1996, 1, unter II. 1.b aa; und vom 18.02.2009 – V R 82/07, BFHE 225, 198, BStBl II 2009, 876, unter II. 4.b bb[]
  2. BFH, Urteil vom 15.05.2013 – IX R 5/11, BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, unter II. 2.b[]
  3. BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, Rz 21, m.w.N.[]
  5. vgl. EuGH, Urteil vom 19.07.2012, – C-591/10, Littlewoods Retail, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2012, 772, Rdnr. 31[]
  6. vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 06.10.2009 – C-40/08, Asturcom Telecomunicationes SL, Slg. 2009, I-9579, EWS 2009, 475, unter Rdnrn. 49 f.; BFH, Urteil vom 16.09.2010 – V R 57/09, BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, unter II. 5.c bb[]
  7. EuGH, Urteil vom 15.12 2011, – C-427/10, Banca Antoniana Popolare Veneta, UR 2012, 184, Rdnr. 24[]
  8. EuGH, Urteil Banca Antoniana Popolare Veneta in UR 2012, 184, Rdnr. 25[]
  9. EuGH, Urteil Banca Antoniana Popolare Veneta in UR 2012, 184, Rdnr. 26[]
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Festsetzungsverjährung - in Insolvenzfällen