Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters – und der Vorsteuerberichtigungsanspruch

Entsteht ein Vorsteuerberichtigungsanspruch dadurch, dass das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt bestellt, liegt keine anfechtbare Rechtshandlung vor.

Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters – und der Vorsteuerberichtigungsanspruch

Die in Bezug auf einen solchen Vorsteuerberichtigungsanspruch abgegebene Aufrechnungserklärung des Finanzamtes kann nur dann wirksam sein, wenn zur Umsatzsteuer im Entstehungszeitpunkt dieses Vorsteuerberichtigungsanspruchs eine bestandskräftig wirksame Steuerfestsetzung (§ 124 Abs. 2 AO) vorliegt, bei der der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch materiell erfasst worden wäre.  Eine vergleichbare Bindungswirkung kann sich aber aus der Feststellung zur Insolvenztabelle nach § 178 Abs. 3 InsO  ergeben1

Sollte es an einer den insolvenzbedingten Vorsteuerberichtigungsanspruch umfassenden Tabelleneintragung zur Umsatzsteuer fehlen, hätte das Finanzgericht zu entscheiden, ob die vom Finanzamt abgegebene Aufrechnungserklärung gleichwohl wirksam sein könnte. Dies könnte sich daraus ergeben, dass sich die Umbuchungsmitteilung des Finanzamtes nicht nur auf die Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters, sondern auch auf die Umsatzsteuer für das (frühere) Jahr bezog, bei deren Berechnung der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch materiell-rechtlich zu erfassen ist2.

Für eine derartige Auslegung (§ 133 BGB) der Aufrechnungserklärung des Finanzamts kann auch sprechen, dass es letztlich im Rahmen der zahlreichen Einzelpositionen umfassenden Umbuchungsmitteilung nur um eine betragsmäßige Verschiebung geht.

Sollte die Aufrechnungserklärung des Finanzamtes einer derartigen Auslegung zugänglich sein, ist über die Höhe des sich für diesen Besteuerungszeitraum aufrechenbar ergebenden Umsatzsteueranspruchs zu entscheiden. Dabei ist von Folgendem auszugehen:

Der BGH hat zu § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entschieden, dass die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die mit der Herstellung einer Aufrechnungslage eintritt, selbständig angefochten werden kann. Danach stellen Handlungen des Schuldners oder Dritter, die zum Entstehen einer Umsatzsteuerschuld führen, eine Rechtshandlung dar, durch die das Schuldnervermögen belastet wird. Er verweist hierfür darauf, dass Steuertatbestände -wie bei der Umsatzsteuer- „in der Regel“ ihrerseits an Rechtshandlungen des Steuerpflichtigen oder Dritter anknüpfen und gerade die Geschäfte des Schuldners und Steuerpflichtigen zum Entstehen der Steuerforderung des Finanzamtes führen. Hieraus leitet der BGH ab, dass das Finanzamt „die Möglichkeit der Aufrechnung (…) in anfechtbarer Weise erlangt“, wenn es zwischen der „Antragstellung und Eröffnung entstanden[e] Umsatzsteuerforderungen“ aus monatlichen Vorauszahlungsfestsetzungen gegen Ansprüche der Masse aufrechnet3. Dem hat sich der Bundesfinanzhof insbesondere für die umgekehrte Fallgestaltung, dass für einen Voranmeldungszeitraum in sog. kritischer Zeit ein Vergütungsanspruch (§ 168 Satz 2 AO) festzusetzen ist, angeschlossen4.

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Diese Rechtsprechung zur anfechtbaren Herstellung einer Aufrechnungslage betrifft Steuer- und Vergütungsansprüche, die sich aufgrund einer Steuerberechnung gemäß §§ 16 ff. UStG für einen Voranmeldungszeitraum ergeben, ist aber für die Steuerberechnung durch Saldierung einzelner Besteuerungsgrundlagen ohne Bedeutung. Denn diese Steuerberechnung ist weder eine Aufrechnung noch eine anfechtbare Rechtshandlung, so dass sie als solche auch nicht den Beschränkungen der §§ 94 ff. InsO unterliegt5.

Der Rechtsprechung zur anfechtbaren Herstellung einer Aufrechnungslage kommt zudem nur eingeschränkte Bedeutung zu, da auch im Insolvenzfall für das Steuerschuldverhältnis die nach Maßgabe der Regelungen des UStG zu berechnende „Jahressteuer“ für den jeweiligen Besteuerungszeitraum des § 16 Abs. 1 Satz 2 UStG maßgeblich ist, sobald die Jahressteuer entstanden ist und berechnet werden kann. Dabei verwirklicht sich die nach § 16 UStG vorzunehmende Steuerberechnung „gleichsam automatisch“, wenn wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Steuer nicht mehr festgesetzt werden kann. Eine Aufrechnung mit Ansprüchen und gegen Ansprüche aus Voranmeldungszeiträumen desselben Besteuerungszeitraums wird somit „gegenstandslos“, da die diesen Ansprüchen zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen in die Jahressteuer eingegangen und nach Maßgabe des § 16 UStG zu saldieren sind6. Im Hinblick hierauf erübrigt sich die Betrachtung nach einem Steuer- oder Vergütungsanspruch, der sich nach dem BGH, Urteil in WM 2009, 2394 und nach dem BFH, Urteil in BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439 für Voranmeldungszeiträume in kritischer Zeit ergibt.

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Gleichwohl ist die anfechtungsrechtliche Betrachtung nach den Urteilen des Bundesgerichtshofs in WM 2009, 2394 und des Bundesfinanzhofs in BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439 auch für die Frage, inwieweit das Finanzamt mit einem sich für den Besteuerungszeitraum ergebenden Steueranspruch aufrechnen kann, nicht völlig bedeutungslos. Denn ergibt sich aufgrund der Steuerberechnung durch vorrangige Saldierung aller Besteuerungsgrundlagen dieses Zeitraums ein Steueranspruch, ist zu prüfen, inwieweit einer Aufrechnung mit diesem Steueranspruch als Gegenforderung § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegensteht.

Hierfür ist zu ermitteln, welche der im Rahmen der Steuerberechnung für den Besteuerungszeitraum saldierten Besteuerungsgrundlagen auf Rechtshandlungen in kritischer Zeit beruhen. Dies erfordert eine eigenständige Saldierung der steuererhöhenden und steuermindernden Besteuerungsgrundlagen, die sich aus Ausgangs- und Eingangsleistungen in kritischer Zeit ergeben. Beruht ein sich für den Besteuerungszeitraum ergebender Steueranspruch von z.B. 15.000 € in Höhe von 5.000 € auf den gesondert zu saldierenden Besteuerungsgrundlagen aufgrund von Rechtshandlungen in kritischer Zeit, ist die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur in einem Umfang von 10.000 € zulässig. Hatte der Steuerpflichtige auf den Steueranspruch nicht in die Masse zurückzugewährende Zahlungen von z.B.02.000 € geleistet, mindert dies die Aufrechnungsmöglichkeit in entsprechender Höhe.

Die sich auf dieser Grundlage stellende Frage, ob der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch als Rechtshandlung in kritischer Zeit anzusehen sein könnte, so dass die sich hieraus ergebende Steuererhöhung dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unterliegt, ist zu verneinen.

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Zwar ist bei der Prüfung, ob der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch auf einer anfechtbaren Rechtshandlung beruht, entgegen der Rechtsauffassung des Finanzgericht nicht auf die Eingangsleistungen abzustellen, sondern auf die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt durch das Insolvenzgericht als Berichtigungsereignis, wie sich aus der geänderten BFH-Rechtsprechung zur korrespondierenden Betrachtung bei § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ergibt7, worauf der Insolvenzverwalter zutreffend hinweist.

Insolvenzgerichtliche Maßnahmen sind jedoch -ebenso wie Rechtshandlungen des sog. starken vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis8- keine Rechtshandlungen im Sinne der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO. Zudem beruht die insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigung darauf, dass Ansprüche des Leistenden gegen den Leistungsempfänger, für den der Insolvenzantrag gestellt wurde, „nicht mehr durchsetzbar“ sind9. Der Nichtdurchsetzbarkeit einer Forderung aus Rechtsgründen (im Sinne einer aus Gründen des Insolvenzrechts fehlenden Gläubigerrechtsmacht) kommt nicht der Charakter einer Rechtshandlung zu. Auf dieser Grundlage ist es ohne Bedeutung, dass der BGH in den Handlungen -und dementsprechend auch in den Unterlassungen (§ 129 Abs. 2 InsO)- des vorläufigen Verwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt anfechtbare Rechtshandlungen sieht10.

Der hier entscheidende XI. Senat des Bundesfinanzhofs weicht damit nicht von dem unveröffentlichten Urteil des VII. Senats vom 24.04.201811 ab. Zwar hat der Bundesfinanzhof dort für den insolvenzbedingten Vorsteuerberichtigungsanspruch auf eine Betrachtung nach dem Zeitpunkt der Eingangsleistungen abgestellt, die den insolvenzbedingt zu berichtigenden Vorsteuerabzug begründet haben, und hat auf dieser Grundlage im Hinblick auf Leistungsbezüge vor der kritischen Zeit die Anwendung von § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO verneint. Dies entspricht aber im Ergebnis der auch vorliegend verneinten Anwendung dieser Vorschrift. Mit der zudem verneinten Frage, ob das Aufrechnungsverbot eine Aufrechnung mit einem Berichtigungsanspruch unzulässig macht, der sich auf Leistungsbezüge in kritischer Zeit bezieht, hatte sich der VII. Bundesfinanzhof des Bundesfinanzhofs in seinem unveröffentlichten Urteil demgegenüber nicht zu befassen, so dass es einer Abweichungsanfrage nicht bedarf.

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Die Einwendungen des Insolvenzverwalters hiergegen greifen nicht durch. Soweit der Insolvenzverwalter auf das Erfordernis der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes und über die von ihm zitierte Kommentarliteratur auf BGH-Rechtsprechung verweist, aus der sich nach seiner Auffassung ergibt, dass die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters eine anfechtbare Rechtshandlung i.S. von § 129 InsO sei, da Gegenstand der Anfechtung nicht die Rechtshandlung, sondern die durch sie verursachte gläubigerbenachteiligende Wirkung sei und zudem die Herstellung der Aufrechnungslage als eigene Rechtshandlung anfechtbar sei, folgt der Bundesfinanzhof dem nicht. Denn der Insolvenzverwalter lässt unberücksichtigt, dass z.B. der von ihm zitierte Kommentar12 für die Auffassung, dass Rechtshandlung jedes von einem Willen getragene Handeln sei, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann, das BGH, Urteil vom 19.11.2013 – II ZR 18/1213 anführt, das sich hierfür aber auf das BGH-Urteil vom 07.05.201314 und damit auf Fallgestaltungen bezieht, in denen es um Ausgleichsansprüche des Schuldners nach der Kündigung eines Vertragshändlervertrags ging. Damit nicht als mitentschieden ist die hier zu verneinende Frage anzusehen, ob Handlungen des Insolvenzgerichts dem gleichzustellen sind, wogegen z.B. auch die BGH-Rechtsprechung zur Nichtanfechtbarkeit der Handlungen des sog. starken vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis15 spricht. Der Bundesfinanzhof folgt auch nicht der Auffassung von Roth16, der aus dem BFH-Urteil vom 02.11.201017 ableitet, dass der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch auf eine anfechtbare Rechtshandlung zurückzuführen sei. Denn der dem BFH, Urteil in BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374 zugrunde liegende Anspruch beruhte mit der Leistungserbringung des vorläufigen Verwalters auf einer Rechtshandlung, nicht aber auf einer insolvenzgerichtlichen Handlung. Der Bundesfinanzhof muss sich daher nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch als Masseverbindlichkeit anzusehen sein könnte.

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Soweit im zweiten Rechtsgang im Hinblick auf die Anfechtung nach § 133 InsO zu prüfen ist, ob eine vorsätzliche Benachteiligung von Gläubigern durch Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners erfolgt ist, verweist der Bundesfinanzhof auf die neuere Rechtsprechung des BGH18.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. August 2022 – XI R 44/20

  1. vgl. hierzu auch BFH, Urteil vom 21.11.2013 – V R 21/12, BFHE 244, 70, BStBl II 2016, 74, Rz 23[]
  2. BFH, Urteil in BFHE 242, 433, BStBl II 2017, 543[]
  3. BGH, Urteil vom 22.10.2009 – IX ZR 147/06, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht -WM- 2009, 2394[]
  4. BFH, Urteil vom 02.11.2010 – VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439[]
  5. BFH, Urteile vom 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 21 ff.; ebenso vom 25.07.2012 – VII R 44/10, BFHE 238, 302, BStBl II 2013, 33, Rz 10[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 238, 302, BStBl II 2013, 33, Rz 7 ff.[]
  7. BFH, Urteil vom 25.07.2012 – VII R 29/11, BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36[]
  8. vgl. BGH, Urteile vom 09.12.2004 – IX ZR 108/04, Betriebs-Berater -BB- 2005, 401, Rz 10; vom 20.02.2014 – IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210, Rz 11[]
  9. vgl. BFH, Urteile vom 13.11.1986 – V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, unter II. 2.c; in BFHE 242, 433, BStBl II 2017, 543, Rz 42[]
  10. vgl. dazu BGH, Urteil in BGHZ 200, 210, Rz 11[]
  11. BFH, Urteil vom 24.04.2018 – VII R 24/16[]
  12. Uhlenbruck/Borries/Hirte, a.a.O., § 129 Rz 86[]
  13. Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 2014, 624[]
  14. BGH, Urteil vom 07.05.2013 – IX ZR 191/12, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2013, 1180[]
  15. vgl. BGH, Urteile in BB 2005, 401, Rz 10, und in BGHZ 200, 210, Rz 11[]
  16. Roth, Insolvenzsteuerrecht, 3. Aufl.2020, Rz 4.530[]
  17. BFH, Urteil vom 02.11.2010 – VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374[]
  18. vgl. BGH, Urteile vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28, Rz 30 ff.; vom 10.02.2022 – IX ZR 148/19, NJW-RR 2022, 483, Rz 13; vom 24.02.2022 – IX ZR 250/20, NJW-RR 2022, 557, Rz 21; vom 03.03.2022 – IX ZR 78/20, NJW 2022, 2038, Rz 109; vom 03.03.2022 – IX ZR 53/19, NJW 2022, 1457, Rz 11; vom 28.04.2022 – IX ZR 48/21, WM 2022, 1287, Rz 15[]
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