Die Grenzen der Ehrenamtlichkeit eines Nachlasspflegers

Wer Nachlasspflegschaften in einem Umfang führt, der die Annahme einer beruflichen Tätigkeit rechtfertigt, handelt nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs nicht mehr ehrenamtlich.

Die Grenzen der Ehrenamtlichkeit eines Nachlasspflegers

Zu den ehrenamtlichen Tätigkeiten gehören alle Tätigkeiten, die in einem anderen Gesetz als dem UStG ausdrücklich als solche genannt werden, die man im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichnet oder die vom materiellen Begriff der Ehrenamtlichkeit umfasst werden1.

Werden Nachlasspflegschaften wie im vorliegenden Fall von der Klägerin- in einem Umfang geführt, der die Annahme einer beruflichen Tätigkeit rechtfertigt, so wird eine solche Tätigkeit weder in einem anderen Gesetz als dem UStG noch im allgemeinen Sprachgebrauch als ehrenamtlich bezeichnet.

Das Bürgerliche Gesetzbuch behandelt die Nachlasspflegschaft nur dann als ehrenamtlich, wenn sie entweder unentgeltlich oder gegen einen Aufwendungsersatz nach § 1836 Abs. 2 BGB a.F. geführt wird, nicht aber, wenn die Voraussetzungen für eine berufliche Ausübung der Nachlasspflegschaft vorliegen. Ob sich diese Beurteilung unmittelbar aus dem BGB ergibt oder aus einem nicht im Widerspruch zur zivilrechtlichen Beurteilung stehenden allgemeinen Sprachgebrauch, mag dabei dahingestellt bleiben.

Die Tätigkeit als Nachlasspfleger wird gemäß §§ 1836 Abs. 1, 1915 Abs. 1 BGB a.F. unentgeltlich geführt. § 1836 Abs. 1 BGB a.F. betrifft unmittelbar zwar nur die Vormundschaft. Die für die Vormundschaft geltenden Vorschriften finden aber gemäß § 1915 Abs. 1 BGB a.F. auf die Pflegschaft entsprechende Anwendung, soweit sich nicht aus dem Gesetz etwas anderes ergibt. Das gilt aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit zwischen Vormundschaft und Pflegschaft für alle BGB-Pflegschaften, auch für die hier vorliegende Nachlasspflegschaft2.

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Aus der Regelung in § 1836 Abs. 1 BGB a.F., wonach die Vormundschaft unentgeltlich geführt wird, ergibt sich, dass die gesetzliche Grundkonzeption des § 1836 BGB a.F. von der ehrenamtlich geführten Nachlasspflegschaft ausgeht; Unentgeltlichkeit und Ehrenamtlichkeit werden insoweit gleichgesetzt. Im Regelfall soll keine Vergütung gezahlt werden (§ 1836 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.); nur in Ausnahmefällen soll die Amtsführung einen Vergütungsanspruch nach sich ziehen. Die Festsetzung einer Vergütung nach § 1836 Abs. 3 BGB a.F. steht dabei der Ehrenamtlichkeit nicht entgegen, wohl aber die berufsmäßige Führung der Vormundschaft3.

Bei der aus den genannten Gründen gebotenen engen Auslegung des Ehrenamtlichkeitsbegriffs wird die Nachlasspflegschaft dann nicht ehrenamtlich geführt, wenn die Voraussetzungen für die Feststellung, dass der Nachlasspfleger die Vormundschaft berufsmäßig führt, vorliegen. Gemäß § 1836 Abs. 1 BGB a.F. hat das Gericht die Feststellung, dass der Vormund die Vormundschaft berufsmäßig führt, u.a. zu treffen, wenn dem Vormund in einem solchen Umfang Vormundschaften übertragen sind, dass er sie nur im Rahmen seiner Berufsausübung führen kann. Diese Voraussetzungen liegen im Regelfall vor, wenn der Vormund mehr als zehn Vormundschaften führt oder die für die Führung der Vormundschaften erforderliche Zeit voraussichtlich 20 Wochenstunden nicht unterschreitet. Die Tätigkeit der Klägerin übersteigt im Streitfall bereits die Unschädlichkeitsgrenze von zehn Nachlasspflegschaften um das Dreifache, so dass von einer Berufsmäßigkeit auszugehen ist.

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Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die auch für die Nachlasspflegschaft geltende Verweisung in § 1915 Abs. 1 BGB a.F. nur auf § 1836 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F., nicht aber auf die übrigen Regelungen des Vormundschaftsrechts beziehen könnte.

Der materielle Begriff der Ehrenamtlichkeit setzt das Fehlen eines eigennützigen Erwerbsstrebens, die fehlende Hauptberuflichkeit und den Einsatz für eine fremdnützig bestimmte Einrichtung voraus4. Da im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall die Tätigkeit des Nachlasspflegers aus den genannten Gründen die Annahme einer beruflichen Tätigkeit rechtfertigt, verbietet sich die Annahme der Ehrenamtlichkeit schon aus diesem Grund.

Darüber hinaus wird die Tätigkeit des Nachlaßpflegers auch wegen der Höhe der insgesamt jährlich von ihm erzielten Entgelte nicht vom materiellen Begriff der Ehrenamtlichkeit umfasst. Das Finanzgericht hat zwar keine Feststellungen zum Arbeitsaufwand der Klägerin getroffen, so dass dem BFH keine Beurteilung der Höhe der auf die Arbeitsstunde entfallenden Entschädigung möglich ist. In diesem Zusammenhang ist aber entscheidend zu berücksichtigen, dass der Nachlaßpfleger nachhaltig und regelmäßig über mehrere Jahre hinweg jeweils erhebliche Einnahmen aus der Tätigkeit als Nachlasspfleger erzielt hat, die die Beträge, die ehrenamtliche Richter für gelegentliche Teilnahmen an Verhandlungsterminen in einem Jahr erzielen, weit übersteigen5.

Auch das Unionsrecht gibt keinen Anlass für die Steuerbefreiung der vom Nachlaßpfleger ausgeführten Umsätze. Die Sechste Richtlinie des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG sieht überhaupt keine Steuerbefreiung für ehrenamtliche Tätigkeiten vor. Damit ist fraglich, ob § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG überhaupt im Einklang mit der Richtlinie 77/388/EWG steht. Nach einer Protokollerklärung zu Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG steht es den Mitgliedstaaten zwar frei, ehrenamtliche Leistungen von der Steuer zu befreien. Ob das zur Beibehaltung der Befreiung in § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG berechtigt, ist fraglich und in der Literatur umstritten6. Unabhängig hiervon spricht jedenfalls das Gebot einer engen Auslegung von Befreiungstatbeständen gegen die Annahme einer unionsrechtlich gebotenen Steuerfreiheit im Streitfall. Bei der Auslegung des Merkmals der Ehrenamtlichkeit ist zu berücksichtigen, dass Steuerbefreiungen im Zweifel eng auszulegen sind, weil sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt7.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. April 2012 – V R 31/11

  1. BFH, Urteile vom 20.08.2009 – V R 32/08, BFHE 227, 207, BStBl II 2010, 88; vom 14.05.2008 – XI R 70/07, BFHE 221, 517, BStBl II 2008, 912, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH[]
  2. OLG Köln, Beschluss vom 06.08.2007 – 2 Wx 14/07; LG Hamburg, Urteil vom 16.07.2010 – 317 O 77/10, NJW/RR 2011, 513; OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.06.2007 – 7 U 248/06, FamRZ 2007, 2109; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30.04.2007 – 3 W 49/07, Der Deutsche Rechtspfleger 2007, 471; Palandt/Diederichsen, BGB, 71. Aufl., München 2012, § 1915 Rz 1; MünchKomm-BGB/Schwab, Band 8, 6. Aufl., München 2012, § 1915 Rz 1[]
  3. Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1836 Rz 2; Dickescheid in RGRK, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, Band IV, Berlin, New York 1999, § 1836 Rz 18; PammlerKlein/Pammler in Juris-PK, BGB, 5. Aufl., Band 4, Saarbrücken 2011, § 1836 Rz 8; MünchKomm-BGB/Wagenitz, a.a.O., § 1836 Rz 31; Wagenitz/Engers, FamRZ 1998, 1273, 1274[]
  4. BFH, Urteile in BFHE 227, 207, BStBl II 2010, 88; in BFHE 221, 517, BStBl II 2008, 912, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 16.04.2008 – XI R 68/07, BFH/NV 2008, 1368[]
  6. zweifelnd Kulmsee in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 4 Nr. 26 Rz 11; bejahend Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 4 Nr. 26 Rz 5; verneinend Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 26 Rz 4[]
  7. ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. zuletzt EuGH, Urteile vom 28.07.2011 – C-350/10 [Nordea], UR 2011, 747; vom 22.12.2010 – C-116/10 [Feltgen/Bacino], UR 2011, 694; vom 03.06.2010 – C-237/09 [Nathalie de Fruytier], Slg. 2010, I-4985; vom 06.05.2010 – C-94/09 [Kommission/Frankreich], Slg. 2010, I-4261; vom 18.03.2010 – C-3/09 [Erotic Center], Slg. 2010, I-2361; vom 28.01.2010 – C-473/08 [Eulitz GbR], Slg. 2010, I-907[]
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