Die Steuerhinterziehung des Mandanten – und die steuerliche Haftung des Steuerberaters

Berufstypische Handlungen eines Steuerberaters beziehungsweise Wirtschaftsprüfers können dann eine strafbare Beihilfe zur Steuerhinterziehung darstellen, wenn das vom Hilfeleistenden erkannte Risiko strafbaren Verhaltens seines Mandanten als derart hoch anzusehen ist, dass seine Hilfeleistung als Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters beurteilt werden kann. Das Finanzgericht darf im Rahmen seiner eigenen Überzeugungsbildung auch dann von einer Steuerstraftat ausgehen, wenn die Staatsanwaltschaft das diesbezügliche Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat.

Die Steuerhinterziehung des Mandanten – und die steuerliche Haftung des Steuerberaters

Die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zweistufig aufgebaut:

  1. Zunächst hat die Finanzbehörde zu prüfen, ob in der Person, die sie zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsnorm -hier: § 71 AO- erfüllt sind. Insoweit ist die Entscheidung keine Ermessensentscheidung im Sinne von § 5 AO und § 102 FGO, sondern eine vom Finanzgericht in vollem Umfang zu überprüfende rechtlich gebundene Entscheidung.
  2. Erst danach, auf der zweiten Stufe, entscheidet die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen1.

Für die gerichtliche Überprüfung von Haftungsbescheiden ergibt sich daraus, dass hinsichtlich der sogenannten ersten Stufe grundsätzlich der Sach- und Streitstand so zugrunde zu legen ist, wie er sich am Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht darstellt. Demgegenüber kommt es bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung auf der sogenannten zweiten Stufe auf die tatsächliche und rechtliche Situation im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an; dies ist in der Regel der Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung2.

Nach § 71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 AO.

Wer Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ist, ergibt sich mangels eigener Begriffsbestimmungen für das Steuerrecht aus den §§ 25 bis 31 des Strafgesetzbuchs -StGB-3. Teilnehmer sind der Anstifter (§ 26 StGB) oder der Gehilfe (§ 27 StGB). Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

Als Hilfeleistung im Sinne von § 27 Abs. 1 StGB ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolges des Haupttäters objektiv fördert, ohne dass sie für den Erfolg selbst ursächlich sein muss4.

Beihilfe kann der höchstrichterlichen Rechtsprechung zufolge zwischen Versuchsbeginn und Vollendung und darüber hinaus auch noch zwischen Vollendung und Beendigung der Haupttat geleistet werden5.

Im Fall von unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen ist eine Hinterziehung frühestens dann beendet, wenn eine Umsatzsteuerjahreserklärung beim Finanzamt eingereicht wird, in der die unrichtigen Angaben aus der Voranmeldung wiederholt werden6.

Kommt es dazu nicht mehr, weil das Finanzamt die Tat zuvor entdeckt hat, tritt die Beendigung der Steuerhinterziehung in dem Zeitpunkt ein, in dem der Täter Kenntnis von der Entdeckung seiner Tat erlangt7.

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Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern; Einzelheiten der Haupttat braucht er nicht zu kennen. Entscheidend ist, dass der Gehilfe die Dimension der Tat erfassen kann. Ob der Gehilfe den Erfolg der Haupttat wünscht oder ihn lieber vermeiden würde, ist dagegen nicht entscheidend. Es reicht, dass die Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern oder zu erleichtern, und der Hilfeleistende dies weiß8.

Auch sogenannte berufstypische oder „neutrale“ Handlungen wie Beratungs- oder Unterstützungshandlungen von Rechtsanwälten und Steuerberatern können eine strafbare Beihilfe darstellen. Die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung hat hierzu folgende Grundsätze aufgestellt:

Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den neutralen „Alltagscharakter“; es ist als „Solidarisierung“ mit dem Täter zu deuten und nicht mehr als sozialadäquat anzusehen.

Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das von dem Hilfeleistenden erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch war, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ9.

Ziel dieser Rechtsprechung ist es sicherzustellen, dass sich niemand durch bloße Mutmaßungen über die Möglichkeit einer strafbaren Verwendung eines geleisteten Beitrags von alltäglichen, sozial nicht unerwünschten Handlungen abhalten lassen muss10.

Die dargestellten Grundsätze sind insbesondere auch auf den Straftatbestand der Steuerhinterziehung anzuwenden11.

Die Feststellung der genannten Voraussetzungen ist grundsätzlich Aufgabe des Finanzgerichts als Tatsacheninstanz. Sie kann mit der Revision nur bedingt angegriffen werden.

Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der Bundesfinanzhof an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Die Feststellung oder Nichtfeststellung von Tatsachen durch das Finanzgericht ist danach der revisionsrechtlichen Nachprüfung weitgehend entzogen. Sie ist grundsätzlich nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorliegen. Ein revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß gegen die rechtlichen Anforderungen an die Überzeugungsbildung oder das erforderliche Maß von Überzeugung kann deshalb nur angenommen werden, wenn das Finanzgericht die in § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO angeordneten gesetzlichen Maßstäbe für die Überzeugungsbildung in grundlegender Weise verkannt hat12.

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Im Übrigen haben die Schlussfolgerungen des Finanzgerichts schon dann Bestand, wenn sie zwar nicht zwingend, aber doch möglich sind13. Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung seiner Ansicht nach näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre14.

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen stellt sich das vom erstinstanzlich hiermit befasste Finanzgericht Berlin-Brandenburg15 festgestellte Verhalten des Steuerberaters als strafbare Beihilfe zur Hinterziehung der Umsatzsteuervorauszahlungen der X GmbH für die Monate Mai bis Oktober 2007 dar.

Der Steuerberater hat die Haupttaten des Herrn C objektiv unterstützt.

Die Beweiswürdigung des Finanzgerichts hinsichtlich der Beihilfehandlungen des Steuerberaters ist frei von Rechtsfehlern; Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze liegen nicht vor. Die Einwände des Steuerberaters in Bezug auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen A und des Zeugen H sowie der übrigen Zeugen greifen nicht durch.

Der Steuerberater trägt vor, der Zeuge A habe wegen der ihm selbst drohenden Inanspruchnahme als Haftender ein „existentielles Eigeninteresse“ an seiner eigenen Entlastung gehabt, mit der notgedrungen die Belastung des Steuerberaters einhergehe. Es widerspreche allen Erfahrungssätzen, dass der Zeuge A in so einer Situation „objektiv wahr“ ausgesagt habe, wenn zudem klar erkennbar sei, dass er in anderen Teilen seiner Aussage nachweislich gelogen habe.

Dabei verkennt der Steuerberater, dass diese Einwände gleichermaßen auch auf ihn selbst zutreffen. Auch der Steuerberater hatte -und hat- wegen der drohenden Inanspruchnahme als Haftender ein „existenzielles Eigeninteresse“ an seiner eigenen Entlastung, mit der wiederum notgedrungen die Belastung des Zeugen A einhergeht. Somit konnte das Finanzgericht in dieser Situation die Glaubwürdigkeit des Zeugen A beziehungsweise die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen ebenso wenig von vornherein in Frage stellen wie die Glaubwürdigkeit des Steuerberaters und die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen.

In diesem Spannungsverhältnis hat das Finanzgericht eine Wertung der sich widersprechenden Schilderungen des Steuerberaters und des Zeugen A vorgenommen. In diese Wertung hat es die Gesamtumstände des vorliegenden Streitfalls einbezogen, desgleichen die übrigen Zeugenaussagen und die Aktenlage. Auch die Widersprüchlichkeiten in den Aussagen des Zeugen A hat es berücksichtigt, jedoch letztlich nicht für wesentlich erachtet. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Für die in Bezug auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen H vorgebrachten Einwände des Steuerberaters gilt dies gleichermaßen. Auch hier stehen die Aussagen des Zeugen H gegen die Aussagen des Steuerberaters. Dass das Finanzgericht letztlich im Wesentlichen den Darstellungen des Zeugen H gefolgt ist, verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze.

Ebenso erschöpft sich in Bezug auf die übrigen Zeugen der mit der Revision erhobene Vorwurf letztlich darin, dass das Finanzgericht der Darstellung des Steuerberaters nicht gefolgt ist. Revisionsrechtlich beachtliche Verstöße liegen insoweit nicht vor.

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Die Urteilsfeststellungen tragen darüber hinaus auch die Wertung des Finanzgerichts, dass der Steuerberater vorsätzlich gehandelt hat.

Das gilt insbesondere für die Annahme des Finanzgerichts, dass sich sowohl das Hinauszögern der am 08.11.2007 angeordneten Anschlussprüfung für die Voranmeldungszeiträume Mai bis September 2007, welches es Herrn C ermöglicht hat, die Eingangsrechnungen des vermeintlichen Lieferanten – I durch solche der Firma Ä zu ersetzen, als auch die dem Zeugen A erteilte Anweisung, die neuen Rechnungen in die Buchführung der X GmbH zu übernehmen, nicht mehr dem „berufstypischen“ Verhalten eines Steuerberaters zurechnen lassen. Es handelt sich dabei nicht mehr um alltägliche, sozial nicht unerwünschte Handlungen mit der Folge, dass die oben dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze des BGH insoweit keine Anwendung finden.

Zutreffend hat das Finanzgericht in diesem Zusammenhang auch den Verkauf weiterer Gesellschaften durch den Steuerberater und dessen Handeln für die Z GmbH sowie für Herrn D berücksichtigt. Die Überlegungen, die das Finanzgericht in diesem Zusammenhang angestellt hat, und die Schlussfolgerungen, die es daraus gezogen hat -nämlich dass der Steuerberater insbesondere zum Zeitpunkt des Hinauszögerns der Anschlussprüfung und des Austauschs der Rechnungen Kenntnis von der Hinterziehung der Umsatzsteuer der X GmbH durch Herrn C hatte und dass er diese Steuerhinterziehungen durch sein eigenes Verhalten fördern wollte-, sind möglich und haben damit Bestand.

Dem Steuerberater ist bei alledem zuzugeben, dass es in der Tat nur schwer nachvollziehbar -oder, wie es in der vom Steuerberater zitierten Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft aa vom 31.08.2015 heißt, „kaum vorstellbar“- ist, dass er „seine Existenz als … durch die Teilnahme an leicht durchschaubaren und -wie geschehen- in kurzer Zeit zu entdeckenden Steuerstraftaten aufs Spiel“ gesetzt haben soll.

Mindestens ebenso schwer nachvollziehbar erscheint dem Bundesfinanzhof allerdings, dass der Steuerberater, der als Steuerberater und einziger Berufsträger seiner Kanzlei gemäß § 57 des Steuerberatungsgesetzes zu einer gewissenhaften und eigenverantwortlichen Berufsausübung gesetzlich verpflichtet ist, über Monate das Mandat für die X GmbH innehatte, ohne sich der Bedeutung und Tragweite der -um noch einmal aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 31.08.2015 zu zitieren- „leicht durchschaubaren und -wie geschehen- in kurzer Zeit zu entdeckenden Steuerstraftaten“ bewusst gewesen zu sein.

Auch insoweit verstößt das angefochtene Urteil entgegen dem Vorbringen des Steuerberaters weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze.

Zutreffend hat das Finanzgericht schließlich entschieden, dass die Inanspruchnahme des Steuerberaters durch Haftungsbescheid ermessensfehlerfrei war.

Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.

Die Entscheidung über die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ist eine Ermessensentscheidung.

Im Rahmen der Ermessensausübung kann die Finanzbehörde auf sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zurückgreifen, auch auf einen (nur) vorläufigen Ermittlungsbericht der Steuerfahndung. Denn der Erlass des Haftungsbescheids setzt weder die vollständige Erstellung und Vorlage eines Schlussberichts der Steuerfahndung voraus noch ist die Finanzbehörde verpflichtet, den Ausgang eines anhängigen Strafverfahrens abzuwarten16.

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Unerheblich ist auch, ob ein gegen den Haftungsschuldner eingeleitetes Steuerstrafverfahren eingestellt wird; denn eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht Voraussetzung für die Inanspruchnahme nach § 71 AO17.

Auf die Leistungsfähigkeit des Haftungsschuldners kommt es bei seiner Inanspruchnahme nach § 71 AO ebenfalls nicht an18.

Ungeachtet dessen kann eine Ermessensentscheidung des Finanzamtes nur dann als rechtmäßig angesehen werden, wenn das Finanzamt den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt hat. Daraus folgt umgekehrt, dass die Ermessensentscheidung fehlerhaft ist, wenn die Behörde bei ihrer Entscheidung Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art, die nach dem Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift zu berücksichtigen wären, außer Acht lässt19.

Liegt eine vorsätzliche Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor, so ist eine Haftungsinanspruchnahme des Gehilfen als Haftungsschuldner nach §§ 191, 71 AO auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung als ermessensgerecht nach § 102 FGO anzusehen (sog. Vorprägung der Ermessensentscheidung). Dies gilt nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach20.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Finanzamt den Steuerberater ermessensfehlerfrei als Haftungsschuldner herangezogen.

Die Inanspruchnahme des Steuerberaters war dem Grunde nach berechtigt. Insbesondere durfte das Finanzamt selbständig und unabhängig prüfen, ob der Steuerberater den objektiven und den subjektiven Tatbestand des § 71 AO erfüllte. Der Inanspruchnahme des Steuerberaters durch Haftungsbescheid vom 20.01.2012 stand weder entgegen, dass die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes cc ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen hatte und ihren Schlussbericht erst am 02.04.2014 erstellte, noch ergab sich aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft aa das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Steuerberater mit Verfügung vom 31.08.2015 unter Berufung auf § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte, dass damit eine (fortgesetzte) Inanspruchnahme des Steuerberaters ausgeschlossen war.

Die Überlegungen, die das Finanzamt in der Begründung des Haftungsbescheids vom 20.01.2012 angestellt hat, und die Schlussfolgerungen, die es dort gezogen hat, sind tatsächlich durch das Ergebnis der mündlichen Verhandlung bestätigt worden. Damit steht fest, dass die Inanspruchnahme des Steuerberaters nicht, wie der Steuerberater meint, auf einer „willkürlichen Schätzung“ beruhte und dass das Finanzamt den Haftungsbescheid nicht „ins Blaue hinein“ erlassen hat.

Die Ausübung des Auswahlermessens ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Finanzamt hat neben dem Steuerberater auch die beiden Geschäftsführer der X GmbH, die Herren C und E, und darüber hinaus auch Herrn F in Haftung genommen. Fehler bei der Ausübung des Auswahlermessens sind nicht ersichtlich.

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Hinsichtlich der Höhe ist die Haftungsinanspruchnahme vorgeprägt. Der Steuerberater haftet für die verkürzte Steuer; weitere Differenzierungen sind nicht angezeigt. Anhaltspunkte dafür, dass die Haftungssumme nicht der geschuldeten Steuer entsprochen haben könnte, bestehen nicht.

Der Haftungsbescheid vom 20.01.2012 ist schließlich auch weder nichtig (§ 125 AO) noch formell rechtswidrig, weil eine mündliche Anhörung nicht stattgefunden hat.

Insbesondere lässt sich dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 15.09.199221 nicht entnehmen, dass die Anhörung (§ 91 Abs. 1 AO) eines Haftungsschuldners zwingend in mündlicher Form beziehungsweise in Form einer Vernehmung zu erfolgen hat. Grundsätzlich ist es dem pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde überlassen, nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden, in welcher Form sie ihre Informationspflicht erfüllt und dem Betroffenen rechtliches Gehör gewährt22. Im Streitfall war insoweit auch zu berücksichtigen, dass vom Steuerberater aufgrund dessen eigenen steuerlichen Kenntnissen erwartet werden konnte, dass ihm die Bedeutung des Anhörungsschreibens des Finanzamtes bewusst war.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28. Februar 2023 – VII R 29/18

  1. vgl. BFH, Urteil vom 20.09.2016 – X R 36/15, Rz 12, m.w.N.; BFH, Urteile vom 11.03.2004 – VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579, unter II. 1.a; und vom 12.12.1996 – VII R 53/96, BFH/NV 1997, 386, unter 1.; ebenso Loose in Tipke/Kruse, § 191 AO Rz 36 und Jatzke in Gosch, AO § 191 Rz 17[]
  2. vgl. BFH, Urteile vom 20.09.2016 – X R 36/15, Rz 14; und vom 26.06.2014 – IV R 17/14, Rz 26[]
  3. s.a. BFH, Urteil vom 15.01.2013 – VIII R 22/10, BFHE 240, 195, BStBl II 2013, 526, Rz 12[]
  4. ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteile vom 28.10.2015 – 1 StR 465/14, Neue Zeitschrift für Strafrecht -NStZ- 2016, 292, Rz 63; vom 22.07.2015 – 1 StR 447/14, NStZ 2016, 39, Rz 15; und vom 01.08.2000 – 5 StR 624/99, NJW 2000, 3010, BStBl II 2001, 79, unter B.I. 1.; s.a. BFH, Urteil vom 07.03.2006 – VII R 30/04, BFH/NV 2006, 1717, unter II. 5.a; BFH, Urteile vom 07.03.2006 – X R 8/05, BFHE 212, 398, BStBl II 2007, 594, unter II. 3.; und vom 21.01.2004 – XI R 3/03, BFHE 205, 394, BStBl II 2004, 919, unter II. 1.[]
  5. vgl. BGH, Beschlüsse vom 14.10.2015 – 1 StR 521/14, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht -wistra- 2016, 74, Rz 18; und vom 27.11.2012 – 3 StR 433/12, NStZ 2013, 463[]
  6. ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteile vom 17.03.2009 – 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221, unter III. 2.a bb; und vom 10.12.1991 – 5 StR 536/91, BGHSt 38, 165, unter 3.c; BGH, Beschluss vom 03.03.1989 – 3 StR 552/88, wistra 1989, 188, unter 2.a; s.a. Krumm in Tipke/Kruse, § 370 AO Rz 98, m.w.N.; Peters in HHSp, § 370 AO Rz 555[]
  7. s. BayObLG, Beschluss vom 07.05.1991 – RReg 4 St 204/90, wistra 1991, 313, unter II. 2.b; ebenso Krumm in Tipke/Kruse, § 370 AO Rz 98[]
  8. ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteile vom 19.12.2017 – 1 StR 56/17, NStZ 2018, 329, Rz 15 und in NStZ 2016, 39, Rz 16, jeweils m.w.N.; s.a. BFH, Urteile in BFHE 212, 398, BStBl II 2007, 594, unter II. 3. und in BFHE 205, 394, BStBl II 2004, 919, unter II. 1.[]
  9. vgl. BGH, Urteile in NStZ 2018, 329, Rz 16 und 18, m.w.N.[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 22.01.2014 – 5 StR 468/12, wistra 2014, 176, Rz 29[]
  11. BGH, Urteile vom 15.05.2018 – 1 StR 159/17, wistra 2019, 63, Rz 184 und in NJW 2000, 3010, BStBl II 2001, 79, unter B.I. 2.c[]
  12. vgl. BFH, Urteile vom 12.07.2016 – II R 42/14, BFHE 254, 105, BStBl II 2016, 868, Rz 16 und in BFHE 240, 195, BStBl II 2013, 526, Rz 16; s. allgemein auch Lange in HHSp, § 118 FGO Rz 180 ff.; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118 Rz 54 f.[]
  13. vgl. BFH, Urteil vom 03.12.2019 – X R 5/18, Rz 46, m.w.N.; s.a. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118 Rz 54, m.w.N.[]
  14. vgl. BGH, Urteile vom 11.11.2015 – 1 StR 235/15, wistra 2016, 78, Rz 36; und vom 24.03.2015 – 5 StR 521/14, Rechtsprechungs-Report Strafrecht 2015, 178, Rz 8, m.w.N.[]
  15. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2018 – 9 K 9306/12[]
  16. BFH, Beschluss vom 12.09.2014 – VII B 99/13, Rz 30, m.w.N.[]
  17. vgl. BFH, Urteil vom 26.09.2012 – VII R 3/11, Rz 21, m.w.N.; vgl. auch Jatzke in Gosch, AO § 71 Rz 12; Loose in Tipke/Kruse, § 71 AO Rz 14; Boeker in HHSp, § 71 AO Rz 20[]
  18. vgl. BFH, Beschluss vom 29.08.2001 – VII B 54/01, unter II., m.w.N.; BFH, Urteile in BFHE 205, 394, BStBl II 2004, 919, unter II. 2.a; und vom 08.09.2004 – XI R 1/03, unter II. 2.a[]
  19. vgl. BFH, Urteile in BFH/NV 1997, 386, unter 1., m.w.N.; und vom 14.05.2013 – VII R 36/12, Rz 16[]
  20. vgl. BFH, Urteil vom 26.02.1991 – VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504, unter II. 2.a und b; BFH, Urteile in BFHE 205, 394, BStBl II 2004, 919, unter II. 2.a; und vom 08.09.2004 – XI R 1/03, unter II. 2.a[]
  21. BFH, Beschluss vom 15.09.1992 – VII B 62/92, BFH/NV 1994, 149, unter II. 2.a[]
  22. vgl. auch Söhn in HHSp, § 91 AO Rz 90[]
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