Die Umsatzsteuer ist keine Verbrauchsteuer i.S. des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, so dass die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre beträgt1.

Der Bundesfinanzhof hat bereits ausgeführt2, dass dies durch § 21 AO belegt werde, der die Zuständigkeit zur Verwaltung der Umsatzsteuer (mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer) den Landesfinanzbehörden (Finanzämtern) überträgt, während für Verbrauchsteuern die Hauptzollämter zuständig sind (§ 23 AO). Wäre die Umsatzsteuer eine bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuer, müsste sie grundsätzlich nach Art. 108 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ebenfalls von den Bundesfinanzbehörden verwaltet werden.
Es ist zwar zutreffend, dass die Mehrwertsteuer eine Verbrauchsteuer im unionsrechtlichen Sinne ist: Bereits nach Art. 2 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11.04.1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, der inhaltlich Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entspricht, beruht das gemeinsame Mehrwertsteuersystem auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist3.
Dies hat der Bundesfinanzhof jedoch nicht erst in dem Urteil vom 12.01.20064 erkannt. So nehmen bereits die Urteile des Bundesfinanzhofs vom 24.06.19925; vom 10.12 19986; vom 22.07.19997; und vom 29.11.20018 sowie sein Beschluss vom 19.06.20029 auf den Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer Bezug.
Aus dem Umstand, dass die Umsatzsteuer unionsrechtlich eine Verbrauchsteuer ist, ergeben sich keine zwingenden Rechtsfolgen für die Auslegung des § 169 Abs. 2 Satz 1 AO; denn mangels einer einschlägigen Unionsregelung ist u.a. die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, sofern dabei die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und des Vertrauensschutzes beachtet werden10. Dies ist vorliegend bei § 169 Abs. 2 AO der Fall, der nicht zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Sachverhalten differenziert. Deshalb zwingt die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht zu einer Änderung der zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14. Juli 2015 – XI B 41/15
- vgl. BFH, Beschluss vom 16.10.1986 – V B 64/86, BFHE 148, 10, BStBl II 1987, 95; BFH, Urteil vom 12.05.2005 – V R 44/04, BFH/NV 2005, 2046; s. aus der Literatur z.B. Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 169 AO Rz 28; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, Vorbemerkung, Rz 113 ff.[↩]
- BFH, Beschluss in BFHE 148, 10, BStBl II 1987, 95[↩]
- vgl. dazu auch EuGH, Urteile vom 03.05.2012 – C-520/10, Lebara, EU:C:2012:264, HFR 2012, 672, Rz 24; vom 23.04.2015 – C-111/14, GST-Sarviz Germania, EU:C:2015:267, HFR 2015, 620, Rz 40[↩]
- BFH, Urteil vom 12.01.2006 – V R 3/04, BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479[↩]
- BFH, Urteil vom 24.06.1992 – V R 130/89, BFH/NV 1993, 201, unter II. 3.c[↩]
- BFH, Urteil vom 10.12 1998 – V R 58/97, BFH/NV 1999, 987, unter II. 1.[↩]
- BFH, Urteil vom 22.07.1999 – V R 51/98, BFHE 189, 211, BStBl II 1999, 630, unter II.[↩]
- BFH, Urteil vom 29.11.2001 – IV R 65/00, BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, unter 4.[↩]
- BFH, Beschluss vom 19.06.2002 – V B 113/01, BFH/NV 2002, 1353, unter II. 2.b[↩]
- vgl. EuGH, Urteile Aprile Srl vom 17.11.1998 – C-228/96, EU:C:1998:544, HFR 1999, 125, Rz 18; vom 11.07.2002 – C-62/00, Marks & Spencer, EU:C:2002:435, HFR 2002, 943, Rz 34 ff.; vom 21.01.2010 – C-472/08, Alstom Power Hydro, EU:C:2010:32, DStRE 2010, 493, Rz 17 ff.; vom 12.05.2011 – C-107/10, Enel Maritsa Iztok 3, EU:C:2011:298, HFR 2011, 823, Rz 29; vom 12.02.2015 – C-662/13, Surgicare, EU:C:2015:89, HFR 2015, 422, Rz 26[↩]