Leistungen der Eingliederungshilfe und im Rahmen eines „Individuellen Services für behinderte Menschen“, die eine Pflegekraft auf der Grundlage von § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI gegenüber einem auf dem Gebiet der Pflege von Menschen tätigen Verein erbringt, sind umsatzsteuerfrei, wenn die Kosten der Leistungen aufgrund gesetzlicher und vertraglicher Regelung von einem Träger der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit getragen werden.

So hat die Pflegekraft in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall als Unternehmer i.S. von § 2 Abs. 1 UStG an den Verein steuerbare Leistungen im Rahmen seines Unternehmens erbracht. Insbesondere hat er ein Unternehmerrisiko getragen und war nicht unselbständig i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG1.
Dabei waren die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach nationalem Recht nicht gegeben:
§ 4 Nr. 18 UStG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Pfleger kein Mitglied eines anerkannten Verbandes der freien Wohlfahrtspflege i.S. des § 23 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung ist2.
Auch greift die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F.3 nicht ein; denn der Pfleger betrieb nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgericht keine Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker bzw. pflegebedürftiger Personen.
Leistungen i.S. des § 4 Nr. 14 bzw. § 4 Nr. 16 Buchst. b oder d UStG a.F. hat der Pfleger der Sache nach nicht ausgeführt.
Allerdings kann sich der Pfleger aber für seine Leistungen erfolgreich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt: Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL) befreien die Mitgliedstaaten eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden. Es muss sich nach dem Wortlaut der Richtlinie um eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen handeln und der Leistende muss eine Einrichtung des öffentlichen Rechts oder als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sein.
Zu den eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen gehören insbesondere Leistungen der ambulanten Pflege4, namentlich die hauswirtschaftliche Versorgung5, das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung und das Waschen der Kleidung6, die Gestellung einer Haushaltshilfe7, Leistungen der Kinderbetreuung8, Legasthenie-Behandlungen im Rahmen der Eingliederungshilfe9 oder Betreuungsleistungen10.
Die Gestellung von Personal hingegen ist keine mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit eng verbundene Dienstleistung11. Es spielt insoweit weder eine Rolle, dass die betreffenden Arbeitnehmer Pflegekräfte sind, noch, dass diese anerkannten Pflegeeinrichtungen zur Verfügung gestellt werden12. Ebenfalls steuerpflichtig sind allgemeine Geschäftsführungs- und Verwaltungsleistungen13.
Nach § 1 Abs. 1 SGB I – Allgemeiner Teil des Sozialgesetzbuchs – soll das Recht zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfe gestalten. Leistungen, die auf der Grundlage des SGB erbracht werden, werden deshalb oftmals eng mit der sozialen Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sein14, wobei sich jedoch Überschneidungen mit anderen Steuerbefreiungen ergeben können15.
Nach diesen Grundsätzen sind im hier entschiedenen Streitfall die vom Pfleger erbrachten Leistungen eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG; denn sie umfassen den Bereich „individueller Service für Menschen mit Behinderungen“ und „Eingliederungshilfe“, die auf Grundlage des § 36 SGB XI und der §§ 39, 45 SGB XI, § 53 SGB XII erbracht wurden.
Auch ist der Verein vorliegend eine vom Mitgliedstaat Deutschland anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter.
er Begriff „Einrichtung“ ist grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen16 und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht17 zu erfassen.
Nach den EuGH-Urteilen Kügler18 und Zimmermann19 legt der -berufbare- Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht fest. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu diesen gehören
- das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann,
- das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,
- die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und
- die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit.
Allerdings sollen durch Art. 13 Teil A der Richtlinie 77/388/EWG, wie sich aus dessen Überschrift ergibt, „bestimmte“ dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit werden. Durch diese Vorschrift werden nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit, sondern nur diejenigen, die in ihr einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind20. Folglich kann nicht jede Person, die eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausübt, als eine vom Mitgliedstaat anerkannte Einrichtung angesehen werden; sonst würden die in Art. 13 Teil A der Richtlinie 77/388/EWG enthaltenen personellen Voraussetzungen der einzelnen Steuerbefreiungen durch die Rechtsprechung beseitigt.
Im letztgenannten Fall (4. Spiegelstrich) der aufgezählten Kriterien (Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit) kommt es nicht darauf an, ob die Kosten im konkreten Fall tatsächlich übernommen worden sind, sondern es reicht aus, dass sie übernehmbar sind21.
Eine Kostenübernahme, die nicht aufgrund einer der vom Unionsgerichtshof als für eine Anerkennung tauglich aufgeführten Regelung22 oder lediglich nachträglich nach Einzelfallprüfung23 erfolgt, reicht aber nicht aus.
Die genannten Kriterien müssen nicht kumulativ vorliegen24. Die erforderliche Anerkennung kann deshalb nach der ständigen Rechtsprechung beider Umsatzsteuersenate des BFH allein aus der Übernahme von übernehmbaren Kosten durch eine Krankenkasse oder andere Einrichtung der sozialen Sicherheit abgeleitet werden25.
Im Streitfall folgt die erforderliche Anerkennung des Pflegers als Einrichtung mit sozialem Charakter aus § 77 SGB XI26. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in seiner in den Streitjahren 2004 bis 2006 geltenden Fassung konnten die Pflegekassen zur „Sicherstellung der häuslichen Pflege und hauswirtschaftlichen Versorgung … einen Vertrag mit einzelnen geeigneten Pflegekräften schließen, soweit und solange eine Versorgung nicht durch einen zugelassenen Pflegedienst gewährleistet werden kann“.
Unerheblich ist hierbei, dass keine vertraglichen Vereinbarungen des Pflegers mit dem Landschaftsverband bzw. der Stadt C bestanden. Insoweit reicht es aus, dass der Verein nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgericht sämtliche Kosten der Leistungen des Pflegers dem Landschaftsverband bzw. der Stadt C in Rechnung gestellt hat und jene in allen (und damit in mehr als 40 % der) Fälle(n) sämtliche Kosten mittelbar getragen haben27. Soweit die Finanzverwaltung nunmehr in Abschn.04.16.3 Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses eine abweichende Auffassung vertritt, ist diese jedenfalls insoweit nicht zutreffend.
Auf die Verhältnisse im Jahr 2003 kommt es für die Streitjahre nicht an28.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. Dezember 2016 – XI R 5/15
- vgl. dazu allgemein BFH, Urteile vom 14.04.2010 – XI R 14/09, BFHE 230, 245, BStBl II 2011, 433, Rz 20 ff.; vom 11.11.2015 – V R 3/15, BFH/NV 2016, 795, Rz 20 f.; vom 22.06.2016 – V R 46/15, BFHE 254, 272, BFH/NV 2016, 1530, Rz 19 f.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 01.12 2010 – XI R 46/08, BFHE 232, 232, BFH/NV 2011, 712, Rz 17; s. auch BFH, Urteil vom 18.08.2015 – V R 13/14, BFHE 251, 282, BFH/NV 2015, 1784, Rz 9[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteile vom 24.01.2008 – V R 54/06, BFHE 221, 391, BStBl II 2008, 643; vom 30.07.2008 – XI R 61/07, BFHE 222, 134, BStBl II 2009, 68, unter II. 1.b, Rz 12 ff.[↩]
- vgl. EuGH, Urteil Zimmermann vom 15.11.2012 – C-174/11, EU:C:2012:716, UR 2013, 35, Rz 24[↩]
- vgl. EuGH, Urteil Kügler vom 10.09.2002 – C-141/00, EU:C:2002:473, UR 2002, 513, Rz 44; BFH, Urteil vom 18.01.2005 – V R 99/01, BFH/NV 2005, 1392, unter II. 2.g, Rz 25[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II. 2.a, Rz 36[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 222, 134, BStBl II 2009, 68, unter II. 1.b, Rz 13[↩]
- vgl. EuGH, Urteil Kinderopvang Enschede vom 09.02.2006 – C-415/04, EU:C:2006:95, BFH/NV 2006, Beilage 3, 256, Rz 27[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 18.08.2005 – V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II. 2.d cc (1), Rz 48; vom 01.02.2007 – V R 34/05, BFH/NV 2007, 1201, unter II. 2.g, Rz 28[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 17.02.2009 – XI R 67/06, BFHE 224, 183, BStBl II 2013, 967; vom 25.04.2013 – V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 17; vom 16.10.2013 – XI R 19/11, BFH/NV 2014, 190[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 22.07.2015 – V R 20/12, UR 2015, 877, Rz 3; BFH, Urteil vom 14.01.2016 – V R 56/14, BFH/NV 2016, 792, Rz 18; jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. EuGH, Urteil „go fair“ Zeitarbeit vom 12.03.2015 – C-594/13, EU:C:2015:164, UR 2015, 351, Rz 28[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 23.07.2009 – V R 93/07, BFHE 226, 435, BStBl II 2015, 735, Rz 34[↩]
- vgl. allgemein BFH, Urteil in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II. 2.d cc (1), Rz 48[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil Kügler, EU:C:2002:473, UR 2002, 513, Rz 44, zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG; BFH, Urteile vom 06.04.2016 – V R 55/14, BFHE 253, 466, BFH/NV 2016, 1126, Rz 25, zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG; vom 05.06.2014 – V R 19/13, BFHE 245, 433, BFH/NV 2014, 1687, Rz 25, zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 77/388/EWG[↩]
- vgl. EuGH, Urteil Gregg vom 07.09.1999 – C-216/97, EU:C:1999:390, UR 1999, 419, Rz 21[↩]
- vgl. dazu EuGH, Urteile Kingscrest Associates und Montecello vom 26.05.2005 – C-498/03, EU:C:2005:322, UR 2005, 453, Rz 35 und 40; MDDP vom 28.11.2013 – C-319/12, EU:C:2013:778, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2014, 177, Rz 28 und 31[↩]
- EU:C:2002:473, UR 2002, 513, Rz 54 und 58[↩]
- EU:C:2012:716, UR 2013, 35, Rz 26[↩]
- vgl. EuGH, Urteile Kommission/Deutschland vom 20.06.2002 – C-287/00, EU:C:2002:388, HFR 2002, 852, Rz 45; Horizon College vom 14.06.2007 – C-434/05, EU:C:2007:343, BFH/NV 2007, Beilage 4, 389, Rz 14; Canterbury Hockey Club und Canterbury Ladies Hockey Club vom 16.10.2008 – C-253/07, EU:C:2008:571, HFR 2009, 87, Rz 18; M?sto Žamberk vom 21.02.2013 – C-18/12, EU:C:2013:95, UR 2013, 338, Rz 18; VDP Dental Laboratory u.a. vom 26.02.2015 – C-144/13, – C-154/13 und – C-160/13, EU:C:2015:116, UR 2015, 474, Rz 45[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II. 3.c, Rz 66 f.; in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II. 2.d cc (2), Rz 52; in BFHE 221, 391, BStBl II 2008, 643, unter II. 2.a bb, Rz 42; in BFHE 242, 548, BFH/NV 2014, 119, Rz 40; in BFHE 232, 232, BFH/NV 2011, 712, Rz 34; in BFHE 234, 448, BFH/NV 2011, 1804, Rz 38; vom 29.07.2015 – XI R 35/13, BFHE 251, 91, BStBl II 2016, 797, Rz 23; vom 18.02.2016 – V R 46/14, BFHE 253, 421, BFH/NV 2016, 1120, Rz 30[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 253, 421, BFH/NV 2016, 1120, Rz 43[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 26.01.2012 – V R 52/10, BFH/NV 2012, 817, Rz 4[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 28; in BFHE 253, 466, BFH/NV 2016, 1126, Rz 37[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II. 3.c, Rz 66; in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II. 2.d cc (3), Rz 53; vom 21.03.2007 – V R 28/04, BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999, Rz 34; in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 2.b cc, Rz 41; in BFHE 221, 391, BStBl II 2008, 643, Rz 43; vom 26.11.2014 – XI R 25/13, BFH/NV 2015, 531, Rz 39; in BFHE 251, 91, BStBl II 2016, 797, Rz 23[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 251, 282, BFH/NV 2015, 1784, Rz 17 und 20[↩]
- s. zur Gewährung der Steuerbefreiung an Subunternehmer in Fällen der mittelbaren Kostentragung auch BFH, Urteile in BFHE 253, 466, BFH/NV 2016, 1126, Rz 36; in BFHE 254, 272, BFH/NV 2016, 1530, Rz 36 und 50 f.; BFH, Beschluss vom 12.12 2013 – XI B 88/13, BFH/NV 2014, 550[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 19.03.2013 – XI R 47/07, BFHE 240, 439, BFH/NV 2013, 1204, Rz 37 f.[↩]