Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug – der Scheinsitz des Lieferanten

Die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht für eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung (grundsätzlich) nicht aus1.

Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug – der Scheinsitz des Lieferanten

Zwar kann nach den Umständen des Einzelfalls auch die Angabe eines „Briefkastensitzes“ mit postalischer Erreichbarkeit als Anschrift, die die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG erfüllt, genügen2. Unter welchen besonderen Umständen die Angabe einer Anschrift mit nur postalischer Erreichbarkeit als zutreffende Anschrift für eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung ausreichend sein könnte, ist höchstrichterlich aber insoweit geklärt, als es jedenfalls bei einer GmbH, die -wie im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall- in großem Umfang mit Kfz handelt, nicht ausreicht, wenn sich unter der in der Rechnung angegebenen Anschrift keine eigenen Geschäftsräume, sondern lediglich eine nicht in Anspruch genommene Telefonleitung und eine Briefempfangsstelle befinden3.

Unentschiedenheit oder Unsicherheit besteht dagegen in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH4 der Leistungsempfänger zum Abzug der Vorsteuerbeträge berechtigt ist, wenn er auf die Angaben des Lieferanten vertraute und sich diese Angaben später als falsch herausstellen5. Insoweit könnte die Unternehmerin -obgleich § 15 UStG den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vorsieht und Vertrauensschutzgesichtspunkte deshalb grundsätzlich nicht bei der Steuerfestsetzung, sondern im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO berücksichtigt werden können6- zum Vorsteuerabzug berechtigt sein. So steht etwa nach Ansicht des Finanzgerichts Münster7 die Angabe eines Scheinsitzes dem Vorsteuerabzug nicht entgegen, wenn sich für den Leistungsempfänger keine Zweifel an der in der Rechnung angegebenen Anschrift hätten ergeben müssen.

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Nach Auffassung des Sächsischen Finanzgericht8 bestehen Zweifel daran, ob der Vorsteuerabzug ausschließlich mit der Begründung versagt werden kann, dass es sich bei der angegebenen Rechnungsanschrift um einen sog. „Scheinsitz“ handelt und damit die erforderliche „zutreffende“ Anschrift des leistenden Unternehmers in der Rechnung fehlt. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hält es für ernstlich zweifelhaft, dass allein wegen einer (objektiv) fehlerhaften Anschrift im Abrechnungsdokument der Vorsteuerabzug versagt werden kann9.

Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage ist die beantragte AdV zu gewähren, soweit das Finanzamt den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen in dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid versagte. Ist -wie hier- die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen grundsätzlich nicht im summarischen Beschlussverfahren zu entscheiden; die Klärung muss vielmehr dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben10.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18. Februar 2015 – V S 19/14

  1. vgl. BFH, Urteile vom 27.06.1996 – V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620; vom 19.04.2007 – V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, unter II.C.01.a; vom 06.12 2007 – V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II. 3.c; und vom 30.04.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744, unter II. 1.d; BFH, Beschluss vom 05.11.2009 – V B 5/09, BFH/NV 2010, 478[]
  2. vgl. dazu BFH, Urteil in BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, m.w.N.[]
  3. vgl. dazu BFH, Beschluss vom 14.03.2000 – V B 187/99, BFH/NV 2000, 1252[]
  4. vgl. z.B. EuGH, Urteile Mahagében und Dávid, – C-80/11 und – C-142/11, EU:C:2012:373; Maks Pen EOOD, – C-18/13, EU:C:2014:69[]
  5. vgl. dazu auch BFH, Beschluss vom 16.04.2014 – V B 48/13, BFH/NV 2014, 1243, Rz 6[]
  6. vgl. dazu z.B. BFH, Urteil vom 08.07.2009 – XI R 51/07, BFH/NV 2010, 256, m.w.N.; FG Köln, Urteil vom 12.03.2014 – 4 K 2374/10, EFG 2014, 1442, Revision eingelegt zum BFH – XI R 22/14[]
  7. FG Münster, EFG 2014, 395[]
  8. Sächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 04.03.2014 – 4 – V 297/13[]
  9. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.04.2014 – 7 – V 7027/14, EFG 2014, 1445[]
  10. vgl. dazu BFH, Beschlüsse vom 14.10.2002 – V B 60/02, BFH/NV 2003, 87, unter II. 3.; vom 25.11.2005 – V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484, unter II. 3.b; vom 13.03.2012 – I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611, Rz 22; vom 12.12 2013 – XI B 88/13, BFH/NV 2014, 550, Rz 26; vom 02.07.2014 – XI S 8/14, BFH/NV 2014, 1601, jeweils m.w.N.[]
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