Heileurythmische Heilbehandlungsleistungen – und die Umsatzsteuer

Der Nachweis der erforderlichen Berufsqualifikation kann sich aus der Zulassung des Heileurythmisten zur Teilnahme an den Verträgen zur Integrierten Versorgung mit Anthroposophischer Medizin nach §§ 140a ff. SGB V1 ergeben. Die Steuerbefreiung erstreckt sich auf sämtliche heileurythmische Heilbehandlungsleistungen des Leistungserbringers.

Heileurythmische Heilbehandlungsleistungen – und die Umsatzsteuer

Umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden.

Diese Vorschrift setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in nationales Recht um. Danach befreien die Mitgliedstaaten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, von der Steuer.

Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern und Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sind in gleicher Weise auszulegen; daher kann auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG weiterhin zur Auslegung herangezogen werden2. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ist im Lichte dieser Bestimmungen richtlinienkonform auszulegen3.

Der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ ist ein autonomer unionsrechtlicher Begriff4 und umfasst Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen5.

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Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt, da die jeweils auf ärztliche Verordnung hin erbrachten heileurythmischen Leistungen der Therapeutin dem Zweck der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen der Leistungsempfänger dienten.

Auch den für die Steuerbefreiung der Heilbehandlungsleistung erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis6 hat die Therapeutin -wie das Finanzgericht zutreffend angenommen hat- erbracht.

Zwar ergibt sich ihre berufliche Qualifikation nicht aus berufsrechtlichen Regelungen7.

Eine berufsrechtliche Regelung über Ausbildung, Prüfung, staatliche Anerkennung sowie staatliche Erlaubnis und Überwachung der Berufsausübung für das Berufsbild des Heileurythmisten ist in der Bundesrepublik Deutschland bislang nicht erlassen worden. Die von der Therapeutin erworbene Qualifikation („Diplom für Eurythmie“ des Instituts für Waldorfpädagogik – X bzw. „Heileurythmie-Diplom“ der Schule für Eurythmische Heilkunst Y) kann somit nicht auf einer derartigen berufsrechtlichen Regelung beruhen und steht ihr auch nicht gleich, da die Diplome nicht von staatlichen, sondern von privaten Ausbildungsinstituten verliehen wurden.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall bedeutete dies:

Der Nachweis der für die Leistungserbringung erforderlichen Berufsqualifikation der Therapeutin ergibt sich auch nicht aus einer „regelmäßigen“ Kostentragung durch Sozialversicherungsträger8.

Die Therapeutin hat jedoch den Nachweis ihrer beruflichen Qualifikation durch ihre Teilnahmeberechtigung an den IV-Verträgen erbracht.

Die für Versorgungsverträge und Gesamtvereinbarungen geltenden Grundsätze gelten auch für Integrierte Versorgungsverträge nach den §§ 140a ff. SGB V9, die Berufsverbände von Leistungserbringern mit gesetzlichen Krankenkassen abschließen, sofern der jeweilige Berufsverband die Teilnahmeberechtigung der Leistungserbringer davon abhängig macht, dass die in den Verträgen enthaltenen Qualifikationsanforderungen erfüllt werden10.

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Die vom BVHE vor dem Streitjahr abgeschlossenen Integrierten Versorgungsverträge mit gesetzlichen Krankenkassen betreffen die Versorgung mit Anthroposophischer Medizin, zu der auch die Heileurythmie gehört.

Die Therapeutin war ordentliches Mitglied des BVHE und konnte damit als Leistungserbringerin in die integrierte Versorgung mit Anthroposophischer Medizin einbezogen werden.

Sie erfüllte ferner die in den IV-Verträgen konkret benannten Qualifikationsanforderungen, da sie nach Erwerb des „Diploms für Eurythmie“ des Instituts für Waldorfpädagogik X sowie des „Heileurythmie-Diploms“ der Schule für Eurythmische Heilkunst Y seit dem 28.09.2009 zur Teilnahme an den IV-Verträgen zugelassen war.

Hieraus ergibt sich der für die Steuerfreiheit erforderliche Befähigungsnachweis gleichermaßen wie für eine Rehabilitationseinrichtung, die auf Grund eines Versorgungsvertrags gemäß § 11 Abs. 2, §§ 40, 111 SGB V mit Hilfe von Fachkräften Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erbringt, soweit diese Fachkräfte die in dem Versorgungsvertrag benannte Qualifikation haben11.

Die vom Finanzamt hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Die angefochtene Vorentscheidung weicht nicht von dem BFH, Urteil in BFHE 237, 263, BStBl II 2012, 623 ab.

Ist -wie hier- die erforderliche berufliche Qualifikation nachgewiesen, erstreckt sich die Steuerbefreiung auf sämtliche erbrachten Heilbehandlungsleistungen12. Anders als das Finanzamt meint, lässt sich die einmal nachgewiesene berufliche Qualifikation nicht teilen, soweit die nämlichen Leistungen -wie hier- auf Basis der IV-Verträge und außerhalb der IV-Verträge erbracht wurden.

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Vor diesem Hintergrund hat der BFH mit Urteil in BFHE 237, 263, BStBl II 2012, 623 den Rechtsstreit an das Finanzgericht zurückverwiesen und diesem (nur) aufgegeben festzustellen, ab welchem Zeitpunkt dem dortigen Kläger die Berechtigung zur Teilnahme an den IV-Verträgen erteilt worden war. Weitere Feststellungen hatte das Finanzgericht nicht zu treffen, insbesondere nicht zu der Frage, welche bzw. in welchem Umfang dort Leistungen in Bezug auf IV-Verträge erbracht worden waren.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. Juli 2017 – XI R 3/15

  1. i.d.F. vor dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16.07.2015[]
  2. vgl. EuGH, Urteil Future Health Technologies vom 10.06.2010 – C-86/09, EU:C:2010:334, Umsatzsteuer-Rundschau 2010, 540, Rz 26 f.[]
  3. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 19.12 2002 – V R 28/00, BFHE 201, 330, BStBl II 2003, 532; vom 01.04.2004 – V R 54/98, BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681; vom 01.10.2014 – XI R 13/14, BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451, Rz 16[]
  4. vgl. EuGH, Urteile Unterpertinger vom 20.11.2003 – C-212/01, EU:C:2003:625, BFH/NV 2004, Beilage 2, 111, Rz 35; D’Ambrumenil und Dispute Resolution Services vom 20.11.2003 – C-307/01, EU:C:2003:627, BFH/NV 2004, Beilage 2, 115, Rz 53[]
  5. EuGH, Urteil L.u.P. vom 08.06.2006 – C-106/05, EU:C:2006:380, BFH/NV 2006, Beilage 4, 442, Rz 27; BFH, Urteil vom 12.08.2004 – V R 27/02, BFH/NV 2005, 583[]
  6. vgl. dazu allgemein EuGH, Urteil Solleveld u.a. vom 27.04.2006 – C-443/04 und – C-444/04, EU:C:2006:257, BFH/NV 2006, Beilage 3, 299; BFH, Urteile in BFHE 207, 381, BStBl II 2005, 227; vom 11.11.2004 – V R 34/02, BFHE 208, 65, BStBl II 2005, 316; in BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451, Rz 20[]
  7. vgl. hierzu z.B. BFH, Urteile vom 30.04.2009 – V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679; in BFHE 237, 263, BStBl II 2012, 623, Rz 40[]
  8. vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132, BStBl II 2000, 155[]
  9. i.d.F. vor dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16.07.2015, BGBl I 2015, 1211[]
  10. BFH, Urteil in BFHE 237, 263, BStBl II 2012, 623, Rz 69[]
  11. vgl. BFH, Urteile vom 25.11.2004 – V R 44/02, BFHE 208, 80, BStBl II 2005, 190, unter II. 2.c, Rz 21 f.; in BFHE 237, 263, BStBl II 2012, 623, Rz 43, 69[]
  12. vgl. Michel, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2012, 893[]
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