Erstattet der erste Unternehmer in einer Lieferkette dem letzten Abnehmer einen Teil des von diesem gezahlten Leistungsentgelts durch nachträglich ausgezahlte Gutschriften, ist dessen Vorsteuerabzug nicht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG in der bis zum 15. Dezember 2004 gültigen Fassung zu berichtigen.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG wird der Umsatz bei Lieferungen und sonstigen Leistungen nach dem Entgelt bemessen; nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG ist Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten (abzüglich der Umsatzsteuer). Hat sich diese Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert, so haben nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG a.F. der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG a.F.) und der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F.) entsprechend zu berichtigen.

Erstattet der erste Unternehmer in einer Lieferkette dem letzten Abnehmer einen Teil des von diesem gezahlten Leistungsentgelts oder gewährt er ihm einen Preisnachlass, mindert sich dadurch die Bemessungsgrundlage für den Umsatz des ersten Unternehmers [1]. Dieser konnte daher den für seinen Umsatz an seinen Abnehmer der nächsten Stufe geschuldeten Steuerbetrag nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG a.F. zu seinen Gunsten berichtigen [2]. Der von diesem Abnehmer an dessen (weiteren) Abnehmer ausgeführte Umsatz ist hiervon nicht betroffen.
Entgegen der von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung [3] kann § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. nicht richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass Unternehmer im Sinne dieser Vorschrift (= „Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist“) auch der ist, an den der Umsatz, dessen Bemessungsgrundlage sich geändert hat, zwar nicht ausgeführt wurde, der aber Leistungsempfänger auf einer späteren Stufe innerhalb einer Lieferkette war [4].
Die Rechtsprechung ist sowohl nach nationalem [5] als auch nach Unionsrecht [6] verpflichtet, den Sinn und Zweck einer Norm unter Berücksichtigung ihrer Einordnung in das Gesetz und damit ihres systematischteleologischen Zusammenhangs zu ermitteln. Ein Gericht hat sich bei der Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen auszurichten [7].
Die hiernach gebotene richtlinienkonforme Auslegung kommt nur in Betracht, wenn es im konkreten Fall verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gibt [8]. Lässt der Gesetzestext mehrere Auslegungen zu und ist nur eine mit dem Unionsrecht vereinbar, so ist wie bei der verfassungskonformen Auslegung im Hinblick auf das Grundgesetz- der Auslegung der Vorzug zu geben, nach der die Norm nicht als unionsrechtswidrig einzustufen ist [9].
Eine andere richtlinienkonforme Auslegung des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. ist nach vorgenannten Grundsätzen nicht möglich. Eine solche Auslegung geht über Wortlaut und Wortsinn des Gesetzestextes hinaus. Der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. (Vorsteuerberichtigung bei dem „Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist“) ist eindeutig. Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei dem letzten Abnehmer wäre danach nur bei einer Änderung der Bemessungsgrundlage für den zwischen ihm und seinem (vorhergehenden) Lieferanten ausgeführten Umsatz vorzunehmen; das Entgelt für diesen Umsatz ist aber unverändert [10]. Diese Regelung ist mithin nicht auslegungsfähig [11]. Das für die Klägerin günstigere nationale Recht geht in diesem Fall dem Unionsrecht vor [12].
Über seinen Wortlaut hinaus ist § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. nicht anzuwenden. Einer teleologischen Extension steht entgegen, dass der Gesetzgeber bis zur Änderung des § 17 Abs. 1 UStG durch das EURLUmsG mit Wirkung ab 16.12.2004 es in Kenntnis der Problematik- unterlassen hatte, die nach Art.20 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Maßnahmen bei Rabattgewährungen außerhalb einer Lieferkette wie im Streitfall- in nationales Recht umzusetzen.
Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird nach Art.20 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt, „wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben, insbesondere bei … erlangten Rabatten …“
Hierzu führte der EuGH für den Fall, dass eine Vergütung nicht an den Leistungsempfänger des Rabattgewährenden, sondern an einen anderen zum Vorsteuerabzug berechtigten Abnehmer einer Lieferkette gewährt wird, der die Ware für sein Unternehmen verwendet, aus, „ein Vorsteuerüberhang, der sich aus der nachträglichen Erstattung eines Gutscheins ergäbe, [kann] dadurch verhindert werden, dass bei dem Endabnehmer eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 77/388/EWG vorgenommen wird. Diese Vorschrift sieht nämlich vor, dass der ursprüngliche Vorsteuerabzug berichtigt werden kann, wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben“ [13].
Eine dementsprechende Vorsteuerberichtigung war im UStG ursprünglich nicht vorgesehen. Erst mit § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG i.d.F. des EURLUmsG wurde Art.20 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG insoweit in nationales Recht umgesetzt und eine Berichtigung der abgezogenen Vorsteuer für den Fall angeordnet, dass ein anderer Unternehmer als der, für den der Umsatz ausgeführt wurde, durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich begünstigt wird.
Sowohl die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs [14] als auch die Finanzverwaltung [15] gingen hinsichtlich § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. davon aus, dass sich eine Entgeltminderung nur in der jeweiligen Leistungsbeziehung ergeben könne.
Die Bundesregierung teilte zum Anwendungsbereich des § 17 Abs. 1 UStG a.F. in ihrem Antwortschreiben vom 10.11.1992 auf eine Anfrage der Europäischen Kommission mit, dass „Voraussetzung für eine Berichtigung der Steuer und Vorsteuer nach § 17 Abs. 1 UStG … eine Änderung der Bemessungsgrundlage für den Umsatz des Lieferers an seinen unmittelbaren Abnehmer“ sei [16].
Auch nach Ergehen der EuGH-Urteile „Elida Gibbs“ [17] und „Argos Distributors Ltd.“ [18] vertrat die deutsche Regierung noch 2002 im Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union die Ansicht, dass eine Verminderung der Besteuerungsgrundlage des Herstellers in den Fällen, in denen der Hersteller und der, dem der Gutschein letztlich erstattet werde, nicht in einer unmittelbaren Vertragsbeziehung zueinander stünden, dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer widerspreche; deshalb habe sie das einschlägige nationale Recht nicht an die Entscheidung des EuGH im Urteil Elida Gibbs [19] angepasst [20]. Gegen den Neutralitätsgrundsatz werde auch verstoßen, wenn von einer formellen Berichtigung der Besteuerungsgrundlage des Herstellers, die auch den Vorsteuerabzug des Einzelhändlers berühre, abgesehen werde, da die Steuerpflichtigen nur bei einem System, bei dem sich die Steuerschuld des Lieferanten und der Vorsteuerabzug des Abnehmers betragsmäßig entsprächen, nicht von der Mehrwertsteuer belastet würden [21].
Hiernach ist nicht davon auszugehen, dass eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs für einen Fall wie diesen bereits durch § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. getroffen gewesen wäre. Der Vorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG kommt mithin rechtsbegründende Funktion zu.
Soweit in den Gesetzesmaterialien zu Art. 5 Nr. 12 des EURLUmsG [22] ausgeführt wird, „§ 17 UStG ist klarstellend dahin zu ergänzen, dass sich die Bemessungsgrundlage bei dem Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt und den finanziellen Aufwand für die Vergütung des Gutscheins trägt, mindert, während bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, der Vorsteuerabzug unverändert bleibt“, ergibt sich nichts anderes. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber bewusst- jahrelang davon abgesehen hat, § 17 UStG an die EuGH-Rechtsprechung im Urteil Elida Gibbs [17] anzupassen, kann vor einer bloßen „Klarstellung“ der Rechtslage durch § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG keine Rede sein.
Soweit der V. Senat des Bundesfinanzhofs in einem Urteil, das Preisnachlässe einer Einkaufsgenossenschaft gegenüber ihren Mitgliedern betrifft, zum Preisnachlass des ersten Unternehmers einer Lieferkette an den Zwischenhändler ausgeführt hat, dass sich beim Empfänger des Preisnachlasses auch im entsprechenden Umfang der Vorsteuerabzug mindere bzw. im entsprechenden Umfang zu berichtigen sei [23], handelt es sich um ein nicht entscheidungserhebliches obiter dictum, dem der – hier entscheidende IX. – Senat aus den dargelegten Gründen nicht folgt und das auch keine Vorlage an den Großen Senat des Bundesfinanzhofs nach § 11 Abs. 2 FGO wegen Abweichung gebietet [24].
Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall war der Vorsteuerabzug auch nicht nach § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG i.d.F. des Art. 5 Nr. 14 Buchst. a EURLUmsG zu berichtigen, da alle umsatzsteuerrelevanten Vorgänge (Rabattgewährung) vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des EURLUmsG am 16.12.2004 (Art. 22 Abs. 1 des am 15.12.2004 verkündeten EURLUmsG) lagen. Da der Gesetzgeber eine rückwirkende Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG nicht vorgesehen hat, kann diese Regelung nur auf Sachverhalte Anwendung finden, die nach dem 15.12.2004 verwirklicht worden sind.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. Februar 2012 – XI R 24/09
- vgl. EuGH, Urteile vom 24.10.1996 – C‑317/94 [Elida Gibbs], Slg. 1996, I‑5339, BStBl II 2004, 324, UR 1997, 265; C‑288/94 [Argos Distributors Ltd.], Slg. 1996, I‑5311, UR 1997, 263; in Slg. 2002, I‑8315, BStBl II 2004, 328; BFH, Urteile vom 12.01.2006 – V R 3/04, BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479, unter II.01.b; vom 13.07.2006 – V R 46/05, BFHE 214, 463, BStBl II 2007, 186, unter II.02.; vom 13.03.2008 – V R 70/06, BFHE 221, 429, BStBl II 2008, 997, unter II.01.b aa[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479, unter II.01.b[↩]
- BMF, Schreiben in BStBl I 2004, 443, Rz 14[↩]
- vgl. Nieskens, UR 2004, 441, unter II.04.; a.A. ders. in UR 2004, 640; ders. in UR 2005, 57, unter III.03.c cc; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 17 Rz 53; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 17 Rz 139[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 15.04.2010 – IV R 5/08, BFHE 229, 524, BStBl II 2010, 912, unter II.02.b bb, m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 27.11.2003 C497/01 Zita Modes, Slg.2003, I14393, BFH/NV Beilage 2004, 128, Rz 34, m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 11.07.2002 – C‑62/00 [Marks & Spencer], Slg. 2002, I‑6325, UR 2002, 436, Rz 24, m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 02.04.1998 – V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter II.03.b; vom 22.01.2004 – V R 41/02, BFHE 204, 371, BStBl II 2004, 757, unter II.01.; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz 246, m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 08.09.2010 – XI R 40/08, BFHE 231, 343, BStBl II 2011, 661, unter II.04.; vom 29.06.2011 – XI R 15/10, BFHE 233, 470, BStBl II 2011, 839, unter II.2.; zur verfassungskonformen Auslegung vgl. Klein/Gersch, AO, 10. Aufl., § 4 Rz 33, m.w.N.[↩]
- vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 17 Rz 139; ferner BFH, Urteil in BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479, unter II.1.b[↩]
- vgl. Nieskens, UR 2004, 441, unter II.4.[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 25.11.2004 – V R 4/04, BFHE 208, 470, BStBl II 2005, 415, unter II.A.4.c, m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteil in Slg.2002, I‑8315, BStBl II 2004, 328, Rz 66[↩]
- vgl. noch BFH, Beschluss vom 14.04.1983 – V B 28/81, BFHE 138, 113, BStBl II 1983, 393[↩]
- vgl. noch BMF, Schreiben vom 25.05.1998 – IV C 3 S 7200- 29/98, BStBl I 1998, 627[↩]
- vgl. EuGH, Urteil in Slg.2002, I8315, BStBl II 2004, 328, Rz 11[↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 1996, I‑5339, BStBl II 2004, 324, UR 1997, 265[↩][↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 1996, I‑5311, UR 1997, 263[↩]
- Slg.1996, I5339, BStBl II 2004, 324, UR 1997, 265[↩]
- vgl. EuGH, Urteil in Slg. 2002, I‑8315, BStBl II 2004, 328, Rz 17 bis 20, 34[↩]
- vgl. EuGH, Urteil in Slg.2002, I‑8315, BStBl II 2004, 328, Rz 36[↩]
- BR-Drucks 605/04, 70[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 221, 429, BStBl II 2008, 997, unter II.1.b aa[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 09.02.2011 – XI R 35/09, BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 11 Rz 11, m.w.N.[↩]