Bauträger, die eigene Grundstücke bebauen, erbringen keine bauwerksbezogene Werklieferung, so dass kein Übergang der Steuerschuldnerschaft erfolgt. Unterwirft ein Bauunternehmer seine Bauleistungen – im Vertrauen auf die seinerzeit gegenteilige Auffassung der Finanzverwaltung – nicht der Umsatzsteuer, besteht für ihn nach Ansicht des Finanzgerichts Düsseldorf gleichwohl kein Vertrauensschutz.

Mit dieser Entscheidung stellt sich das Finanzgericht Düsseldorf gegen das Finanzgericht Berlin-Brandenburg, das in einem gleichgelagerten Fall dem Bauunternehmer einen Vertrauensschutz zugebilligt hatte1.
In dem hier vom Finanzgericht Düsseldorf entschiedenen Fall hatte die Bauunternehmerin in den Streitjahren 2009 und 2010 Bauleistungen an eine Bauträger-GmbH erbracht und diese unter Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft der Leistungsempfängerin nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Mit Urteil vom 22.08.20132 entschied der Bundesfinanzhof jedoch – abweichend von der damaligen Auffassung der Finanzverwaltung, dass Bauträger, die eigene Grundstücke bebauen, keine bauwerksbezogene Werklieferung erbringen und daher kein Übergang der Steuerschuldnerschaft erfolgt. Vor diesem Hintergrund beantragte die Bauträger-GmbH die Erstattung der für Bauleistungen der Bauunternehmerin abgeführten Umsatzsteuer. Infolgedessen änderte das Finanzamt die gegen die Bauunternehmerin wirkenden (bestandskräftigen) Steuerfestsetzungen für die Jahre 2009 und 2010 und setzte eine höhere Umsatzsteuer fest. Dabei berief es sich auf eine ents prechende (Änderungs-)Bestimmung, die der Gesetzgeber als Reaktion auf das Urteil des Bundesfinanzhofs zur Vermeidung von Steuerausfällen in Altfällen in das Umsatzsteuergesetz aufgenommen hat. Die Bauunternehmerin legte dagegen Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung; sie machte Vertrauensschutz geltend.
Der AdV-Antrag hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht Düsseldorf hat – jedenfalls für Zwecke des einstweiligen Rechtsschutzes – angenommen, dass sich das Finanzamt zu Recht auf die hier einschlägige Bestimmung des Umsatzsteuergesetzes berufen habe. Insbesondere Vertrauensschutzaspekte stünden der Nachbelastung von Umsatzsteuer nicht entgegen, da diese durch die Neuregelung eingeschränkt seien. Hierin dürfte auch keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung liegen. Vielmehr habe der Gesetzgeber das Vertrauensschutzprinzip im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit in noch zulässiger Weise zugunsten der Rechtsrichtigkeit eingeschränkt. Das Gesetz eröffne der Bauunternehmerin insbesondere die Möglichkeit, den zivilrechtlichen Anspruch gegenüber dem Bauträger auf die (noch ausstehende) Zahlung der Umsatzsteuer an das Finanzamt abzutreten; dieses sei nach summarischer Prüfung – u nabhängig von der Werthaltigkeit des Anspruchs – zur Annahme der Abtretung verpflichtet.
Nach § 69 Abs.3 Satz 1 i.V.m. Absatz 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Prüfung der Sach- und Rechtslage sind der unstreitige Sachverhalt, die gerichtsbekannten Tatsachen und die präsenten Beweismittel zugrunde zu legen3.
Bei der ausreichenden, aber auch erforderlichen summarischen Prüfung hat das Finanzamt zu Recht die bestandskräftigen und nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 mit den angefochtenen Änderungsbescheiden vom 08.04.2015 gemäß § 27 Abs.19 UStG in der Fassung vom 22.12.20144 geändert.
Die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 gemäß § 27 Abs.19 UStG sind bei summarischer Prüfung erfüllt.
Gemäß § 27 Abs.19 Satz 1 UStG ist für den Fall, dass Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen sind, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15.02.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt, die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein.
Es ist unstreitig, dass sowohl die Bauunternehmerin als Unternehmerin als auch T als Leistungsempfänger zunächst davon ausgingen, dass T gemäß § 13b UStG die Umsatzsteuer für die in den Jahren 2009 und 2010 in Zusammenhang mit dem Bauvorhaben „A“ von der Bauunternehmerin erbrachten Bauleistungen schuldete. Nach Bekanntwerden des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22.08.20135 stellte sich diese Annahme als unrichtig heraus, weil T als Bauträger nicht selber Werklieferungen ausführte. T hat nunmehr mit Schreiben vom 01.08.2014 die Erstattung dieser Umsatzsteuer vom Finanzamt gefordert.
Hinsichtlich der Höhe der auf die von der Bauunternehmerin erbrachten Bauleistungen entfallende Umsatzsteuer, gegen die im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben werden, wird auf den Bericht über die bei der Bauunternehmerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 01.12.2014 Bezug genommen.
Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 im Bescheiden vom 08.04.2015 stand bei summarischer Prüfung § 169 Abs. 1 AO nicht entgegen. Die Festsetzungsfrist dürfte bei beiden Steuerfestsetzungen noch nicht abgelaufen sein.
Die vierjährige Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahres 2010 endete gemäß §§ 169 Abs. 2 Nr. 2; 170 Abs. 2 Nr.1 AO mit Ablauf des Jahres 2015, weil die Bauunternehmerin ihre Umsatzsteuerjahreserklärung im Jahr 2011 einreichte.
Die vierjährige Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahre 2009 wäre regulär zum 31.12.2014 abgelaufen, sie war jedoch gemäß § 171 Abs. 4 AO durch den Beginn der am 04.11.2014 angeordneten Umsatzsteuer-Sonderprüfung, die sich ausdrücklich auf die Umsatzsteuer des Jahres 2009 bezog, in ihrem Ablauf gehemmt.
Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 dürften die Grundsätze des Vertrauensschutzes nicht entgegen stehen.
Der Änderung nach § 27 Abs.19 UStG dürfte die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO nicht entgegenstehen.
Die Vertrauensschutzregeleung des § 173 Abs. 2 AO bezieht sich ausschließlich auf Änderungen iSv § 173 Abs. 1 AO, nicht aber Änderungen, die aufgrund anderer Vorschriften erfolgen6.
Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 gemäß § 27 Abs.19 UStG dürfte auch § 176 AO nicht entgegen stehen.
Hinsichtlich des Streitjahres 2009 liegen die Voraussetzungen für eine Änderungssperre des § 176 Abs. 2 AO bei summarischer Prüfung nicht vor, so dass es insoweit auf die Frage, ob der Gesetzgeber die Anwendung des § 176 Abs. 2 AO in verfassungs- und europarechtlich zulässiger Weise ausgeschlossen hat, nicht ankommen dürfte.
Gemäß § 176 Abs. 2 AO darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass einen allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.
Für das Streitjahr 2009 war anwendbar das BMF-Schreiben vom 31.03.20047. Hiernach vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass Bauträger mit ihren unter das Grunderwerbsteuergesetz fallenden Umsätzen keine Bauleistungen erbringen und damit ein Übergang der Steuerschuldnerschaft für bezogene Bauleistungen ausscheidet8. Diese Auffassung entspricht der des Bundesfinanzhofs im Urteil vom 22.08.20139, wonach der das eigene Grundstück bebauende Bauträger keine bauwerksbezogene Werklieferung erbringt und daher ein Übergang der Steuerschuldnerschaft ausgeschlossen ist. Erst mit BMF, Schreiben vom 16.10.200910 stellt die Finanzverwaltung für Umsätze, die nach dem 31.12.2009 ausgeführt werden, für die Beurteilung von Bauträgerleistungen nicht auf die Grunderwerbsteuerbarkeit des Vorgangs, sondern darauf ab, ob die Bauträgerleistung als solche als Werklieferung iSv § 3 Abs. 4 UStG zu qualifizieren sei8. Bei summarischer Prüfung dürften die Bauunternehmerin und T für das Streitjahr 2009 auch bei Zugrundelegung der für diesen Veranlagungszeitraum geltenden Verwaltungsvorschrift zu Unrecht von einem Übergang der Steuerschuldnerschaft gemäß § 13b UStG a.F. für die Abschlagsrechnung vom 23.11.2009 ausgegangen sein, unabhängig davon, ob im Übrigen noch mehr als 10 % der Umsätze des T der Umsatzsteuer unterlagen.
Hinsichtlich des Streitjahres 2010 liegen bei summarischer Prüfung zwar die Voraussetzungen des § 176 Abs. 2 AO vor, gemäß § 27 Abs.19 Satz 2 UStG dürfte die Anwendung dieser Norm jedoch ausgeschlossen sein.
In diesem Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO liegt bei summarischer Prüfung keine unzulässige Rückwirkung.
Bei summarischer Prüfung folgt das Finanzgericht nicht der Auffassung des Finanzgericht Berlin-Brandburg11, dass § 27 Abs.19 Satz 2 UStG eine sog. echte Rückwirkung entfaltet und damit gegen das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen verstößt, welches aus Art.20 Abs. 3 GG abgeleitet wird.
Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Da eine Norm erst mit der Verkündung rechtlich existent ist, muss der von einem Gesetz Betroffene bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird. Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist dabei das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert12.
Mit der Einführung der Änderungsmöglichkeit des § 27 Abs.19 UStG unter Ausschluss der Vertrauensschutzregelung des § 176 AO dürfte der Gesetzgeber keine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abgeändert haben.
Der Bundesfinanzhof hat mit seinem Urteil vom 22.08.201313 erkannt, dass abweichend von der bisherigen Verwaltungsauffassung14 eine Verlagerung der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen gemäß § 13b UStG auf einen Bauträger als Leistungsempfänger tatsächlich nicht eintritt. Als Reaktion auf das für den Fall, dass der Bauträger unter Hinweis auf dieses Urteil die Erstattung der zu Unrecht gemäß § 13b UStG einbehaltenen Umsatzsteuer begehrt, die korrespondierende Umsatzsteuerfestsetzung des Bauunternehmers aber nach allgemeinen Regeln nicht mehr änderbar ist, drohende „fiskalische Fiasko“15, hat der Gesetzgeber die Änderungsmöglichkeit des § 27 Abs.19 UStG eingeführt.
Der Gesetzgeber dürfte durch § 27 Abs.19 UStG das im Steuerrecht recht schwach ausgeprägter Vertrauensschutzprinzip zu Gunsten der Rechtsrichtigkeit16 in noch zulässiger Weise weiter eingeschränkt haben.
Der Gesetzgeber ist gerade im Steuerrecht in eng umgrenzten Fallgruppen nicht gehindert, dem Gedanken der Rechtsrichtigkeit Vorrang vor einem etwaigen Vertrauensschutz einzuräumen, ihm kommt bei der Frage nach der Zulässigkeit der Aufhebung oder Änderung auch bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen eine umfassende Befugnis zur Ausgestaltung des hierbei auftretenden Konflikts zwischen Rechtssicherheit, Rechtsfrieden, Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu17.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Erlass von Gesetzen mit echter Rückwirkung grundsätzlich unzulässig. Belastende Steuergesetze dürfen ihre Wirksamkeit daher grundsätzlich nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken oder schutzwürdiges Vertrauen ohne hinreichende Rechtfertigung anderweitig enttäuschen. Demgegenüber sind Gesetze mit unechter Rückwirkung, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, grundsätzlich zulässig, auch wenn sie damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwerten. Allerdings können sich auch im Fall der unechten Rückwirkung aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen für die Zulässigkeit solcher Gesetze ergeben. Diese sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen17.
Auch im Verwaltungsverfahren ist hiernach vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der normativen Vorgaben der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten. Für den Bürger muss eine gewisse Vorhersehbarkeit staatlicher Entscheidungen gegeben sein, die ihm damit die Möglichkeit gewährt, sich auf die staatlichen Entscheidungen einzustellen und einzurichten. Die gebotene Beachtung des Vertrauensschutzes führt aber nicht in jedem Fall zu dem Ergebnis, dass jegliche einmal erworbene Position ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muss. Erforderlich ist vielmehr eine an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmende Prüfung, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls, wie etwa die Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, oder die Interessen des Einzelnen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet und auf deren Fortbestand er vertraut hat, den Vorrang hat17.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze dürfte das Vertrauensschutzprinzip durch § 27 Abs.19 UStG bei summarischer Prüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit zugunsten der Rechtsrichtigkeit in noch zulässiger Weise eingeschränkt worden sein. § 27 Abs.19 UStG betrifft den Fall, dass sich der Vertragspartner des Steuerpflichtigen, ein Bauträger, für diese vor Februar 2014 an ihn ausgeführte Umsätze auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 22.08.201318 beruft und die Erstattung der zu Unrecht gemäß § 13b UStG einbehaltenen Umsatzsteuer begehrt. Die Regelung dürfte durch die hiermit verbundene Gefahr von Steuerausfällen in diesen Altfällen hinreichend gerechtfertigt sein. In diesem Zusammenhang dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass in Fällen bereits festsetzungsverjährter Umsatzsteuerfestsetzungen auch nach § 27 Abs.19 UStG keine Änderung mehr möglich ist.
Dem berechtigten Interesse des auf die geltenden Verwaltungsanweisungen zur Frage der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen an Bauträger vertrauenden Bauunternehmers wie der Bauunternehmerin dürfte durch § 27 Abs.19 Sätze 3 und 4 UStG in Zusammenhang mit den hierzu ergangenen Verwaltungsanweisungen hinreichend Rechnung getragen werden, zumal die Frage des Vertrauensschutzes im Gesetzgebungsverfahren ausführlich diskutiert wurde19.
Gemäß § 27 Abs.19 Sätze 3 und 4 UStG kann das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt auf Antrag zulassen, dass der leistende Unternehmer dem Finanzamt den ihm gegen den Leistungsempfänger zustehenden Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer abtritt, wenn die Annahme der Steuerschuld des Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung beruhte und der leistende Unternehmer bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mitwirkt. Die Abtretung wirkt hiernach an Zahlungs statt, wenn
- der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger eine erstmalige oder geänderte Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ausstellt,
- die Abtretung an das Finanzamt wirksam bleibt,
- dem Leistungsempfänger diese Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis angezeigt wird, dass eine Zahlung an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung mehr hat, und
- der leistende Unternehmer seiner Mitwirkungspflicht nachkommt.
Hierdurch wird der Bauunternehmerin die Möglichkeit eröffnet, den zivilrechtlichen Anspruch gegenüber dem Bauträger auf die (noch ausstehende) Zahlung der Umsatzsteuer an das Finanzamt an Zahlung statt abzutreten. Bei summarischer Prüfung ist das Finanzamt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs.19 Sätze 3 und 4 UStG zur Annahme der Abtretung verpflichtet20. Für den Fall, dass der Bauunternehmer berichtigte Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer erteilt, die erfolgte Abtretung dem Bauträger angezeigt wird und der Bauunternehmer die berichtigten Rechnungen in Kopie dem Finanzamt übermittelt, muss das Finanzamt nach dem Vortrag des Antragsgegners die Abtretung annehmen mit der Folge, dass ausschließlich das Finanzamt das Risiko der zivilrechtlichen Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Leistungsempfänger trägt.
Ausweislich der Verwaltungsanweisungen der OFD Frankfurt am Main21 darf das Finanzamt die Annahme der Abtretung, und damit die Wirkung des § 47 AO hinsichtlich der auf der Änderung des Umsatzsteuerbescheides nach § 27 Abs.19 UStG beruhenden Umsatzsteuernachforderung nur in Ausnahmefällen verweigern. Zu diesen Ausnahmefällen gehört weder die zivilrechtliche Problematik der Bruttovereinbarungen, Abtretungsverbote oder die auf der Hand liegenden Verjährungsfragen. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners besteht aufgrund der Ermessensreduzierung auf Null eine Verpflichtung zur Annahme der Abtretung für die Finanzverwaltung, sobald die zivilrechtliche Umsatzsteuernachforderung aufgrund berichtigter Rechnungen entstanden ist, auf die Werthaltigkeit der Forderung kommt es nicht an22.
Bei summarischer Prüfung erscheint diese Regelung als hinreichender Interessenausgleich des Widerstreits, der dadurch entsteht, dass sich ein Bauträger auf die unrichtige Anwendung des § 13b UStG beruft und sich gegen einen bereits festgesetzten Steueranspruch zur Wehr setzt, mit der Folge, dass ein steuerpflichtiger Vorgang tatsächlich nicht der Umsatzbesteuerung unterläge, würde nicht auf die – ebenso unrichtige – Umsatzsteuerfestsetzung des Leistenden zurückgegriffen.
Bei dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligten von Anfang an davon ausgingen, dass Umsatzsteuer anfällt. Hätte der Leistungsempfänger diese nicht als vermeintlicher Steuerschuldner an das Finanzamt abgeführt, hätte er die Gegenleistung nicht um den Steuerbetrag gekürzt. Daher dürfte Einigkeit zwischen den Beteiligten darüber bestanden haben, dass, wenn der Leistungsempfänger nicht Steuerschuldner nach § 13b UStG ist, er diesen Betrag als Teil seiner Gegenleistung dem Leistenden schuldet, weil dann dieser die Steuer dem Finanzamt schuldet23. Die zivilrechtliche Vereinbarung über die Höhe des an den Leistenden zu zahlenden Entgeltes beruhte auf einem beiderseitigen Irrtum über die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger. Nur, wenn sowohl auf Seiten des Leistungsempfängers als auch auf Seiten des Leistenden an den ursprünglichen, unrichtigen Umsatzsteuerfestsetzungen festgehalten wird, dürfte sich die Frage stellen, ob die Übertragung der Steuerschuldnerschaft zur Disposition der beteiligten Geschäftspartner stehen kann24
Die Regelung dürfte auch dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsvorhersehbarkeit genügen. Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können25.
Eine unbegrenzte Heranziehungsmöglichkeit dürfte auch der Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO nicht begründen, weil eine Änderungsmöglichkeit nach § 27 Abs.19 UStG nach Eintritt der regulären Festsetzungsverjährung, wie bereits ausgeführt, nicht mehr gegeben ist und daher nur ein genau umrissener Zeitraum der Leistungserbringung betroffen ist.
Für die Frage der Belastungsvorhersehbarkeit dürfte zu berücksichtigen sein, dass nicht die Frage der Steuerpflicht des Umsatzes, sondern die Frage der Steuerschuldnerschaft von allen Beteiligten – Leistender, Leistungsempfänger, Finanzverwaltung – unrichtig beurteilt wurde. Auch dürfte es sich bei der der Umsatzsteuerpflicht unterliegenden Bauleistung nicht um einen in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossenen Vorgang handeln. Abweichend von der ursprünglich getroffenen zivilrechtlichen Vereinbarung, dass der Leistungsempfänger die unstreitig geschuldete Umsatzsteuer für die Werklieferung an das Finanzamt entrichtet, beantragt der Leistungsempfänger nunmehr die Erstattung der in Erfüllung der Vereinbarung mit dem Werkunternehmer an das Finanzamt entrichteten Umsatzsteuer. Hierin liegt eine tatsächliche Änderung des Sachverhaltes, unabhängig davon, ob diese – im Verhältnis zum Bauunternehmer – als abredewidrig oder – im Verhältnis zum Fiskus – als Geltendmachung der korrekten Besteuerung nach dem Gesetz zu beurteilen ist26. Hinzu kommt, dass der Leistende seine Zahlungsverpflichtung durch Abtretung seines Anspruchs gegen den Leistungsempfänger auf den Teil des Entgeltes, welcher der Umsatzsteuer entspricht, genügen kann, und das Finanzamt regelmäßig zur Annahme der Abtretung verpflichtet ist, so dass die Erfüllungswirkung des § 47 AO eintritt. Der Gesetzgeber dürfte damit eine zumutbare Regelung getroffen haben, wie der Leistende eine finanzielle Belastung aus den Änderungsanträgen des Leistungsempfängers vermeiden kann27. Auch mit einer Zinsbelastung des Leistenden ist nach dem unstreitigen Vortrag des Antragsgegners nicht zu rechnen28.
Die nach deutschem Verfassungsrecht gebotenen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit, entsprechen den gleichlautenden europarechtlichen, die für alle Rechtsakte der Union gelten. Für den europarechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Anwendung des reverse-charge-Verfahrens ist zu berücksichtigen, dass dieses im Regelfall keine finanzielle Belastung bei den von diesen Maßnahmen betroffenen Personen bewirkt, während es zum anderen ermöglicht, beträchtliche Mehrwertsteuerausfälle zu verhindern29. Damit ist das Ziel des Gesetzgebers, beträchtliche Mehrwertsteuerausfälle zu verhindern, im Rahmen der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, auch wenn eine Abbedingung des Vertrauensschutzes ausschließlich nach Kassenlage mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht mehr vereinbar sein dürfte30.
Das Finanzgericht Düsseldorf hat gegen seine Entscheidung die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Die Beschwerde war zum einen aufgrund der weitreichenden Auswirkungen des § 27 Abs.19 UStG und zum anderen aufgrund der abweichenden Beurteilung der Frage, ob der Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO gegen das verfassungs- und europarechtlich gebotene Gebot der Rechtssicherheit verstößt, durch das Finanzgericht Berlin-Brandenburg30 gemäß §§ 128 Abs. 3; 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 31. August 2015 – 1 V 1486/15
- FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 -5 V 5026/15[↩]
- BFH, Urteil vom 22.08.2013 – V R 37/10[↩]
- stdg. Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des BFH vom 14.05.2008 – V B 227/07, BFH/NV 2008, 1371 mwN[↩]
- Art. 7 Nr. 9 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 -KroatAnpG, BGBl I 2014, 1266[↩]
- BFH, Urteil vom 22.08.2013 – V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128[↩]
- BFH, Urteil vom 04.11.1992 – XI R 32/91, BFHE 170, 291; BStBl II 1993, 425[↩]
- BMF, Schreiben vom 31.03.2004 – IV D 1-S 7279-107/04, BStBl I 2004, 453[↩]
- vgl. Lippross in UR 2014, 717, 719[↩][↩]
- BFH, Urteil vom 22.08.2013 – V R 37/10, BFHE 243, 20; BStBl II 2014, 128[↩]
- BMF, Schreiben vom 16.10.2009 – IV B 9-S 7279/0 in BStBl I 2009, 1298[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2015 – 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl II 2011, 76; FG Berlin-Brandburg, Beschluss vom 05.06.2015 – 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538[↩]
- BFH, Urteil vom 22.8.2013 – V R 37/10, BFHE 243, 20; BStBl II 2014, 128[↩]
- vgl. dazu BMF, Schreiben vom 16.10.2009 – IV B 9 – S7279/0, BStBl I 2009, 1298[↩]
- vgl. Wäger in UR 2014, 81; Sterzinger in UR 2014, 797; ders. in UR 2015, 293[↩]
- vgl. dazu Loose in Tipke/Kruse AO § 176 Tz 1[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 10.06.2009 – 1 BvR 571/07, HFR 2009, 921[↩][↩][↩]
- BFH, Urteil vom 22.08.2013 – V R 37/10, BStBl II 2014, 128[↩]
- vgl. Deutscher Bundestag (Finanzausschuss), Wortprotokoll der 12. Sitzung vom 23.06.2014, Protokoll-Nr. 8/12, S.20 ff[↩]
- vgl. hierzu OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom 19.06.2015 S 7279 A-14-St 113, Anlage 1: Arbeitshilfe für die hessischen Finanzämter unter 1.02.3 (Seite 12), Anlage 2: bundeseinheitlich abgestimmte Arbeitshilfe unter 2.2, 2.02.1 (Seiten 24, 25) [↩]
- OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom 19.06.2015 – S 7279 A-14-St 113, Anlage 1: Arbeitshilfe für die hessischen Finanzämter unter 1.02.3 (Seite 12), Anlage 2: bundeseinheitlich abgestimmte Arbeitshilfe unter 2.2, 2.02.1 (Seiten 24, 25) [↩]
- vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter § 13b nF A 32; Sterzinger in UR 2014, 797, 810[↩]
- Stadie in Rau/Dürrwächter UStG § 13b nF A 35[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteil vom 22.08.2013 – V R 37/10, BFHE, BStBl II 2014, 128; FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 – 5 V 5026/15[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08, BVerfGE 133, 143[↩]
- vgl. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 – 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538; Lippross in UR 2014, 717, 722 f[↩]
- vgl. Lippross in UR 2014, 717, 722); Sterzinger in UR 2014, 797, 811[↩]
- vgl. OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom 19.06.2015 – S 7279 A-14 St 113[↩]
- EuGH, Urteil vom 13.12.2012 – C-395/11, BLV Wohn-und Gewerbebau, DB 2012, 2911[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 – 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538[↩][↩]