Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen – und die Umsatzsteuer

Abrechnungen von Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen gegenüber Sozialversicherungsträgern, die ein Rettungsdienst (gemeinnütziger Verein) für den Träger des Rettungsdienstes und die anderen Rettungsdienste übernommen hat, können „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen“ i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL sein, wenn der Sozialversicherungsträger diese Bündelung verlangt. Die Anerkennung als „Einrichtung mit sozialem Charakter“ i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL auch bezüglich solcher Abrechnungsleistungen kann darin liegen, dass der Sozialversicherungsträger ein solches Abrechnungsverfahren von den Leistungserbringern verlangt und entsprechende Vereinbarungen geschlossen werden, die auf gesetzlicher Grundlage beruhen.

Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen – und die Umsatzsteuer

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof auf die Klage eines anerkannter Vereins der freien Wohlfahrtspflege. Dieser ist als gemeinnützig und mildtätig i.S. der §§ 51 bis 68 AO anerkannt und unterliegt mit seinen Einkünften grundsätzlich nicht der Besteuerung. Er unterhält diverse wirtschaftliche Geschäftsbetriebe sowie Zweckbetriebe. Seit dem Jahr 1995 ist der Verein als Leistungserbringer im öffentlichen Rettungsdienst tätig. Dies wird in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem Landkreis und dem Verein geregelt. Gemäß einer Zusatzvereinbarung aus dem Jahr 1998 zu § 7 des öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen dem Landkreis und dem Verein und dem 1. Nachtrag zu diesem Vertrag aus dem Jahr 1999 wickelt der Verein die Abrechnung der Rettungsdienstleistungen selbständig mit den Kostenträgern ab.

Die Landkreise sind Träger des öffentlichen Rettungsdienstes (§ 6 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über den Rettungsdienst für das Land Mecklenburg-Vorpommern -Rettungsdienstgesetz, RDG M-V- vom 01.07.19931; jetzt § 7 Abs. 2 Satz 2 des Rettungsdienstgesetzes Mecklenburg-Vorpommern -RDG M-V- vom 09.02.20152). Der Träger des öffentlichen Rettungsdienstes kann dessen Durchführung unter anderem juristischen Personen des Privatrechts übertragen, die ihre Leistungsfähigkeit nachgewiesen haben (§ 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 RDG M-V vom 01.07.1993; jetzt § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 RDG M-V vom 09.02.2015). Die Übertragung erfolgt durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (§ 6 Abs. 4 Satz 2 RDG M-V vom 01.07.1993; jetzt § 7 Abs. 5 RDG M-V vom 09.02.2015).

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Im Jahr 2012 verlangten die Sozialleistungsträger, dass aus Kostengründen in jedem Landkreis nur eine Abrechnungsstelle vorgehalten wird. Vor diesem Hintergrund wurde § 7 Abs. 3 des zwischen dem Landkreis und dem Verein geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages dahingehend erweitert, dass der Verein -neben der Abrechnung der eigenen Einsätze- auch die Abrechnungen der Einsätze für vier andere Leistungserbringer in den Bereichen Rettungsdienst und Krankentransport gegenüber den Kostenträgern durchführt. Als vertragliche Grundlage bestehen jeweils 3-seitige Vereinbarungen zwischen dem Träger des Rettungsdienstes, dem Verein und den anderen Leistungserbringern. Die Abrechnung des Rettungsdienstes erfolgt ausdrücklich im Auftrag des Landkreises. Im Jahr 2012 (Streitjahr) erfolgte die Abrechnung zum Teil unter Einsatz von Personal, das der Landkreis dem Verein zur Verfügung stellte.

2013 fand beim Verein eine Außenprüfung für das Streitjahr 2012 statt. Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass die Leistungen des Vereins, soweit dieser durch seine Abrechnungsstelle für andere Leistungserbringer gegenüber den Sozialleistungsträgern abgerechnet hat, nicht gemäß § 4 Nr. 18 UStG oder Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) von der Umsatzsteuer befreit seien. Das Finanzamt erließ u.a. einen entsprechend geänderten Bescheid über Umsatzsteuer 2012. Die hiergegen mit Zustimmung des Finanzamtes erhobene Sprungklage wies das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern ab3.

Auf die Revision des Vereins hat der Bundesfinanzhof zunächst das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem Verfahren „Finanzamt D“ angeordnet4. Nach Ergehen des Urteils des Unionsgerichtshofs5 zog der Bundesfinanzhof hieraus nun auch die Folgerungen für das vorliegende Verfahren und gab dem Verein Recht; er hob das finanzgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern. Das Finanzgericht konnte bei seiner Entscheidung die neuere Rechtsprechung des Unionsgerichtshof noch nicht berücksichtigen und hat die Abrechnungsleistungen des Vereins daher zu Unrecht nicht als steuerfrei angesehen; allerdings sind noch weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen:

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Ob die Abrechnungsleistungen bereits nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG als Bestandteil der Leistung „Beförderungen von Kranken und verletzten Personen mit Fahrzeugen, die hierfür besonders eingerichtet sind“, oder nach § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei sind, kann der Bundesfinanzhof offen lassen. Jedenfalls sind sie nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerbefreit. Entgegen dem Urteil des Finanzgericht erbringt der Verein auch im Hinblick auf die Abrechnungen für andere Leistungserbringer steuerbefreite Leistungen und ist auch insoweit als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.

Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen …, einschließlich derjenigen, die durch … Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“. Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind6.

Die streitbefangenen Leistungen des Vereins sind „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen“.

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine eng mit einer begünstigten Tätigkeit verbundene Leistung steuerfrei sein, wenn die Haupttätigkeit selbst eine befreite Tätigkeit ist und sowohl die Haupttätigkeit als auch die damit eng verbundene Leistung von einer der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL genannten Einrichtungen erbracht werden7. Um das Merkmal „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zu erfüllen, muss die betreffende Leistung jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein8. Das ist hier der Fall.

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Die vom Verein mit seiner Haupttätigkeit erbrachten Leistungen des Krankentransports und der Notfallrettung sind dem Grunde nach begünstigt; die Abrechnung des Vereins über diese Leistungen ist Teil derselben.

Aber auch die vom Verein erbrachten Dienstleistungen, soweit er durch seine Abrechnungsstelle für andere Leistungserbringer gegenüber den Sozialleistungsträgern abgerechnet hat, sind als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen steuerfrei.

Diese Abrechnungsleistung ist für die jeweils abgerechnete Leistung im Bereich der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlich. Dies ergibt sich aus dem Verlangen der Sozialleistungsträger im Jahr 2012, dass aus Kostengründen in jedem Landkreis nur eine Abrechnungsstelle vorzuhalten ist. Nur deshalb hatte der Verein die Abrechnung der Einsätze anderer Leistungserbringer in den Bereichen Rettungsdienst und Krankentransport gegenüber den Kostenträgern übernommen. Anderenfalls wäre die vollständige Kostenübernahme nicht zu erlangen gewesen.

Soweit das Finanzgericht insoweit eine eng mit der Sozialfürsorge verbundene Dienstleistung i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL verneint hat, weil der Verein die betreffende Abrechnungsleistung nicht gegenüber dem jeweiligen Hilfsbedürftigen erbracht hat, sondern gegenüber einem anderen Leistungserbringer, konnte es das EuGH-Urteil Finanzamt D9 noch nicht berücksichtigen. Danach hängt die Mehrwertsteuerbefreiung von Dienstleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht davon ab, an wen diese erbracht werden, sofern sie ein für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlichen Schritt darstellen und ihre Belastung mit der Mehrwertsteuer daher zwangsläufig dazu führen würde, die Kosten der genannten Umsätze zu erhöhen10. Soweit sich demgegenüber aus dem BFH-Urteil vom 01.12.201011 etwas anderes ergibt, hält der Bundesfinanzhof hieran nicht mehr fest.

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Es handelt sich bei den Abrechnungsleistungen des Vereins auch um solche einer Einrichtung, die von dem betreffenden Mitgliedstaat auch insoweit als Einrichtung mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt ist.

132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL legt weder die Voraussetzungen noch die Modalitäten einer Anerkennung des sozialen Charakters von anderen Einrichtungen als solchen des öffentlichen Rechts fest. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann, wobei die Mitgliedstaaten über ein Ermessen verfügen12.

Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich hierzu, dass die nationalen Behörden bei der Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften -seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit-, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, insbesondere wenn die privaten Wirtschaftsteilnehmer vertragliche Beziehungen zu diesen Einrichtungen unterhalten13.

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Danach handelt es sich bei dem Verein auch in Bezug auf die streitigen Abrechnungsleistungen um eine Einrichtung, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden ist. Für die hier streitigen Leistungen des Vereins gibt es im Land Mecklenburg-Vorpommern spezielle gesetzliche Regelungen zur sozialen Sicherheit (vgl. § 6 Abs. 4 RDG M-V vom 01.07.1993; jetzt § 7 Abs. 4 und Abs. 5 RDG M-V vom 09.02.2015 -Übertragungsmöglichkeit auf private juristische Personen und deren Modalitäten-). Die Übernahme der Kosten durch die Sozialleistungsträger beruht auf speziellen vertraglichen Grundlagen. Nur auf Geheiß der Sozialleistungsträger hatte es der Verein übernommen, Leistungen auch für dritte Leistungserbringer abzurechnen, um damit die volle Erstattungsfähigkeit der Kosten zu gewährleisten.

Auch ist die Steuerbefreiung nicht nach Art. 134 Buchst. b MwStSystRL ausgeschlossen. Insbesondere kommt es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen, da nach den Vorgaben der Sozialleistungsträger nur eine Abrechnungsstelle die Leistungen zu erbringen hatte. Andere Wirtschaftsteilnehmer konnten daher nicht die Abrechnungsleistungen tätigen14. Deshalb bleibt auch der Einwand des Finanzamt, dass beispielsweise Abrechnungszentren, die sich auf derartige Abrechnungen spezialisiert haben, ausgeschlossen waren, ohne Erfolg.

Die Sache ist nicht spruchreif, da das Finanzgericht, aus seiner Sicht konsequenterweise, keine Feststellungen zur Höhe der steuerfrei zu belassenden Umsätze und zu möglichen Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug getroffen hat. Dies muss es nun nachholen.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. Februar 2021 – XI R 32/20

  1. GVBl MV 1993, 623[]
  2. GVBl MV 2015, 50[]
  3. FG M-V, Urteil vom 28.08.2019 – 3 K 114/15, EFG 2020, 140[]
  4. BFH, Beschluss vom 22.07.2020 – XI R 42/19[]
  5. EuGH, Urteil vom 08.10.2020 – C-657/19, EU:C:2020:811[]
  6. vgl. EuGH, Urteil Kingscrest Associates und Montecello vom 26.05.2005 – C-498/03, EU:C:2005:322, Rz 34; BFH, Urteile vom 18.08.2005 – V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II. 2.d cc, Rz 45 und 46; vom 07.12.2016 – XI R 5/15, BFHE 256, 550[]
  7. vgl. EuGH, Urteile Kinderopvang Enschede vom 09.02.2006 – C-415/04, EU:C:2006:95, Rz 21, 22; Horizon College vom 14.06.2007 – C-434/05, EU:C:2007:343, Rz 34, 36; s.a. BFH, Beschluss vom 10.04.2019 – XI R 11/17, BFHE 264, 478, BStBl II 2019, 683, Rz 42[]
  8. vgl. EuGH, Urteil Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 31[]
  9. EU:C:2020:811[]
  10. EuGH, Urteil Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 36[]
  11. BFH, Urteil vom 01.12.2010 – XI R 46/08, BFHE 232, 232[]
  12. vgl. EuGH, Urteile Les Jardins de Jouvence vom 21.01.2021 – C-335/14, EU:C:2016:36, Rz 32 und 34; Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 43[]
  13. vgl. in diesem Sinne EuGH, Urteile Kügler vom 10.09.2002 – C-141/00, EU:C:2002:473, Rz 58; Les Jardins de Jouvence, EU:C:2016:36, Rz 35; Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 44[]
  14. s. allgemein BFH, Urteil vom 10.02.2016 – XI R 26/13, BFHE 252, 538, BStBl II 2017, 857, Rz 57[]