Behandlungsleistungen von Privatkrankenhäusern können unabhängig von sozialversicherungsrechtlichen Zulassungen umsatzsteuerfrei sein. Betreibt der Unternehmer eine private Krankenanstalt, kann er sich für die Steuerfreiheit auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL gegenüber der aufgrund eines Bedarfsvorbehalts unionsrechtswidrigen Regelung in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG i.V.m. §§ 108, 109 SGB V berufen.

Diese Entscheidung des Bundesfinanzhofs hat große Bedeutung für die Betreiber privater Krankenhäuser. Deren Leistungen sind nach den Regelungen des nationalen Rechts (§ 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG) nur steuerfrei, wenn es sich um eine Hochschulklinik, ein in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommenes Krankenhaus oder um ein Krankenhaus handelt, das über einen Versorgungsvertrag mit den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen verfügt.
Damit steht die Steuerfreiheit für Heilbehandlungsleistungen durch Privatkrankenhäuser unter einem faktischen Bedarfsvorbehalt, da die Kassenverbände Versorgungsverträge nur abschließen dürfen, wenn dies für die bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung der gesetzlich Versicherten erforderlich ist.
Dieser Bedarfsvorbehalt ist nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs mit den für den nationalen Gesetzgeber verbindlichen Vorgaben des Unionsrechts im Bereich der Mehrwertsteuer, der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, nicht vereinbar. Das Unionsrecht enthält für den nationalen Gesetzgeber keine Befugnis zur Kontingentierung von Steuerbefreiungen.
Damit sich der Betreiber eines Privatkrankenhauses auf die Steuerfreiheit nach dem Unionsrecht berufen kann, obwohl er keinen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, muss er aber über eine sog. Anerkennung verfügen. Diese kann sich daraus ergeben, dass er in nicht unerheblichem Umfang Patienten behandelt, die als gesetzlich Versicherte Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 SGB V haben oder beihilfeberechtigt sind. Da dies auf den Streitfall (Quote über 35%) zutraf, bestätigte der Bundesfinanzhof das Urteil der Vorinstanz, die ebenfalls eine aus dem Unionsrecht abgeleitete Steuerfreiheit bejaht hatte.
Die Leistungen der Klinik sind nicht nach nationalem Recht steuerfrei. § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 1 UStG befreit Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen einschließlich der Diagnostik, Befunderhebung, Vorsorge, Rehabilitation, Geburtshilfe und Hospizleistungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts erbracht werden.
Nach § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG sind diese Leistungen auch steuerfrei, wenn sie von zugelassenen Krankenhäusern nach § 108 SGB V erbracht werden und es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Zulassung, der Vertrag oder die Regelung nach dem Sozialgesetzbuch jeweils bezieht.
Nach § 108 SGB V dürfen die gesetzlichen Krankenkassen eine Krankenhausbehandlung nur durch sog. zugelassene Krankenhäuser erbringen lassen. Dabei handelt es sich um Krankenhäuser, die nach den landesrechtlichen Vorschriften als Hochschulklinik anerkannt sind (Nr. 1), sog. Plankrankenhäuser, die in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommen sind (Nr. 2), und um Krankenhäuser, die einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen (Kassenverbänden) abgeschlossen haben (Nr. 3).
Die Klinik erfüllt diese Voraussetzungen unstreitig nicht.
Das nationale Recht steht nicht im Einklang mit den zwingend umzusetzenden Vorgaben des Unionsrechts.
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer „Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden“. Diese Steuerfreiheit ergab sich zuvor inhaltsgleich aus Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es Sache jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen die erforderliche Anerkennung gewährt wird. Dabei verfügen die Mitgliedstaaten über einen Ermessensspielraum, bei dessen Ausübung Folgendes zu beachten ist1:
Die nationalen Behörden und Gerichte haben das mit den Tätigkeiten des Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, ebenso wie den Umstand zu berücksichtigen, dass die Kosten der Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden2.
Dabei kann für die Anerkennung sowie für die Leistungserbringung unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für Einrichtungen des öffentlichen Rechts in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, berücksichtigt werden, dass das staatliche System der sozialen Sicherheit für die Tätigkeiten keine finanzielle Unterstützung und keine Kostenübernahme gewährt. Gleichwohl ist die Steuerbefreiung nicht regelmäßig auszuschließen, wenn die Kosten der Dienstleistungen von den Einrichtungen der sozialen Sicherheit nicht erstattet werden. Es handelt sich hierbei vielmehr um einen Gesichtspunkt, der in eine Abwägung einzubeziehen ist: Ist die Situation eines Steuerpflichtigen mit der anderer Wirtschaftsteilnehmer vergleichbar, die die gleichen Dienstleistungen in vergleichbaren Situationen erbringen, so rechtfertigt der bloße Umstand, dass die Kosten dieser Leistungen nicht vollständig von den Trägern der Sozialversicherung übernommen werden, keine unterschiedliche Behandlung der Leistungserbringer in Bezug auf die Mehrwertsteuerpflicht3.
Eine Genehmigung kann ein Indiz dafür sein, dass der Leistungserbringer „ordnungsgemäß anerkannt“ ist. Der bloße Umstand, dass die nationalen Behörden Umsätze nach den im fraglichen Bereich vorgeschriebenen Qualitäts- und Sicherheitsstandards genehmigt haben, führt jedoch allein nicht schon automatisch zur Anerkennung, da sonst den Behörden das ihnen verliehene Ermessen genommen würde4.
§ 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG i.V.m. §§ 108, 109 SGB V stellt die Steuerfreiheit der Leistungserbringung in Krankenhäusern, die von Unternehmern betrieben werden, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, unter einen sozialversicherungsrechtlichen Bedarfsvorbehalt, der mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist.
Ein Unternehmer, dessen Krankenhaus nach den landesrechtlichen Vorschriften weder Hochschulklinik noch Plankrankenhaus ist, kann die Steuerfreiheit nur erlangen, wenn er für sein Krankenhaus einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen (Kassenverbänden) abschließt. Sozialversicherungsrechtlich dürfen derartige Versorgungsverträge gemäß § 109 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V aber nur abgeschlossen werden, wenn sie insbesondere für eine bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung der Versicherten erforderlich sind. Zudem besteht nach § 109 Abs. 2 Satz 1 SGB V kein Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrags5.
Zwar können die Mitgliedstaaten in Bezug auf eine erforderliche Anerkennung auch berücksichtigen, ob das staatliche System der sozialen Sicherheit für die Tätigkeiten eine finanzielle Unterstützung oder eine Kostenübernahme gewährt. Damit nicht zu vergleichen sind aber nationale Regelungen, die eine Anerkennung von einer sozialversicherungsrechtlichen Bedarfsprüfung abhängig machen, die im Fall fehlenden Bedarfs dem Abschluss des Versorgungsvertrages zwingend entgegensteht. Eine Befugnis zur Kontingentierung von Steuerbefreiungen im Heilbehandlungsbereich nur zugunsten bestimmter Unternehmer nach Maßgabe der Bedarfslage ist der Richtlinie nicht zu entnehmen und steht nicht im Einklang mit dem vom EuGH betonten Erfordernis, Gleichbehandlung sicherzustellen und die gleichen Dienstleistungen in vergleichbaren Situationen von der Steuer zu befreien3.
Im Streitfall hat das Finanzgericht danach zu Recht entschieden, dass § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG i.V.m. §§ 108, 109 SGB V unionsrechtswidrig ist und sich die Klinik für die Steuerfreiheit auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL als inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue Bestimmung des Unionsrechts berufen kann.
Die Anerkennung der Klinik ergibt sich aus dem mit ihrer Tätigkeit verbundenen Gemeinwohlinteresse, der Steuerfreiheit vergleichbarer Unternehmer und aus der Übernahme der Kosten für die von der Klinik erbrachten Leistungen durch Krankenkassen und Beihilfestellen. Hierfür reicht es aus, dass im erheblichen Umfang (im Streitjahr: 35%) gesetzlich Versicherte mit Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 SGB V und darüber hinaus auch Beihilfeberechtigte mit Kostenerstattungsanspruch im Krankenhaus der Klinik behandelt wurden.
Sind die Voraussetzungen einer Anerkennung zu bejahen, hat der Bundesfinanzhof nicht zu entscheiden, ob Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL auch dahingehend auszulegen sein könnte, dass sich das Erfordernis der Anerkennung nur auf andere Einrichtungen, nicht aber auch auf Krankenanstalten sowie Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik bezieht.
Die Klinik hat ihre Heil- und Krankenhausbehandlungsleistungen in sozialer Hinsicht unter vergleichbaren Bedingungen wie die Krankenhäuser erbracht, die in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft stehen oder nach § 108 SGB V zugelassen sind.
Die Vergleichbarkeit in sozialer Hinsicht ergibt sich nach den für den Bundesfinanzhof bindenden Feststellungen des Finanzgericht (§ 118 Abs. 2 FGO) daraus, dass die Ausstattung des von der Klinik betriebenen Krankenhauses der Regelausstattung eines sog. Plankrankenhauses entsprach und dass das ausschließliche Vorhandensein von Einbettzimmern durch die Fachrichtung des Klinikums (Psychiatrie/Psychotherapie und Psychosomatik) bedingt war. Zudem wurden im erheblichen Umfang (im Streitjahr: 35%) auch gesetzlich Versicherte im Krankenhaus der Klinik behandelt, ohne dass Unterschiede zur Behandlung von Privatpatienten bestanden. Nach den Feststellungen des Finanzgericht behandelte die Klinik Kassen- und Privatpatienten sogar einheitlicher als die nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäuser.
Ohne Bedeutung ist, ob die Klinik höhere Vergütungssätze als ein vergleichbares Universitätsklinikum verlangte. Diesem Umstand kommt im Hinblick auf die unterschiedlichen Finanzierungsformen von Krankenhäusern keine Bedeutung zu. So sind Krankenhäuser, die nicht die Zweckbetriebsvoraussetzungen des § 67 der Abgabenordnung erfüllen, gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz) für die Investitionskosten des Krankenhausbetriebs nicht förderungswürdig und müssen diese aus den von ihnen vereinnahmten Vergütungssätzen bestreiten.
Ein Ausschluss von der Steuerfreiheit nach Art. 134 MwStSystRL im Hinblick auf die dort genannten Kriterien der „Unerlässlichkeit“ und der Einnahmeverschaffung in unmittelbaren Wettbewerb mit steuerpflichtigen Unternehmen kommt nicht in Betracht. Von der Befugnis die Steuerfreiheit nach Art. 133 MwStSystRL einzuschränken, hat das nationale Recht keinen Gebrauch gemacht.
Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Finanzamt greifen nicht durch.
Für die Vergleichbarkeit in sozialer Hinsicht kommt es entgegen der Auffassung des Finanzamt nicht auf den für gesetzlich Versicherte bestehenden Behandlungsanspruch nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V an, der den Abschluss eines Versorgungsvertrages voraussetzt. Die Vergleichbarkeit bezieht sich auf die Art und Weise der Leistungserbringung, dient aber nicht dazu, Zulassungsbeschränkungen in Bezug auf den Kreis der zur steuerfreien Leistungserbringung berechtigten Unternehmer zu rechtfertigen.
Nach den Feststellungen des Finanzgericht hat die Klinik auch Fernsehgeräte und Telefone überlassen. Dies ist nach der EuGH-Rechtsprechung, der sich der Bundesfinanzhof angeschlossen hat, grundsätzlich steuerpflichtig6. Nach dem Bericht über die Außenprüfung bei der Klinik, auf den das Finanzgericht Bezug genommen hat, hat die Klinik diese Umsätze von vornherein als steuerpflichtig behandelt.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. Oktober 14 – V R 20/14
- EuGH, Urteil vom 10.06.2010 – C‑262/08, Copy Gene, Slg. 2010, I‑5053, Rdnr. 63[↩]
- EuGH, Urteil Copy Gene in Slg. 2010, I‑5053, Rdnr. 65[↩]
- EuGH, Urteil Copy Gene in Slg. 2010, I‑5053, Rdnrn. 69 ff.[↩][↩]
- EuGH, Urteil Copy Gene in Slg. 2010, I‑5053, Rdnrn. 74 f.[↩]
- vgl. zur einschränkenden Auslegung dieser Vorschrift aber auch BSG, Urteile vom 29.05.1996 – 3 RK 23/95, BSGE 78, 233; vom 28.07.2008 – B 1 KR 5/08 R, BSGE 101, 177; und vom 16.05.2012 – B 3 KR 9/11 R, SozR 4–2500 § 109 Nr. 25, wonach ein sich allein bewerbendes Krankenhaus, das bedarfsgerecht ist und die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche Krankenhausbehandlung bietet, Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages hat[↩]
- EuGH, Urteil vom 01.12 2005 – C‑394/04, Ygeia, Slg. 2005, I‑10373, Leitsatz; BFH, Urteil vom 26.08.2010 – V R 5/08, BFHE 231, 298, BStBl II 2011, 296, unter II. 3.d[↩]